Perfekte Pointe einer Fußballerkarriere

Beim Spiel gegen England verabschiedet sich Lukas Podolski mit seinem 49. Länderspieltor aus der Nationalelf

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein besonderer Abschied für einen besonderen Spieler: Mit seinem 49. Länderspieltreffer beendet Lukas Podolski seine Karriere im DFB-Team. Das Drehbuch für sein letztes Spiel wirkt fast schon zu kitschig

Von Frank Hellmann, Dortmund

Selbst Gareth Southgate schmunzelte kurz. Was der englische Nationaltrainer denn zum entscheidenden Tor von Lukas Podolski sagen würde? »Incredible strike«, unglaublicher Schuss, meinte der Mann, der vielleicht am besten weiß, »dass es im Fußball normalerweise keine Märchen gibt«. Hätte der ehemalige Nationalspieler vor mehr als 20 Jahren im EM-Halbfinale England gegen Deutschland seinen Strafstoß mit nur halb so viel Wucht und Präzision getreten, wie die deutsche Nummer zehn nun seinen finalen Vollspannstoß im Nationaltrikot abfeuerte, wäre der englischen Fußballgeschichte das tragische Kapitel 1996 erspart geblieben. Aber Southgate haderte nicht. »Ich muss mir noch mal anschauen, ob das zu verhindern gewesen wäre.«

Gewiss nicht. Erst recht nicht von Torwart Joe Hart. Der Schuss ins Glück nach 69 Minuten - nebenbei der 49. Länderspieltreffer im 130. Einsatz - war die perfekte Pointe einer Karriere, auf die eigentlich alle Lobeshymnen gesungen schienen. Irgendwie wohl doch nicht. »Dass es so läuft wie im Film: Wir gewinnen 1:0 - und ich mach‘ das Ding« verwunderte Podolski selbst am meisten. Und dann brachte der 31-Jährige noch einige seiner Kurzformeln an, für die er so geliebt wird. »Ein geiles Stadion, ein geiles Spiel, ein geiler Gegner - es war ein schöner Abend.« Trikot und Binde behielt er. Die Devotionalien sollen daheim eingerahmt werden.

Der im polnischen Gliwice geborene Instinktfußballer, dessen Eltern Krystyna und Waldemar gemeinsam mit Frau Monika und weiterer Gefolgschaft eine eigene Loge im Dortmunder Stadion bezogen hatten, ging nach 13 Jahren so, wie er als volksnaher Vollprofi stets aufgetreten war: mit seiner ganz eigenen authentischen Art. Zum irgendwie unvermeidlichen Medley »Ne kölsche Jung« von Brings ging es auf die Ehrenrunde, Podolski schnappte sich eine Kölner Flagge, kletterte zu den Fans auf den Zaun, dann ließen ihn die Mitspieler durch die Luft fliegen: Da genoss einer sichtlich das Bad in der Menge, ohne dass bei ihm - anders als bei Kumpel Bastian Schweinsteiger - die Tränen gleich in Sturzbächen über die Wangen kullerten. Dabei geriet sein Abschied aus der DFB-Auswahl noch emotionaler. Und ungewollt kitschiger.

Einer der letzten Lausbuben des Profigeschäfts dankte hernach nicht nur den Teamgefährten oder dem »sensationellen« Team hinter dem Team, sondern auch »dem lieben Gott oder sonst wem«, dass ihm dieser linke Fuß in die Wiege gelegt wurde, der ihm wohl zum zwölften Mal die Auszeichnung zum Torschützen des Monats einbringen dürfte. Bei seiner Auswechslung nach 84 Minuten gab es stehende Ovationen von den mehr als 60 000 Zuschauern. Wohl ganz Fußball-Deutschland nahm eine innere Verbeugung vor diesem unverwechselbaren, weil unbeugsamen Typen vor, der ob der Sympathiebekundungen 30 000 Kölner vor Ort vermutete.

Und auch der Bundestrainer Joachim Löw wirkte später noch sichtlich aufgewühlt, weil er wohl niemandem solch ein Rührstück mehr gönnte als seinem treuesten und längsten Weggefährten. »Besondere Spieler haben einen besonderen Abschied«, befand Löw beeindruckt. Irgendwann zog die Hauptperson selbst den Schlussstrich unter die »Tschö-Poldi«-Folklore: »Man muss es dann auch mal gut sein lassen. Die anderen bereiten sich jetzt auf das Spiel in Aserbaidshan vor. Es geht auch weiter.« Ohne ihn.

Als der schwarz lackierte Mannschaftsbus sich in Schleichfahrt unter dem Dortmunder Stadion nach Mitternacht in Bewegung setzte, um den Mannschaftstross zum Sporthotel Kaiserau zurückzubringen, war Podolski bereits nicht mehr dabei. Er hat künftig Besseres vor. Kurzfristig dies: »Mit der Familie ein paar Tage nach Kölle und dann zurück nach Istanbul.« Hätte in dem Trubel fast vergessen werden können, wo er noch bis Sommer seine linke Klebe einsetzt. Gefühlt ganz weit weg von Deutschland. Aber auch von Gareth Southgate.

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