nd-aktuell.de / 28.02.2017 / Politik / Seite 3

Im Land mit freieste Presse wo gibt

Der seit 14 Tagen in der Türkei inhaftierte deutsche Journalist Deniz Yücel muss in Untersuchungshaft

Thomas Blum

Update: Am Montagabend entschied der Istanbuler Haftrichter, dass Deniz Yücel nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft muss. Dem 43-jährigen Korrespondenten der »Welt« werden »Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung« vorgeworfen.

Im Land mit freieste Presse wo gibt

»Natürlich hat man Sorge und Ungewissheit. Das ist eine absolute Ausnahmesituation für uns alle«, sagte mir Ilkay Yücel noch gestern am Telefon. »Wenn ich mir vorstelle, dass mein Bruder unter diesen Umständen auf ein paar Quadratmetern sitzt! Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass jetzt etwas passiert, heute vor allem.« Tatsächlich wurde ihr Bruder, Deniz Yücel, gestern vom Staatsanwalt verhört, der Untersuchungshaft beantragte. Dem Journalisten wird »Aufwiegelung der Bevölkerung« vorgeworfen. Die mögliche Strafe wären ein bis fünf Jahre Haft. Jetzt entscheidet der Haftrichter über die Verhängung von U-Haft.

Derzeit sind außer dem »Welt«-Korrespondenten, der, teils mit zwei bis drei anderen Häftlingen zusammen, in eine ca. 10 Quadratmeter große, muffige Istanbuler Gefängniszelle gesperrt ist, noch über 150 andere regierungskritische Journalistinnen und Journalisten in der Türkei inhaftiert. Zahlreiche türkische Medienhäuser sind gleichgeschaltet oder ganz geschlossen worden. Jede noch so leise Systemkritik wird verfolgt. Man darf das nicht vergessen, wenn man über einen in der Türkei unschuldig in Haft sitzenden Freund schreibt: In der Türkei befinden sich gegenwärtig viele Menschen unschuldig in Gefängnissen.

Deniz ist nicht nur ein Kollege, mit dem ich mehrere Jahre in denselben Redaktionsräumen verbracht habe. Er ist auch mein Freund. Als er, um die Jahrtausendwende, als Student, zur linken Wochenzeitung »Jungle World« stieß und wir Kollegen wurden, brachte er vieles mit, um ein großartiger Journalist zu werden: Wissbegier, kritisches Denken, Ehrgeiz und ein hübsches Maß an Respektlosigkeit gegenüber blasierten und anmaßenden Autoritäten, vor allem aber zwei Dinge: Humor und ein leidenschaftliches Verhältnis zur Sprache. 2007 wechselte er zur »taz«, 2015 schließlich zu Springers »Welt«, weil sich ihm dort die Chance bot, zu tun, was er immer wollte: aus der Türkei berichten. Und das tat er dann auch, wie viele es von ihm erwartet hatten: engagiert, eloquent und Erdogans Apparatschiks nicht schonend. »Sein spezieller Stil und sein Renommee ließen ihn schneller auffallen als andere«, schreibt der »Münchener Merkur«.

Dass die grotesken Vorwürfe, die ihm bei seiner Inhaftierung vor 14 Tagen gemacht wurden (»Terrorpropaganda«), konstruiert und völlig haltlos waren, darüber bestand kein Zweifel. Es waren Standardvorwürfe, wie sie unliebsamen Journalisten gemacht werden. »Terrorist« ist man in der Türkei derzeit schnell. In der Regel reicht dafür aus, nicht die bizarre Weltwahrnehmung der religiös-fundamentalistischen AKP zu teilen und dies auch nicht zu verheimlichen. Spätestens seit Yücel sich vor einem Jahr auf einer Pressekonferenz in Ankara nicht scheute, gegenüber Kanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten Davutoglu freimütig von Menschenrechtsverletzungen und der Zerschlagung der Pressefreiheit zu sprechen, dürften ihn Erdogans Häscher auf dem Kieker gehabt haben. Man weiß, dass gegenwärtig in der Türkei Straftatbestände herbeifantasiert und -gelogen werden, wenn es keine tatsächlichen gibt: Wer Kontakte zur türkischen Opposition unterhält, den Statthaltern Erdogans die falschen Fragen stellt oder auch schlicht in Fragen des Humors, der Bekleidung oder der angemessenen Badetemperatur anderer Ansicht ist als der Despot, beleidigt wahlweise den Islam, das »Türkentum« oder Erdogan persönlich. Vormittags nimmt man ein falsches Wort in den Mund oder macht einen harmlosen Witz über den nationalistischen Größenwahn oder einen anderen Fimmel des größten Sultans aller Zeiten, am Abend ist man schon ein »Spion«, »Terrorist«, »Staatsfeind«, ein gottloser Vaterlandsverräter oder gleich alles zusammen. Irgendein Delikt wird schon hervorzukramen sein. Grund für die jetzige Anklage, so twitterte gestern eine Kollegin, die sich in Istanbul aufhält, sei »ein Witz, den Deniz in einem seiner Texte gemacht haben soll«.

Seine Eltern und seine Schwester Ilkay, die im hessischen Flörsheim leben, haben keinen Kontakt zu ihm. Auch der grüne Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu, der ihn vergangene Woche im Gefängnis besuchen wollte, wurde nicht zu ihm vorgelassen. »Über die Anwälte werden wir aber ständig informiert«, so Ilkay.

Erdogans Türkei sei das »Land mit freieste Presse wo gibt«, spottete Deniz Yücel noch im Dezember vergangenen Jahres wiederholt auf Facebook, immer in Anspielung sowohl auf die Klischeefigur des nur mangelhaft des Deutschen mächtigen »Türken vom Dienst« (»FAZ«), auf die Rolle also, die ihm von seinen rassistischen deutschen Landsleuten seit Jahren zugeschrieben wird, als auch in Anspielung auf die Tatsache, dass vor aller Augen der NATO-Staat Türkei eine offene Diktatur errichtet.

In dem vorgestern in der »Welt« erschienenen »Haft-Protokoll«, in dem Yücel die Umstände seiner Haft festgehalten hat, ist über die seine Freilassung fordernden FreeDeniz-Autokorsos zu lesen: »Beste Solidarität wo gibt.« Seinen Humor hat er also noch. »Ich kenne ja meinen Bruder«, bestätigt Ilkay.

Yücels Freunde haben sich in den vergangenen Tagen bemüht, mit Solidaritätsbekundungen für ihn und die anderen im Gefängnis sitzenden türkischen Journalisten Öffentlichkeit herzustellen. Bisher ist ihnen das gelungen. Am Dienstagnachmittag sollen in insgesamt elf Städten Solidaritäts-Autokorsos stattfinden, mit denen man weiter für die Freilassung von Yücel und die Wiederherstellung der Pressefreiheit demonstrieren will. »Ich weiß nicht«, sagte mir Deniz’ Schwester, bevor wir unser Gespräch beendeten. »Ich will eigentlich gar nicht darüber nachdenken, dass heute etwas anderes passieren könnte als seine Freilassung.«