Venezuela vor der Konfrontation

Großdemonstrationen von Regierungsanhängern und -gegnern lassen Gewalt befürchten

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Mittwoch wird ganz Caracas auf den Beinen sein. Während die Opposition zur »Mutter aller Demonstrationsmärsche« aufgerufen hat, werden nach den Worten von Vizepräsident Tareck El Aissami »die patriotischen Kräfte die Stadt überfluten«. Offizieller Anlass ist der 19. April, der 207. Jahrestag des Beginns der Unabhängigkeit Venezuelas. Ein »vaterländischer Tag«, so El Aissami und nichts für »Verräter«. Gewaltsame Zusammenstöße sind denn auch zu erwarten.

Es ist ein eingeübtes Ritual. Ruft die politische Opposition zu Demonstrationen auf, mobilisiert die Regierung ihre Anhängerschaft. Und während die Opposition meist im Ostteil von Caracas unter sich bleibt, lässt die Regierung im Westteil aufmarschieren. Beide Seiten werden auf der Höhe der Plaza Venezuela von einem Großaufgebot an Nationalgardisten und Polizisten am Übertreten der unsichtbaren Grenze gehindert.

Noch immer gibt es keine Verknüpfung der Proteste im Osten mit denen im Westen. Die Opposition hat es bis heute nicht geschafft, die Barrios zu mobilisieren, die Armensiedlungen an den Hängen in und auf den Hügeln um die Stadt. Los cierros no bajan, die Hügel kommen nicht herunter. Denn die Gründe, die den Chavismus hier groß gemacht haben, gelten weiterhin. Die strukturelle Desintegration der Gesellschaft ist nicht überwunden.

Noch immer überwiegen bei der Mittel- und Oberschicht Rassismus und der Hass auf alles Venezolanische. In den einschlägigen Vierteln sind Miami und Europa näher als Petare und San Agustín. Die legitimen Forderungen der ärmeren Bevölkerungsschichten werden dort ignoriert. Das Zugehörigkeitsgefühl zur Patria, zur vaterländischen Heimat, das Hugo Chávez immer wieder gepredigt hat, wird nur von den Armen verkörpert. Die Widersprüche spiegeln sich in den guten Krankenhäusern wider, in denen sich die weißen Nachfahren der Europäer behandeln lassen und in den Gefängnissen, in denen dunkle Hautfarben dominieren.

Dass Maduro freiwillig abtritt, steht nicht zu erwarten. Für ihn wäre ein Rücktritt ein Verrat an Chávez und ist damit ausgeschlossen. Möglich ist, dass Maduro einen Putsch der Militärs provoziert, um einen Abgang als »Verräter« zu vermeiden. Die aktiven Militärs unter Verteidigungsminister Vladimir Padrino könnten mit dem Präsidenten die Kapitulationsbedingungen aushandeln und ihn zur Seite schieben.

Unter Handlungsdruck stehen aber jene Militärs außer Dienst, die vom Chavismus in politische Ämter gehievt wurden, allen voran als Gouverneure in zahlreichen Bundesstaaten. Der sichtbarste ist Francisco Arias Cárdenas, Gouverneur im Bundesstaat Zulia - unverbrüchlich loyal einst zu Chávez.

Wer schon jetzt an den Strippen zieht, ist Diosdado Cabello. Der ehemalige Gouverneur von Miranda, Ex-Parlamentspräsident und Ex-Vizepräsident gilt zwar nicht als politischer Kopf des Chavismus, aber es sieht nicht danach aus, dass er bereit ist, mit dem Schiff unterzugehen. Cabello hat begriffen, dass weder die Chavistas noch die Opposition allein regieren können. Sein stets martialisches Auftreten ist inszeniert, es macht ihn jedoch als direkten Verhandlungspartner kaum akzeptabel.

Als mögliche Verhandlungspartner aufseiten der Chavistas käme der ehemalige Innenminister Miguel Rodriguez Torres infrage. Der General a. D. war 2014 zugleich für den berüchtigten Geheimdienst zuständig, als die Protestwelle durch die Straßen rollte. Es ist kein Geheimnis, dass Torres dabei die berüchtigten Colectivos, die regierungsfreundlichen, bewaffneten, paramilitärischen Gruppen, im Zaum gehalten hatte. Dazu könnte Henri Falcón kommen, ebenfalls ein ehemaliger General und seit 2008 Gouverneur im Bundesstaat Lara. Beide könnten das Scharnier zwischen Chavismus und Opposition bilden.

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