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Hipp Hipp Hurra!

Klaus von Dohnanyi - im Deutschen Theater Berlin befragt von Gregor Gysi

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor Wochen bekam Gregor Gysi in Aachen den Karnevals-»Orden wider den tierischen Ernst«. Per Video gratulierte der Vorjahres-Ritter: Markus Söder, CSU. Die Deutung dessen als historische Hoch-Rechnung: Wie viel Schmutz musste linke Politik (speziell Gysi!) jahrelang durchwaten, durchstehen und abschütteln - um nunmehr honorig durchs Faschingsblattgold gezogen zu werden. Deutschland sucht den Jubeltrubel-Superstar und findet ihn - im Osten und erstmals links. Frohsinn für den Ernstfall: Der Antikommunismus schunkelt sich Verbissenheiten aus dem Kostüm. Freies Miteinander heißt in der Begegnungskultur: Abgrenzung möglich, Ausgrenzung nicht.

Letzteres prägte immer auch die Gesprächsreihe im Deutschen Theater Berlin: »Gregor Gysi trifft Zeitgenossen«. Ob CDU-Mann Volker Kauder, Springer-Chef Matthias Döpfner oder andere ihm Geist-Fremde - der biografische Exkurs als Einladung zur Selbstbereicherung, zur Eleganz, die jedem Austausch innewohnt. Denn: Jede Wahrheit besitzt ihr eigenes Licht. Diesmal zu Gast: Klaus von Dohnanyi. Jahrgang 1928. Talentierter, dann versierter Staatssekretär. SPD-Bundesminister und Hamburgs Erster Bürgermeister, der den Konflikt um die Besetzung der Hafenstraße beilegte: »Ich bürgte mit meinem Amt für neue Pachtverträge.« Trat nach sieben Jahren zurück, wollte im Amt keine Patina ansetzen. Der Grüne Thomas Ebermann schwänzte in Hamburg bedenkenlos eine der wichtigsten Fraktionssitzungen, »ich begriff nicht, warum, da tippte mir der lange Kerl auf die Brust: ›Weil ich nicht so werden will wie Sie!‹«

Er ist sonor. Er ist souverän. Er ist sich seiner sicher. Erzählt von Dietrich Bonhoeffer, »mein lustiger Onkel, wir fuhren gemeinsam Ski«. Erzählt von seiner Mutter, »sie trug meinen Bruder auf dem Arm, obwohl der schon laufen konnte, aber so hinderte sie sich selber am Hitler-Gruß.« Ein Gespräch über Anpassung und Widerstand und wie beides sich verzahnt - und wie unangenehm jene sind, die mit ihrer nachgeborenen Klugheit protzen. »Moralische Platzanweiser« sagt von Dohnanyi, ein Wort aus jenem Streit vor Jahren, da er Martin Walser öffentlich verteidigte - nach dessen Friedenspreis-Rede. Kein intellektuelles Wort hatte bis dahin mit ähnlich leiser Intensität und riskanter Offenheit auf den unlösbaren Konflikt aufmerksam machen können: »Wenn ich etwas begreife, dann ist es die Abneigung, sich mit den Scheußlichkeiten der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu beschäftigen. Wenn ich etwas begreife, dann ist es der Zwang, sich lebenslang mit den Scheußlichkeiten der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert beschäftigen zu müssen.« Kann man, fragt von Dohnanyi, »schmerzbewusster, wahrhaftiger über Gewissen reden?«

Der Vater, Hans von Dohnanyi, war Reichsgerichtsrat, sammelte belastende Dokumente, um der NS-Führung nach einem Umsturz den Prozess machen zu können. Über Devisendelikte im Zusammenhang mit Widerstandsaktionen geriet er in die Fänge des Regimes. Besagte Dokumente in einem Safe bedeuteten das Todesurteil. Wenige Wochen vor Kriegsende wurde er - wie auch Dietrich Bonhoeffer in Flossenbürg - im Konzentrationslager Sachsenhausen gehenkt. »Meine Mutter erfuhr lange nicht, was geschah. Fotos aus jener Zeit zeigen ein Gesicht, dem alles an möglicher Verzweiflung eingeschrieben war.«

Er findet dennoch, dass sich hierzulande gar zu viel mit der Vergangenheit beschäftigt wird. »Wir kennen fast jede Unterhose Hitlers, während die Digitalisierung unsere Welt in ungeahnte Umbrüche stürzt.« Im Zukünftigen lägen die Herausforderungen. Auch in der Flüchtlingsfrage, bei der »wir offen bleiben müssen für unsere Asylverpflichtungen.« Oder beim Euro, »der nur Sinn hat, wenn die Länder - im Gegensatz etwa zu Griechenland - politische Kraft für innere Reformen« haben. Auch die SPD des Martin Schulz müsse nach vorn schauen, »statt im Wahlkampf an Dingen herumzureparieren, die erfolgreich sind«.

Der promovierte Jurist pries die friedliche Revolution in der DDR, er griff bekanntlich in den Aufbau Ost ein, führte den Schwermaschinenbetrieb »Takraf« in die Marktwirtschaft. Er benennt einen großen Fehler der deutschen Einheit: »Es fehlte ein staatliches Wiederaufbau-Programm. Man vertraute zu sehr auf den Markt. Der aber wird zum Monster, wenn er auf Schwächere trifft.« Gleichzeitig fordert er Markt. Forderte ihn schon immer. War schließlich Planer bei Ford in Detroit und Köln. Wurde Bürgermeister mit dem Slogan vom »Unternehmen Hamburg«. Litt unter der Kritik der Linken aus der eigenen Partei, er sei zu wirtschaftsfreundlich. »Bevor ich Politik machte, wusste ich, wie ein großes Unternehmen funktioniert, wie ein Mittelständler sich nachts fühlt, wenn die Aufträge nicht kommen. Aber auch Sozialdemokraten müssen anerkennen, dass die globalisierte Welt eine Welt der Wirtschaft ist.« Und so votiert er gegen Rot-Rot-Grün: Alles Parteien, die keine schwarzen Zahlen schreiben können.

SPD-Politiker und Großbürger - eine spannungsvolle Kombination. Erinnerung. Willy Brandt war »kein Apparatschik - was in der SPD selten ist, er war skandinavisch liberal«, Helmut Schmidt dagegen »ordnungsbetont deutsch«, im engen Kreis wurden seine Entscheidungen »Segelanweisungen« genannt. Wehner? »Ging auf Distanz, das ›von‹ in meinem Namen gab ihm offenbar Klassengrenzen vor - als sei ich ein preußischer Junker«. Für die Achtundsechziger-Bewegung »war ich zum Glück schon zu erwachsen«. Vielleicht würde er an dieser Stelle gern schärfer sein, schaut aber in den Saal, »da sitzt meine Frau, sie ist ganz anderer Ansicht«. Ulla Hahn, die Schriftstellerin, die in einem Roman über jene Zeit den schönen Satz schrieb: »Das Gebrüll an sich tat gut. Weil wir gemeinsam brüllten.«

Obwohl er Protestant sei, sagt von Dohnanyi, schaue er mir großer Gewogenheit auf Katholische. »Bei aller Barmherzigkeitspflicht: Glaube ist mehr als Sozialleistung, und Kirche muss mehr sein als ein Sozialverein!« Da ist er nah beim Katholiken Martin Mosebach: »Es geht um ein Maximalprogramm, nicht um Alltagsfragen. Man kann sich die Botschaft Jesu nicht steil genug vorstellen.« Im Übrigen stimme er dem Theologen Friedrich Schorlemmer zu: Hätte es Papst Franziskus zu Zeiten Luthers gegeben, »wäre die Kirche nicht gespalten worden«.

Der Hamburger nennt Politikernamen der frühen Bundesrepublik und vermutet, keiner im Saal kenne sie. Gysi: »Sie unterschätzen das Alter meines Publikums.« Es klingt, als sage er: »... meiner Partei«. Ansonsten Zurückhaltung, feines Interesse, höchstens mal die Anmerkung, Gespräche mit Klaus von Dohnanyi seien meist »etwas belehrend«. Der nickt. Bei einer Meisterfeier des HSV habe er auf dem Balkon des Hamburger Rathauses gestanden und musste dreimal »Hipp Hipp Hurra!« rufen. Jetzt beugt er sich weit aus seinem Sessel und ruft geradezu gepeinigt: »Ich kann das nicht!« Der höhere Stil in der Zwingschraube populistischer Lockreize. Als sei dies das fortwährend Furchtbare in der Politik: intelligente Antworten auf anmaßende Trivialitäten zu geben. Gysi sagt zum Schluss, es gebe zwischen ihm und seinem Gesprächspartner in politischen Fragen gewiss Unterschiede - in den Applaus hinein ergänzt Klaus von Dohnanyi: »Aber nicht in moralischen Fragen.«

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