Klassiker des Mehrwerts

Trier lässt sich Marx von China schenken - ein Peking-Engels steht schon in Wuppertal

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach der Sitzung herrschte ein gewisser Ärger bei der dreiköpfigen Linksfraktion im Stadtrat zu Trier: »Wir halten eine Rede, kämpfen für die Annahme der Statue, liefern gute Argumente und wir werden nicht erwähnt«, zürnten Mateusz Buraczyk, Theresia Görgen und Wolfgang Schmitt auf ihrer Facebook-Seite über die Medienberichte von der Stadtratssitzung am Montagabend.

Tatsächlich stimmt das nur für die Lokalpresse. Bundesweit - nicht nur in der Onlineausgabe dieser Zeitung, sondern etwa auch bei Spiegel Online - wurde durchaus zur Kenntnis genommen, was die örtliche Parteivorsitzende Katrin Werner dazu zu sagen hatte, dass die Volksrepublik China der Geburtsstadt des Philosophen vor dem Marx-Jahr 2018 ein Standbild schenkt: »Trier sollte die Größe haben, zu einem seiner bekanntesten Kinder zu stehen. Das Werk von Marx, insbesondere seine treffende Analyse des Kapitalismus, hat Menschen auf der ganzen Welt bewegt und tut es weiterhin.«

Im Vorfeld war viel von einer heftigen Kontroverse die Rede. Doch dann fiel die Entscheidung sehr deutlich aus: 42 Stadträte stimmten dafür, sieben waren dagegen, vier enthielten sich. Als Gegner des Denkmals zeigten sich AfD, FDP und Grüne. Ein Abgeordneter der letzteren sagte, die Annahme eines Geschenks ehre den Schenkenden, die KP Chinas sei aber keiner Ehre wert. Die AfD sprach von einem Antidemokraten und brachte Marx mit Antisemitismus in Verbindung.

Doch der Mehrheit ging es wohl weniger um Marx - dessen Standort und Maße noch nicht feststehen - als um eine Attraktion für chinesische Touristen, die ins Marx-Haus pilgern und neben einschlägigem Nippes auch Sonstiges in Trier einkaufen: Der Theoretiker des Mehrwerts lässt ganz praktisch die Kassen klingeln.

Der Trierer Marx ist nur ein zweiter Coup einer chinesischen Schenkungstour durch Deutschland. Bereits 2014 - ohne erkennbaren Jubiläumsanlass, wenn man vom 170-jährigen Erscheinen der »Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie« absehen will - erhielt Friedrich Engels’ Geburtsstadt Wuppertal eine Engels-Statue aus China. Die ist, der Bedeutung der beiden im sozialistischen Kanon wohl angemessen, mit rund 3,80 Metern deutlich kleiner als die sechseinhalb Meter, auf die es nach chinesischen Vorstellungen der Trierer Marx bringen soll. Beide wurden aber von in China prominenten Künstlern entworfen: Der Wuppertaler Engels stammt von Zeng Chenggang, dem Direktor des chinesischen Skulptureninstituts - und der Trierer Marx von Wu Weishan, unter anderem Direktor des Nationalen Kunstmuseums Chinas.

Anders als in Trier gab es im »Engelsgarten« zu Wuppertal allerdings schon vorher ein Denkmal, das landläufig auch als »Engels-Denkmal« bezeichnet wurde, obwohl es Engels gar nicht abbildet: die 1982 nach einigem Hickhack um den Preis aufgestellte Skulptur »Die starke Linke« des 2009 verstorbenen österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka. Bei der Ergänzung um einen figürlichen Engels sollen auch in Wuppertal pragmatische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle gespielt haben: Man habe, wurde berichtet, die Statue bewusst so vor dem Engels-Haus platziert, dass Touristen und Investoren aus Fernost beide Attraktionen gemeinsam auf ein Foto bekommen.

Deutsche Offizielle, verkrampft neben chinesischen, die ihnen ihr eigenes Kulturgut übereignen - auch für Peking hat das einen PR-Wert. So ist es vielleicht erlaubt, über den nächsten Streich der Stiftungsoffensive zu spekulieren. Wie wäre es mit einer Bert-Brecht-Statue für dessen Geburtsstadt Augsburg? Die Bedingungen ähneln sich: Während die Stadt sich fortgesetzt »schwertut« mit ihrem großen Sohn, ist Brecht in China populär. Während der »Kulturrevolution« habe es einen regelrechten Hype gegeben, heute schätze man eher den interessierten Respekt, den Brecht als Theatertheoretiker chinesischen Traditionen entgegenbrachte, schrieb vor einigen Jahren der Sinologe Thomas Weitin. Und einen Anlass findet man ja immer.

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