Wie gefährlich sind die Gefährder?

Behörden und Gerichte streiten über Göttinger Terrorismusverdächtige

  • Reimar Paul, Göttingen
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Fall der Anfang Februar in Göttingen unter Terrorismusverdacht festgenommenen Männer gelangen die damit befassten Behörden und Gerichte zu unterschiedlichen Bewertungen. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle sieht keine belastbaren Hinweise auf konkrete Anschlagsvorbereitungen und lehnt deshalb die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen ab. Die Polizei widerspricht: Ihr seien sehr wohl Tatsachen bekannt gewesen, »dass die Gefahr eines Anschlags jederzeit konkret bevorstehen könnte«, erklärte die Göttinger Polizeidirektion. Polizeichef Uwe Lührig übte gleichzeitig scharfe Kritik an der Celler Behörde. Von dieser habe sich die Polizei eine »akzentuiertere Berichterstattung« in der Causa gewünscht.

Am 9. Februar hatten mehrere Hundert Polizisten zwölf Wohnungen in Göttingen und Kassel durchsucht und die beiden Verdächtigen zunächst in Gewahrsam genommen. Der 27 Jahre alte Algerier und der 23-jährige Nigerianer, die in Deutschland geboren wurden und schon lange in Göttingen lebten, sollen nun abgeschoben werden. Sie sitzen in Hannover in Abschiebehaft.

»In der Gesamtschau aller uns bekannten Umstände ergab sich die Gefahr, dass ohne Einschreiten der Polizei ein Anschlag verübt worden wäre«, sagte Polizeipräsident Lührig. Die Polizei habe daher »zeitnah, schnell und konsequent vorgehen« müssen. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Einschätzung der Polizei Göttingen »bezüglich eines bevorstehenden terroristischen Anschlages vollumfänglich bestätigt.«

Bei den Durchsuchungen seien unter anderem Waffen und Munition gefunden worden, sagte Lührig. Die Ermittlungen hinsichtlich der Zuordnung der Waffen seien noch nicht abgeschlossen. »Richtig ist, dass in den Wohnungen der Gefährder keine Waffen gefunden wurden. Allerdings hätten sie jederzeit Zugriff auf die Waffen gehabt.«

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte bereits am Donnerstag mitgeteilt, bei dem Algerier und dem Mann aus Nigeria seien keine Waffen gefunden worden. Das betreffe auch sonstige Gegenstände, »die auf die Vorbereitung eines Anschlags deuten könnten«. Mehrere Medien hatten hingegen berichtet, die Waffen seien bei den als »Gefährder« eingestuften Männern gefunden worden.

Die Celler Ermittlungsbehörde bestätigte Angaben der Göttinger Rechtsanwältin Susanne Themann, die den Mann aus Algerien vertritt. »Es gab bei ihm weder Waffen noch Anschlagspläne«, sagte die Juristin. Sie berief sich dabei auf die Ermittlungsakten der Polizei. Abgehörte telefonische Äußerungen ihres Mandanten »mit religiösem Bezug« seien von den Beamten als »salafistisches Gedankengut« interpretiert worden. Mit dem Nigerianer sei ihr Mandant nur flüchtig bekannt gewesen, »die haben sich auch nicht zu einem Attentat verabredet.«

Das niedersächsische Innenministerium hat zwischenzeitlich die Abschiebung der in Deutschland geborenen Männer verfügt. Es wandte damit erstmals den Paragrafen 58a im Aufenthaltsrecht an, der bei »besonderer Gefahr« Abschiebungen auch ohne vorherige Ausweisungsverfügung ermöglicht. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte in einem Eilverfahren die Anordnung des Ministeriums, das Urteil wurde gestern veröffentlicht.

Nach Angaben von Landesinnenminister Boris Pistorius sollen die Abschiebungen möglichst bis Ostern erfolgen. »Wir senden damit bundesweit ein klares Signal an alle Fanatiker, dass wir ihnen keinen Zentimeter für ihre menschenverachtenden Pläne lassen«, sagte der SPD-Politiker. »Sie haben jederzeit mit der vollen Härte der uns zur Verfügung stehenden Mittel zu rechnen, völlig egal, ob sie hier aufgewachsen sind oder nicht.«

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