Abschied vom Weltstadt-Anspruch?

Bonn sprengt sein Rockefeller-Center

  • Christoph Driessen, Bonn
  • Lesedauer: 3 Min.

Als vor 50 Jahren die Planungen für das 18-stöckige Bonn-Center bekannt wurden, zog man Vergleiche bis zum Rockefeller Center in New York. Hier wie dort gab es eine Eislaufbahn. Und Leuchtreklame, ein Hotel und eine Sauna »für Bürger und Beamte beiderlei Geschlechts«. Es gehe darum, dem »durablen Provisorium Bonn etwas von Weltstadt aufzuschminken«, schrieb der »Spiegel« bei der Eröffnung 1969. Zum Erkennungsmerkmal wurde ein sich drehender Mercedes-Stern auf dem Dach. Am Sonntag wird das Hochhaus im ehemaligen Regierungsviertel gesprengt.

Heute kann kaum noch jemand nachempfinden, dass man den monotonen Kasten mit Metropolenflair verband. Doch so war es damals - Hochbau und vielspurige Straßen standen für Urbanität. Der Geschäftskomplex war Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins: Bonn war Hauptstadt. Heute alles Geschichte. Auch wenn 14 Ministerien weiter in Bonn sitzen: Prägend sind sie nicht mehr. Bonn ist eine Hauptstadt a. D.

Wer sich heute dort umschaut, kann den Eindruck gewinnen, dass Bonn nicht weiß, was es sein will: Da ist das fast kleinstädtisch anmutende Zentrum der Universitätsstadt mit Giebelhäusern und verwinkelten Gassen. Und das Bundesviertel, wie es immer noch genannt wird. Die Bauten könnte man ohne weiteres nach Berlin verpflanzen, einschließlich der breiten Straßen. Auch das 60 Meter hohe Center steht hier. An seiner Stelle soll ein Bürogebäude entstehen, das noch höher werden darf - bis 100 Meter.

»Ursprünglich sollte mit diesen Bauten eine Art Zentralität hergestellt werden, aber das ist eben nicht gelungen«, sagt Stephan Berg, Direktor des Kunstmuseums Bonn. »Eine wirkliche Aufenthaltsqualität hat es nicht. Es fehlt vollkommen an einer normalen Alltagsinfrastruktur. Und das führt dazu, dass das Ganze geradezu extraterrestrisch wirkt.«

Gleichwohl ist das wirtschaftlich boomende Bundesviertel mit Post Tower, Museumsmeile und UNO-Campus Bonns Stolz. Auf dem UNO-Gelände um das frühere Abgeordnetenhochhaus Langer Eugen sitzt das UNO-Klimasekretariat, das die Umsetzung des Pariser Abkommens koordiniert. »Wir wollen den Standort in diese Richtung weiterentwickeln, und da ist eine unheimliche Dynamik drin«, schwärmt Planungsdezernent Helmut Wiesner. Die Hauptstadt der alten Bundesrepublik hat sich nach seiner Überzeugung neu erfunden.

Berg hat nicht den Eindruck, dass sich die Bonner Stadtgesellschaft mit dem UNO-Thema identifizieren kann. »Diese Transformation Bonns von der deutschen Hauptstadt zu einer internationalen UNO-Stadt ist etwas, was meines Erachtens die Bevölkerung nicht wirklich erreicht und auch nicht wirklich emotional interessiert. Das ist zu abstrakt.« Anstatt zu versuchen, seine eigene Identität zu entwickeln, stülpe sich Bonn etwas über, was ihm im Grunde eine Nummer zu groß sei.

Das sieht man in der Stadtverwaltung naturgemäß anders. »Ich glaube nicht, dass die Stadt einen Komplex hat, dass sie versucht, weltstädtischer zu sein als sie eigentlich ist«, sagt die Leiterin der Bonner Wirtschaftsförderung, Victoria Appelbe.

Dass das Bonn-Center einst mit dem Rockefeller Center verglichen wurde, findet auch Wiesner komisch. Aber gleichzeitig verwendet er für die Bonner Rheinaue die Formulierung »der Central Park von Bonn«. Das Center mag abgerissen werden. Aber eine normale deutsche Großstadt will Bonn deshalb noch lange nicht sein. dpa/nd

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