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Jeder, der Geld hat, gewinnt

Am Staatstheater Cottbus inszenierte Matthias Oldag »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« von Brecht und Weill

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Diese Oper attackiert die ursprüngliche Akkumulation am Beispiel von Las Vegas, und die Inszenierung benennt ätzend die Wiederkunft derselben im Jetzt und Hier. Es herrscht Goldgräberstimmung. Ein Run aus allen Himmelsrichtungen auf die Flüsse und Strände mit ihren Glücksverheißungen. Doch glücklich ist der Anfang im großen Haus zu Cottbus nicht: Nebel zieht entlang der Ostküste. Die Witwe Begbick sitzt mit ihren Ganovenkumpels Fatty und Dreieinigkeitsmoses fest. Der Motor ist kaputt, die Polizei verfolgt sie. Was tun?

Das Trio gründet eine Stadt - aus Not. Es nennt sie Mahagonny oder auch Goldstadt oder Netzestadt. Es holt sie aus dem Boden wie der verhinderte Bauernsohn die Kohlrübe. Mahagonny animiert zum Fressen, Saufen und Huren. Arbeiter sind genug da. Da kommen sie auch schon an, drei dünne, ein dicker. Sie stürmen vom Parkett hinauf auf die Bühne und singen, singen von der Härte ihrer Arbeit in Alaska und ihrem Hunger nach Weibern. Das ist die Stunde der Begbick (Carola Fischer), jener Witwe, die das Geschäft mit dem Schnaps und den Damen erledigt, welche, nachdem sie von hinten genommen, nach den flatternden Scheinen greifen. Denn in Mahagonny gewinnt jeder, der Geld hat, und, wie auch immer, welches verdient. Alles ist möglich - »anything goes«. Postmoderne 1930.

Finley, der Prokurist, spannt mit den Seinen gar die ganze Welt ein. Er ruft im Chor den Arbeitern zu: »Drum auf nach Mahagonny!« Hier lärme es nicht, Zwietracht herrsche anderswo, hier sei die Luft kühl und frisch, Pferde- und Weiberfleisch fände man reichlich, desgleichen Whisky und Pokerspiel. Und es ziehen die Unzufriedenen aller Kontinente der neuesten Metropole unter der Sonne entgegen. Jedoch lärmt es bald in der Stadt, und die Zwietracht wächst, und die Luft stinkt, und der Boden wird heiß.

Brecht formte wie schon zuvor in »Dickicht der Städte« und mit Weill im »Mahagonny-Songspiel« eine Parabel, die an Gültigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. In Cottbus kam das Stück wie ein Krimi. Marode Pfeiler eines Circus-Karussells tragen die Stadt. Das steht und dreht (Bühne: Barbara Blaschke) und die Bewohner stehen und drehen mit. Rein episch läuft nichts. Stimmungen, Gefühle gehen bis ins Romantische. Jimmy Mahoneys Arie hinter Gefängnisgittern (Jens Klaus Wilde) klingt nicht viel anders als tragische Rollen aus Verdi-Opern.

Die Handlung schaut insgesamt aus einem bunt umleuchteten Guckkasten heraus, das Orchester ist im Graben. Kurt Weill schrieb auf Brechts Libretto eine Folge bildkräftiger, so lyrischer wie jazziger Instrumental- und Gesangsnummern. Es gibt vielsagende Liebesduette über Kraniche und Moneten an der Rampe zwischen Jenny (Ljudmila Lokaischuk) und Jim. Evan Christ exerzierte die nicht eben leichte »Mahagonny«-Partitur in Cottbus souverän durch, allein es fehlten das Banjo und die seinerzeit oft gebrauchte Hawaiigitarre. Regisseur Matthias Oldag setzte auf Temposchärfe, ließ aber den Hauptarien viel Raum und Ausdruck.

Jimmy Mahoney singt illusionslos: »Wozu Türme bauen wie der Himalaya,/ wenn man sie nicht umwerfen kann,/ damit es ein Gelächter gibt?/ Was eben ist, das muss krumm werden/ und was hochragt, das muss in den Staub.« In der Zwischenaktszene verbildlicht die Verse einer der Alaska-Männer mit Spielbauklötzen vor dem Kind. X-mal setzt er an, einen Turm zu errichten, aber der fällt immer wieder ein.

»Der Mensch ist kein Tier.« Das vokalisiert bebenden Hauchs Jenny. Aber sie singt auch vom Treten und Getretenwerden und dass sie ersteres tun müsse, will sie überleben. »So wie man sich bettet, so liegt man ...« Wessen Taschen leer sind, der gehört vor Gericht. Jim, beim manipulierten Preisboxkampf alles Geld wettend auf den Sieg seines Freundes Joe, verliert alles. Er wird von den Ganoven in goldroter Robe, die vom hohen Plateau herab Unrecht sprechen, verurteilt und öffentlich gehenkt. Die Galgenschnur zieht seine Leiche in den schwarzen Himmel.

Was heute ist, auszusparen, verbietet sich bei Brecht und Weill. Fakt ist: Die bestehende Sozietät ist schwarz gefleckt, der Spaltpilz wuchert, der Fluch überschreibt scheibchenweise die Möglichkeit. Das Chorfinale auf schweren Marschrhythmen hat Matthias Oldag direkt darauf angelegt. Masken treiben umher: Schwarzvermummte mit Baseballschlägern, Straßenfeger, in der Hand braune Schilder ohne Aufschrift, Damen mit Marsbrillen geistern wie Spürhunde, Schlapphüte suchen die Bühne ab, Kinder schwenken Schläger aus Schaum. Derweil stellen die drei Ganoven Pulte auf und gerieren sich als Volksredner.

Groß das Können der Sängerinnen und Sänger, die Gewalt der Chöre, bewährt vorstudiert von Christian Möbius. Choristen sind auch als Investoren mit Angel am Teich und als rüde Ficker zu erleben. Die stehen arschwedelnd an, sich von den Damen hinter schäbiger Wand einen abkauen zu lassen. Die Fressszene mit Matthias Bleidorn als Jakob Schmidt ist nicht minder köstlich wie eklig anzuschauen. Ljudmila Lokaischuks Jenny, zuletzt in schwarzer Garderobe, ist mit ihrem warmen Sopran die Operdiva schlechthin. Was ihr ein wenig fehlt, ist die Erfahrung mit sprechenden Tonfällen, die gute singende Schauspieler beherrschen. Carola Fischers Begbick lässt es an Versautheit und Hinterhältigkeit in Ausdruck und Stimme nicht fehlen. Bei den Raubeinern aus Alaska ragt freilich die Rolle des Jens Klaus Wilde als am meisten geplagten, die Geschehnisse aber als naturgegeben akzeptierenden Jim Mahoney heraus.

Nächste Vorstellungen: 16. und 23.3.

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