nd-aktuell.de / 17.03.2017 / Kommentare

Legale Kriminalität an Berlins Flughäfen

Elmar Wigand über Ryanairs Einfuhr von Streikbrechern und eine wegschauende Bundesregierung

Elmar Wigand

Die interessanten Themen gehen leider immer unter. Und das ist kein Zufall. Das Elend der heutigen Medienlandschaft besteht darin, dass offenbar ein echtes Bedürfnis existiert immer, überall und mit allen nur über dasselbe Thema zu reden.

Leider heißt das nur selten »soziale Gerechtigkeit«, schon gar nicht »Unternehmerkriminalität«, erst recht nicht »legalisiertes Unrecht durch die EU« oder »arbeitnehmerfeindliche Machenschaften der EU-Kommission«.

In der zu Ende gehenden Woche ging es hauptsächlich um Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern in Deutschland. Was hat das mit dem Berliner Flughafenstreik zu tun? Am dritten Streiktag, dem 14. März, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU): »Es gibt ganz klare Grenzen, an denen auch meine Toleranz endet.« Für ihn liege es jenseits dieser Toleranz, wenn die »Strafbarkeitsgrenze« erreicht sei. Er meinte natürlich nicht den Flughafenstreik, sondern AKP-Politiker, die in Deutschland für die offizielle Abschaffung ihrer Pseudo-Demokratie warben. Dass sich Ryanair am Flughafen Schönefeld durch eklatante Missachtung von Gesetzen hervortat und damit die Sicherheit des Flugverkehrs gefährdete, lag innerhalb der Toleranzgrenze des Innenministers.

Was war geschehen? Der Gewerkschaft ver.di war es gelungen, dank geschickter Organisierung des Bodenpersonals einen massiven und wirkungsvollen Streik an den Berliner Flughäfen auf die Beine zu stellen, der aufgrund abenteuerlicher Ausbeutung etwa durch den Flughafen-Subunternehmer WISAG auf fruchtbaren Boden fiel. In Tegel wurden fast 500 Flüge gestrichen, in Schönefeld waren es über 200. Die Streikleitung wählte den Zeitpunkt sehr klug. Die Arbeitsniederlegung fand rund um die Internationale Tourismus Börse ITB statt. Die Türkei hatte übrigens eine ganze Halle gemietet, der türkische Außenminister und Nazi-Vergleicher Mevlüt Cavusoglu versuchte vor Ort Werbung für Urlaub in seinem Polizeistaat zu machen.

Die irische Lohndumping- und Billig-Flug-Airline Ryanair musste in Schönefeld nach eigenen Angaben insgesamt 66 Flüge absagen. Mit einem leeren Flugzeug düste man nach Dublin, um Streikbrecher herbeizuholen. Das waren keine Massen, sondern laut Medienberichten 20 Personen, die aber ausreichten, um notdürftig immerhin geschätzte zehn Prozent der geplanten Flüge doch noch abzuwickeln.

Dass die Einfuhr von Streikbrechern nach EU-Recht derzeit anscheinend legal ist, stellt so etwas wie eine überstaatlich legalisierte Unternehmerkriminalität dar. Den Vogel schießt hier die norwegische Airline Norwegian ab, die mit thailändischen Billig-Crews fliegt. Norwegian Air fliegt übrigens unter irischer Betriebslizenz.

Das allein ist noch kein Fall für den Innenminister. Dass die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH den Streikbrechern Tagesausweise ausstellte, berührt allerdings seine Regierung. Die Berliner Flughäfen gehören dem Bund sowie den Ländern Berlin und Brandenburg. Im Aufsichtsrat sitzen unter anderem die Staatssekretäre Rainer Bomba (Bundesverkehrsministerium, CDU) und Werner Gatzer (Bundesfinanzministerium, SPD).

Was ganz sicher ein Fall für den Innenminister ist: Ryanair hätte die Streikbrecher aus Sicherheitsgründen niemals einsetzten dürfen, insbesondere in Zeiten der Terrorgefahr - und hier schließt sich ein weiterer Kreis zur Türkei, die mehr oder weniger offen terroristische Salafisten in Syrien unterstützt haben soll. Laut der nicht ganz unwichtigen Bodenabfertigungsdienst-Verordnung (BADV), Anlage 3 (zu § 8), B (3), (4) ist für die Arbeit des privatisierten Bodenpersonals auf Flughäfen eine gründliche Einweisung und die Verständigung in deutscher Sprache zwingend erforderlich. Das war ganz offensichtlich nicht der Fall. Zudem haben die Leute in Turnschuhen und dünnen Hosen herum gestanden, wie es Medienberichten zu entnehmen ist. Ver.di erstattete Strafanzeige bei der Polizei. Stutzig macht auch, dass die Flughafengesellschaft angibt, sie habe nur acht Zutrittsgenehmigungen für Streikbrecher ausgestellt, während ver.di-Gewerkschafter 15 Personen zählten und welt.de von 20 Personen berichtet.

Das Problem ist umso drängender, als Ryanair einmal mehr als aggressiver Vorreiter fungiert, dessen Methoden von anderen in der Branche übernommen werden: Auch Turkish Airlines setzte laut Pressebericht eigenes Personal zur Bodenabfertigung ein, um den Streik bei Subunternehmern zu brechen. Genaue Zahlen sind unbekannt.

Haben Sie von diesem Vorfall etwas gehört? Dass aus dieser Verquickung von Unternehmerkriminalität, staatlicher Untätigkeit und politischer Tolerierung (etwa durch SPD-Politiker im Flughafen-Aufsichtsrat) bislang kaum ein Skandal wurde, ist schwer zu verstehen. Ich meine: Die Toleranz gegenüber Ryanair und dem irischen Wirtschaftsmodell aus Lohndumping, dem Unterlaufen von Arbeitsstandards, Rechtsnihilismus und Steuerflucht sollte dringend enden. Nicht zuletzt aus Gründen der Sicherheit.