Noch nicht ausrangiert

Regierungschef kämpft um Jobs im Hennigsdorfer Bombardier-Werk

Straßenbahnen für die Berliner Verkehrsgesellschaft, Regionalzüge für Baden-Württemberg und den neuen ICE 4 für die Deutsche Bahn - das sind Schienenfahrzeuge, die der kanadische Konzern Bombardier gegenwärtig in seinem Werk in Hennigsdorf (Oberhavel) fertigt. Doch dort sind 900 der jetzt noch 2300 Jobs in Gefahr. Denn die Bosse beabsichtigen, weltweit 5000 Arbeitsplätze einzusparen, wobei noch unklar ist, wie stark dies die sieben deutschen Stadtorte des Unternehmens betrifft. Offenbar soll aber die Produktion in Hennigsdorf eingestellt werden. Nur die Entwicklungsabteilung mit ihren allein rund 1000 Ingenieuren soll dem Vernehmen nach am Standort verbleiben.

Dabei seien die Auftragsbücher schon bis ins Jahr 2020 hinein voll, erinnert der Betriebsratsvorsitzende Michael Wobst am Freitag. Es gehe den Chefs um bloße Konzentration. Die Restaufträge würden vielleicht im sächsischen Bautzen oder in China erledigt werden. Das mache die Kollegen sauer. Zumal wahrscheinlich nicht einmal angeboten werde, nach Bautzen zu wechseln. Denn das Werk in Görlitz solle ebenfalls bluten, und die Beschäftigten dort seien viel näher dran an Bautzen.

Was nun aus ihnen wird, wissen die Arbeiter in Hennigsdorf noch immer nicht. Die Hängepartie dauert an. Denn mit seinen ganz konkreten Vorstellungen rückt der Konzern nicht heraus. Am Freitag gab es wieder eine Betriebsversammlung - im Sportkomplex an der Spandauer Allee 12, schräg gegenüber vom Haupteingang der Niederlassung. »Die Stimmung unter der Belegschaft ist natürlich nach wie vor gereizt«, sagt Betriebsrat Wobst nach eineinhalb Stunden. Neue Erkenntnisse über die Absichten der Geschäftsleitung hat er nicht gewonnen. Er hat auch »überhaupt keine Hinweise«, dass an den Meldungen etwas dran wäre, dass Siemens und Bombardier über die Zusammenlegung ihrer Zugsparten verhandeln. Hartnäckig halten sich die Gerüchte darüber. Eine Bestätigung dafür gibt es aber nicht, und Wobst fürchtet, nach einer Fusion könnte erneut nur etwas wegrationalisiert werden.

Immer wieder treten einzelne Kollegen während der Betriebsversammlung im Blaumann aus einem Seiteneingang des Sportkomplexes heraus, um zwischendurch eine Zigarette zu rauchen. Sie sind sichtlich nervös, angespannt. »Wir haben wenig Hoffnung«, winken sie enttäuscht ab. »Ob es Siemens heißt oder Bombardier, ist uns egal. Hauptsache Arbeit«, sagt einer. 53 Jahre ist er alt. Seit 27 Jahren verdient er hier seine Brötchen. »Wir haben alle Familien. Die müssen wir ernähren.« In seinem Alter werde er in der Branche bestimmt keinen anständig bezahlten Job mehr finden. Schließlich bauen andere Schienenfahrzeughersteller auch Personal ab. Höchstens noch als Leiharbeiter könnte er mit etwas Glück vielleicht irgendwo unterkommen, für einen Billiglohn. »Einen Tausender im Monat weniger kann man rechnen«, klagt der 53-Jährige. Von Umschulung ist auch die Rede. In welchen Beruf? »Keine Ahnung!«

Bürgermeister Andreas Schulz (SPD) hält es für fatal, wenn Produktion und Entwicklung wirklich auseinandergerissen werden. »Das wäre der Anfang vom Ende. Für die Stadt wäre es eine Katastrophe.« Bombardier würde so zum »Totengräber« einer mehr als 100-jährigen Tradition des Schienenfahrzeugbaus in Hennigsdorf werden.

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist am Freitag gekommen und hat in der Betriebsversammlung gesprochen. Im Namen der rot-roten Landesregierung erklärt er: »Zunächst einmal ist es für uns immens wichtig, dass Hennigsdorf als starker Bahnstandort erhalten bleibt.« Nach Ansicht Woidkes gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Produktion mit den Arbeitsplätzen hier zu belassen. »Die Belegschaft ist qualifiziert und hochmotiviert«, betont er. Das Konzept, dass die Abwicklung der Produktion beinhaltet, überzeugt ihn nicht. Das Land biete Fördermittel an, um die Zukunft des Werks in Hennigsdorf zu sichern, sagt Woidke. Aber bislang sei von dem Unternehmen kein Antrag gestellt worden. »Der Zug für Hennigsdorf ist aus meiner Sicht noch nicht abgefahren«, versichert der Ministerpräsident. »Es wird ein harter Kampf.«

Bei den Arbeitern sei es gut angekommen, dass sich der Regierungschef persönlich kümmert, bemerkt Betriebsrat Wobst. Doch juckt es den Weltkonzern Bombardier überhaupt, was der Ministerpräsident eines kleinen Bundeslandes denkt und tut? »Nein«, bedauert Wobst. Am 26. April hat er den nächsten Termin bei der Geschäftsleitung.

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