Die runzlige Banalität des Bösen

Im Kino: Der Dokumentarfilm »Ein deutsches Leben«

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Traudl Junge ist sie nicht, das muss man wohl zuerst feststellen. Die vier Ko-Regisseure Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer mögen es gehofft haben, als sie ihre Interviews mit Brunhilde Pomsel begannen, aber Junges selbstkritische Introspektion lässt Pomsel schwer vermissen.

Auch in anderer Hinsicht stand sie Junge nach: Sie war Sekretärin aus dem Stenografenpool von Joseph Goebbels. Pomsel Jahrzehnte später als letzte verbliebene Zeitzeugin vor die Kamera zu holen (und sei sie auch mal die schnellste Stenotypistin im Reichs-Rundfunk gewesen), ist einfach nicht so spektakulär wie André Hellers Coup: sein und Othmar Schmiderers Film »Im toten Winkel«, ein Interview mit Traudl Junge, die kurz vor Kriegsende Hitlers Testament aufgenommen hat. Da hilft auch nicht, dass man Pomsel in kontrastreichem Schwarzweiß filmt, damit jede tiefe Furche im Gesicht spektakulär herauskommt, oder Archivmaterial dazwischenschneidet, wenn das Interview in Banalitäten versandet.

Junge hat ihre Erfahrungen als kleines Rad in der großen Maschinerie des Todes (aber eben im unmittelbaren Zentrum der Ereignisse) später in politische und soziale Bewusstheit umgemünzt, das zeigte, wie man es auch hätte machen können. Sie hat ihre Erfahrungen nicht nur selber niedergeschrieben, sondern sie mit anderen Schreibern und Filmemachern geteilt (schon G.W. Pabsts Führerbunker-Film »Der letzte Akt« von 1955 beruhte wesentlich auf ihren Erinnerungen). Dagegen hat die Goebbels-Stenografin Brunhilde Pomsel offenkundig nie weiter reichende Erkenntnisse aus irgendwas gezogen.

Ehrgeizig war sie damals. Und das gute Geld, das sie ein paar Jahre lang verdiente, das hat ihr auch gefallen. Schuldig - klar, schuldig sei man schon auch geworden. Aber eben, jedenfalls in ihren Augen, nicht mehr als all die anderen auch, die nicht direkt im Widerstand waren. Und noch eins wird klar: Michael Hanekes »Das weiße Band«, ein Spielfilm, der die Wurzeln des späteren Unrechtsstaats in autoritärer Erziehung und Obrigkeitsgläubigkeit zu Weimarer Zeiten finden will, hat offenbar so unrecht nicht. In einer Gesellschaft, in der Väter die unbedingten Herren über ihre Kinder waren, in der man versohlt wurde, wenn man nicht spurte, gehörte für Brunhilde Pomsel das Schwindeln schon ganz früh dazu.

Wenn man bei etwas ertappt wurde und nicht schon wieder Dresche kriegen wollte, sagt sie einmal in »Ein deutsches Leben«, dann schwindelte man eben und schob die Schuld auf andere. Der Instinkt, sich rauszumogeln, sich auf Kosten Dritter rauszulügen aus widrigen Umständen, der blieb ihr offenbar lebenslang erhalten. Als das vielköpfige Filmemacher-Team sie interviewte, hatte Pomsel die 100 bereits überschritten. Anfang des Jahres ist sie im Alter von 106 Jahren in einem Münchner Altersheim verstorben.

Banal also, das Böse. Mal wieder. In der Gestalt einer runzligen alten Frau vor der Kamera, die mal ein unpolitisches junges Mädchen war, das übergangs- und anstandslos von der Schreibarbeit für einen zusehends verarmenden jüdischen Anwalt zur Schreibarbeit an den Weltkriegsmemoiren eines Nazis wechselte und von dort in den gleichgeschalteten Rundfunk, wofür sie Parteimitglied wurde, während ihre jüdische beste Freundin draußen vor der Tür wartete. Einziger Grund, warum der Parteieintritt möglicherweise keine so gute Idee gewesen sein könnte: dass er zehn Mark kostete, was ja viel Geld war. Was mit der jüdischen Freundin passierte, braucht man nicht erst zu fragen.

Für Pomsel sollte sich die Investition auszahlen, jedenfalls auf kurze Sicht. Gut kam sie sich vor, die mit dem Aufstieg in den Sekretärinnenpool des einflussreichen Mannes nun ein gemachtes Mädchen war. Über ihren Dienstherrn weiß sie vor allem Positives zu berichten, so sauber, so fein manikürt, so wunderbar teuer gekleidet - mit dem schäumenden Hassredner der öffentlichen Auftritte habe das so gar nicht zusammengepasst. Nach dem Krieg verbrachte Brunhilde Pomsel fünf Jahre in russischer Gefangenschaft. Fair findet sie das nicht.

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