Das NSU-Opfer Kubasik war Dortmunder, kein Türke

Auch NRW-Ausschussbericht scheitert bei Aufklärung der rassistischen Mordserie / Neues Gutachten belastet den Verfassungsschützer Andreas Temme

  • Sebastian Weiermann, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist Zufall, dass die Veröffentlichung des nordrhein-westfälischen NSU-Ausschussberichtes mit dem 3. April fast auf den selben Tag fiel, wie der Jahrestag der Ermordung des Dortmunder Kioskbesitzers Mehmet Kubasik am 4. April 2006. Am Dienstagnachmittag zogen, wie in jedem Jahr seit der Selbstenttarnung der Rechtsterroristen, hunderte Menschen vom Tatort zum NSU-Mahnmal am Dortmunder Hauptbahnhof. Unter ihnen auch der Dortmunder Oberbürgermeister Ulrich Sierau, der betonte, dass Kubasik nicht als türkisches Opfer zu sehen sei, sondern als ein Mann, der Dortmund seine Heimat nannte. Auch Elif und Gamze Kubasik, Frau und Tochter von Mehmet Kubasik, nahmen am Schweigemarsch teil.

Vor eineinhalb Jahren hatten beide im Ausschuss des Düsseldorfer Landtages ausgesagt. Elif Kubasik formulierte dabei einen klaren Anspruch an die Parlamentarier: »Ich möchte gerne, dass es was bringt, dass ich hier bin. Ich möchte Aufklärung haben, auch in Details.« Diesen Anspruch konnte der Ausschussbericht nicht erfüllen. Zwar werden Strukturen und Entwicklungen der nordrhein-westfälischen Neonaziszene, speziell in Dortmund und Köln, wo der NSU zugeschlagen hat, ausführlich dargelegt und auch Verbindungen zum Umfeld des NSU-Kerntrios aufgezeigt. Konkrete Tatbeteiligungen von lokalen Neonazis können jedoch nicht nachgewiesen werden.

Was dem Ausschussbericht allerdings sehr gut gelingt, ist, herauszustellen, mit welchen Vorwürfen und Verdächtigungen die Angehörigen und Opfer der Anschläge nach den Taten zu kämpfen hatten. Sowohl die Kubasiks als auch die Opfer des Nagelbomben-Anschlags in der Keupstraße schildern, wie sie verdächtigt wurden und aus den Akten wird klar, welches Misstrauen es bei Polizei und Staatsanwaltschaften gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund gab. Zwar wird »institutioneller Rassismus« von der CDU explizit als nicht feststellbar bewertet, aber die gemeinsamen Empfehlungen legen nahe, dass die Abgeordneten dieses Problem erkannt haben. So fordern sie unter anderem eine stärkere Sensibilisierung für Rassismus bei Polizei und Staatsanwaltschaften. Was der Ausschuss auch feststellen musste, waren mangelnde Kenntnisse über neonazistische Strukturen und Konzepte. Auch hier fordert der Bericht häufigere Schulungen.

Kritik übt der Ausschuss auch an der von der Bundesanwaltschaft vertretenen These der Alleintäterschaft des NSU-Trios. Dagegen spricht vor allem der Anschlag in der Kölner Probsteigasse am 19. Januar 2001. Die dort platzierte Bombe verletzte die Tochter eines Ladeninhabers schwer. Die Probsteigasse befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße, das Geschäft in dem die Bombe abgelegt wurde, ist nicht als von Migranten geführt zu erkennen. Auch passt die Personenbeschreibung des Täters nicht zu den drei bekannten NSU-Mitgliedern. Nicht nur in diesem Fall handelten Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt oft oberflächlich. Verschiedene Spuren, die Verbindungen und Aufenthalte des NSU-Kerntrios in Nordrhein-Westfalen nahelegen, wurden mit wenig Enthusiasmus geprüft. Teilweise begnügten sich die Ermittler mit Aussagen von Neonazis.

An diesen Punkten hatte es der Untersuchungsausschuss allerdings schwer, tiefer ins Detail zu gehen. Immer wieder musste er sich mit den Verfassungsschutzbehörden über die Bereitstellung von Akten und deren Einstufung streiten. In ihrem Sondervotum beklagen die Piraten, dass die Behörden teilweise auf Zeit gespielt hätten. Auch sei es problematisch, dass viele Akten weiterhin geheim bleiben. Einer breiteren Öffentlichkeit bleibt so die Möglichkeit, an der Aufklärung der Taten des NSU zu arbeiten, verschlossen.

Nicht nur der Todestag von Mehmet Kubasik jährt sich in diesen Tagen zum elften Mal. Auch der Mord an Halit Yozgat in Kassel liegt am 6. April elf Jahre zurück. Im NRW-Bericht werden zahlreiche Kontakte zwischen der Neonaziszene in Dortmund und der im nordhessischen Kassel aufgezählt. Dort soll am Donnerstag neben einer Erinnerungsdemo auch ein Gutachten vorgestellt werden. Die Kasseler »Initiative 6. April« und das »Tribunal NSU-Komplex auflösen« hatten das Londoner »Forensic Architecture« mit einer Studie beauftragt. Diese kommt zu dem Schluss, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme, der zur Tatzeit am Tatort war, den Mord wahrgenommen haben muss. Das bestreitet der Verfassungsschützer bis zum heutigen Tag.

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