Gespielte Einigkeit

Begleitet von Schlager und Neonazis lud die Nordrhein-Westfalen-AfD zum Wahlkampfauftakt nach Essen ein

  • Sebastian Weiermann, Essen
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon vor 12 Uhr standen am Sonnabend rund 300 Menschen auf dem Marktplatz im Essener Stadtteil Altenessen. Eine Bühne war aufgebaut, ein Schlagersänger vermittelte zur Musik vom Band Ansichten über Liebe, Leben und Feierei. Seine Versuche, die Menschen zum Klatschen zu überreden, scheiterten. Die Menschen waren gekommen, um Frauke Petry, Jörg Meuthen, Marcus Pretzell und den lokalen AfD-Star Guido Reil zu hören. Es sollte der Wahlkampfauftakt der rechtspopulistischen Partei werden. In einem Interview hatte Marcus Pretzell jüngst angekündigt, dass man mit einem guten Stimmergebnis im Ruhrgebiet rechne, sogar von Direktmandaten für den Landtag sprach Petrys Ehemann.

Nimmt man die Stimmung in Altenessen, wo mit Guido Reil wohl der beste Wahlkämpfer der AfD im Westen sein Zuhause hat, dann kann sich die AfD von dem Gedanken, ein Direktmandat zu holen, verabschieden. Unter den 400 Menschen, die sich zu Spitzenzeiten auf dem Marktplatz eingefunden hatten, waren viele AfD-Funktionäre. Abordnungen aus dem Saarland und Baden-Württemberg waren gekommen, aus ganz NRW reisten Mitglieder an.

Frauke Petry und Jörg Meuthen bei einer gemeinsamen Veranstaltung - es scheint, die von Streitigkeiten gezeichnete Partei nimmt den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ernst. Allerdings nicht ernst genug, um wirklich Geschlossenheit zu demonstrieren. Denn sich gleichzeitig auf einer Bühne zu zeigen, dass wollten Petry und Meuthen denn doch nicht. Meuthen verschwand nach seiner Rede, er habe »dringende Termine«.

Martin Renner soll die NRW-AfD in den Bundestag führen. Er gilt als Intimfeind von Petry-Ehemann Pretzell. Gegenüber Medien sagte er, dass die Analyse der Parteichefin falsch sei, wonach es nur Fundamentalopposition oder konstruktive Mitarbeit geben könne. Beides müsse sich die Waage halten.

Am Mikrofon benannte dann Pretzell als wichtigste AfD-Themen Bildungspolitik und Innere Sicherheit. »Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele No-Go-Areas wie im Ruhrgebiet«, sagte er und forderte unter dem Beifall der Zuhörer eine »Null-Toleranz-Politik«.

Der Veranstaltungsort lag im Landtagswahlkreis des früheren Essener SPD-Politikers Guido Reil, der nun für die AfD kandidiert. Auf dem Platz traf man vielen ältere Menschen zum Teil waren sie Sozialdemokraten, wie früher Reil. Zu sehen waren aber auch zahlreiche Neonazis. Einigen von ihnen gelang es sogar, Selfies mit AfD-Chefin Petry zu machen. Die meisten suchten allerdings den Streit mit rund 200 Gegendemonstranten, die sich am Rande des Platzes aufgestellt hatten. Als die eine Fahne mit Hakenkreuz im Mülleimer zeigen, rastete ein Rechtsextremer aus und präsentierte sein T-Shirt: Eiserne Kreuze und der Spruch »Rechtsextremist! Aus Liebe zum Land«, waren so zu erkennen. AfD-Ordner schickten den Mann zurück zur Wahlkundgebung. Das war es, Probleme mit pöbelnden Neonazis hat die AfD in Essen offenbar nicht.

Der Wahlkampfauftakt der AfD-NRW wurde eine Enttäuschung für die Veranstalter. Vielleicht auch, weil in den Reden wenig Originelles rüberkam. Auch Guido Reil erzählte nur Altbekanntes, das Anwesende bereits mehrfach von ihm gehört haben.

Ein zweistelliges Ergebnis bei den Landtagswahlen, wie es Marcus Pretzell prophezeite, schient nach der Veranstaltung in Essen ausgeschlossen. Im Gegenteil. Beobachter gehen davon aus, dass sich die AfD im Wahlkampf noch steigern und vor allem Einigkeit demonstriert muss, um überhaupt in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen zu können. Die demokratischen Parteien in NRW sollten sich auf diese Art AfD-Unterstützung besser nicht verlassen.

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