Rechte Revolte in der Union

Gegner der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel wollen ihre Kräfte bündeln

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der CDU-Politiker Christean Wagner hat in seinem Leben schon viele Ideen gehabt, die daran zweifeln lassen, dass er Grundgesetz und Menschenrechte sonderlich ernst nimmt. So wollte der frühere hessische Justizminister »kriminellen Langzeitarbeitslosen« eine elektronische Fußfessel verpassen, damit diese »zu einem geregelten Tagesablauf zurückkehren« und Ausländer abschieben, wenn sie Einheimische zu heftig beschimpfen.

Am Samstag war Wagner der Starredner einer neuen Strömung in der Union, die sich im baden-württembergischen Schwetzingen gegründet hat. Sie nennt sich »freiheitlich-konservativer Aufbruch« und ist ein Zusammenschluss von Mitgliederinitiativen, die sich in den vergangenen Monaten aus Wut über die Politik der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel gegründet haben. An der Versammlung nahmen etwa 70 Vertreter regionaler konservativer Initiativen teil. Für Verärgerung sorgten im äußersten rechten Spektrum der Union etwa die »Rettungspakete« für Griechenland und die Aufnahme von Hunderttausenden Asylbewerbern. Anders als viele ihrer ehemaligen Parteikollegen, die zur AfD gewechselt sind, haben die Vertreter des »Aufbruchs« noch Hoffnungen, die Programmatik der Union in ihrem Sinne verschieben zu können. CDU und CSU sollen nach ihrem Willen wieder verstärkt Politik für Unternehmer machen sowie auf eine härtere Linie in der Innenpolitik setzen.

Der Forderungskatalog des »Aufbruchs« unterscheidet sich kaum von der Programmatik der sogenannten Alternative für Deutschland. Die neue Strömung lehnt etwa den »Zentralismus der EU« ab, sie will eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, steuerliche Entlastungen unter anderem für den »Mittelstand« und ein Ende der »Frühsexualisierung an Schulen«. Letztere Forderung ist ein Zugeständnis an christlich-konservative Kreise.

Im fünfköpfigen Vorstand des »Aufbruchs« sitzen bundespolitisch unbekannte Personen ohne bedeutende Funktion. Eine interessante Personalie im Sprecherrat ist Hinrich Rohbohm, der bis heute auch als Reporter für die rechtsradikale Wochenzeitung »Junge Freiheit« tätig ist, die kürzlich etwa vom deutschen Presserat dafür gerügt wurde, dass sie für Sinti und Roma die diskriminierende Bezeichnung »Zigeuner« benutzt. Rohbohm stand bis zum Herbst 2009 an der Spitze der Jorker CDU im Norden Niedersachsens und war in der Gemeinde Fraktions- und Parteivorsitzender. Nachdem seine Tätigkeit für die »Junge Freiheit« bekannt wurde, wählten seine Parteikollegen Rohbohm im Oktober 2009 ab. Daraufhin trat er nach einem Bericht des »Hamburger Abendblatts« aus der CDU aus. Die Personalie wirft Fragen auf, weil der »Aufbruch« offiziell nur Mitglieder der CDU oder CSU sowie von Vereinigungen, Arbeitsgemeinschaften und sonstigen Organisationen der beiden Parteien aufnimmt. Eine Anfrage des »nd«, ob er wieder in die CDU eingetreten sei, ließ Rohbohm unbeantwortet.

Nicht nur die Zusammenarbeit mit dubiosen Personen aus dem Rechtsaußenspektrum könnte für die neue Strömung innerparteilich zum Problem werden. Hinzu kommt, dass Prominenz aus CDU und CSU weitgehend fehlt. Einige bekannte Gesichter, die dem »Aufbruch« nahestehen, ziehen sich derzeit aus den Parlamenten zurück. Christean Wagner ist mittlerweile 74 Jahre alt und sitzt schon seit 2013 nicht mehr im hessischen Landtag. Weitere ältere Führungspersonen des rechtskonservativen Berliner Kreises, der den »Aufbruch« unterstützt, wie Wolfgang Bosbach (CDU) und Hans-Peter Uhl (CSU) werden im September nicht erneut für den Bundestag kandidieren. Gleiches gilt für Erika Steinbach, die kürzlich ohnehin aus der CDU ausgetreten ist.

Neben dieser alten Garde ist eine Reihe von jüngeren Bundestagsabgeordneten der Union mit Merkels Politik unzufrieden. Ihre wichtigsten Vertreter sind Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, und der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, Carsten Linnemann. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sie die Kanzlerin nun direkt attackieren werden. Im Bundestagswahlkampf setzen die Funktionäre auf Geschlossenheit.

Wenn die Union bei der Bundestagswahl verlieren würde, dürften die Lager um Spahn und Linnemann nach einem Rücktritt der Parteichefin an Einfluss gewinnen. Dass es den am weitesten rechts stehenden Kräften in der Partei bereits jetzt gelingen kann, intern Mehrheiten gegen Merkel und ihre Unterstützer in der CDU-Führung zu organisieren, hatte sich beim Bundesparteitag Ende vergangenen Jahres in Essen gezeigt, als die Delegierten für die Wiedereinführung des Optionszwangs für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bei der doppelten Staatsbürgerschaft stimmten.

Spahn und Linnemann haben zwar einige inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem »Aufbruch«, aber es gibt auch Unterschiede. Spahn ist schwul und hat seine Partei zur Öffnung der Ehe für lesbische und schwule Paare aufgefordert. Zudem ist er ebenso wie Linnemann grundsätzlich offen für eine Zusammenarbeit mit den Grünen auf Bundesebene.

Deswegen ist eine Kooperation des »Aufbruchs« mit den einflussreichen jungen Rechten in der Union nur in Teilbereichen denkbar. Das gilt sowohl für den Kampf gegen den Zuzug von Flüchtlingen als auch für die Durchsetzung von neoliberalen Reformen zulasten von Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnern.

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