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Fügen in die Lächerlichkeit

Die Regierung

  • Heiko Werning
  • Lesedauer: 3 Min.

Älterwerden hat eine schlechte PR-Abteilung. Dabei ist nichts idiotischer, als sich gegen etwas zu sträuben, was noch unabänderlicher kommt als, sagen wir, der Aufruf zum totalen Krieg von Julian Reichelt oder der nächste antisemitische Ausfall von Jakob Augstein. Noch idiotischer wird es, wenn man zurückblickt. In die Zeit, als man jünger war und eben einfach nur »ein Idiot mehr«, wie Die Regierung auf ihrem Monument gewordenen Album »unten« von 1994 lakonisch festhielt: »Ich fühl mich so super angenehm / im nächsten Moment hätt ich Lust jemand umzubringen / und ich hab die Männer kommen sehen / und ich hab die Männer gehen sehn / und ich war mir sicher, dass ich anders bin / ja aber schau mich an / hier bin ich / ein Idiot mehr / der dich liebt.« Wunderbar beiläufig dahingenölt von der unverkennbaren Sprechgesangsstimme Tilman Rossmys. Da war alles drin: das Leiden am Wesentlichen, das diese Schmerzleugner immer abschütteln wollten, und das Ergeben in die eigene Lächerlichkeit.

»Unten« bot einen Hit nach dem anderen und rundete den aufbrausenden Zorn der Vorgängeralben, »Supermüll« und »so drauf« elegant ab. Danach löste Die Regierung sich auf. Kritiker und Indie-Musiknerds hatten sich vor Lob überschlagen, die Akteure der Hamburger Schule gaben Die Regierung als Inspirationsquelle an, einzig: Das Massenpublikum hatte sich stets ferngehalten. Er hätte sich fortan als unverstandenes Genie gerieren können, aber Rossmy nahm die verschmähte Liebe des Mainstreams als ebenso gegeben hin wie die einer unerreichten Frau und fügte sich.

Und nun, fast ein Vierteljahrhundert später, ist Die Regierung wieder da. Immer noch mit kaum je mehr als fünf Akkorden pro Song, immer noch mit Schrabbelgitarren, erstaunlich schnell sogar, vor allem mit dem immer noch etwas zu leise abgemischten Quaken Rossmys, und es geht einem sogleich das Herz auf. Vielleicht Nostalgie. Aber in derselben lässigen Weise, wie Rossmy auch früher großen Gefühlen begegnete. Der fehlende Erfolg? Tja nun: »Ja, irgendwann haben wir alle gedacht / da draußen ist viel mehr Kundschaft / mit einem Interesse an der eigenen Geschichte / an Geschichten von bemerkenswerten Menschen«.

Klar, es hätte auch alles anders kommen können: »Würde ich noch mal an dieser Kreuzung stehen / würde ich dann wirklich in eine andere Richtung gehen? / Und wären wir damals zusammengeblieben / würden wir dann immer noch in Hamburg leben?« Aber es ist, wie es ist: »Also kommt ihr Mädels und kommt ihr Jungs / hebt eure Gläser und trinkt auf uns / unsere Gegenwart ist eure Zukunft / denn wir sind auf dem Weg nach draußen.« Aber bis Die Regierung wirklich »raus« ist, so der Titel der neuen Platte, wird es hoffentlich noch eine gute Weile dauern. Eine gute Weile, in der noch viele schöne Lieder geschrieben werden können.

Die Regierung: »Raus« (Staatsakt)

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