Ein Nadelstich, und das Glück ist dahin - Zöllner singt Karma

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

In seiner Autobiografie »Die fernen Inseln des Glücks« kam Dirk Zöllner vor fünf Jahren auch auf die Kunstarbeit des Textens zu sprechen. In der Popmusik, wie er sie repräsentiere, funktioniere es emotional am besten, wenn der Sänger seine Songtexte selbst verfasse - »ein Knochenjob«. Es gebe allerdings einen Fall, in dem diese Maxime außer Kraft gesetzt sei: die Zusammenarbeit des Songdichters Werner Karma mit der Band Silly. Wie groß Zöllners Bewunderung für die scheinbar einfachen, dabei nicht selten das ganze menschliche Dilemma tief auslotenden Verse Karmas ist, manifestiert sich bereits im Titel seines Buches: »Die fernen Inseln des Glücks« ist eine Zeile aus dem Song »Immer einer«, den Karma dereinst für Zöllner schrieb.

Das Lied ist nun in einer Neuaufnahme auch auf dem aktuellen Zöllner-Album zu hören, das seinen Titel - »Dirk & Das Glück« - schon deshalb ganz zu Recht trägt, weil es für den Sänger ein wahres Hochgefühl gewesen sein muss, endlich eine Platte ausschließlich mit Karma-Texten aufnehmen zu dürfen. So vielfältig die enthaltenen Stücke thematisch und musikalisch auch sind, es eint sie das Motiv des Glücks als höchst zerbrechliches Gut - flüchtig wie das Helium in den gelben Ballons, die das Cover und die Werbung für die Platte prägen. Ein einziger Stich mit der Nadel, und alle pralle Freude ist dahin.

Ein solcher Stich muss es für Karma gewesen sein, als Silly ihm seine Texte plötzlich zurückschickte. Auf ihrem ersten Album mit der Band hatte Anna Loos noch Verse Karmas gesungen, doch nun wollte die neue Frontfrau mit ihren eigenen Worten arbeiten. Karma war nach Jahrzehnten abserviert worden. So empfand es auch Zöllner, der darüber so erbost gewesen sein soll, dass er jenes Silly-Album »Wutfänger« aus dem Autofenster schleuderte. Aber wo Unglück waltet, ist das Glück nicht fern: Eine Zufallsbegegnung zwischen Karma und Zöllner war der Ausgangspunkt für »Dirk & das Glück«. Es dauerte eine Weile, bis er den Dichter überredet hatte, aber dann willigte er ein: Ein Großteil des Wortmaterials, das Zöllner und vier seiner Bandmitglieder hier mit Leidenschaft zum Klingen und Swingen bringen, war ursprünglich für Silly vorgesehen. Eine Resteverwertung? Mitnichten. Das Ergebnis dürfte Zöllner- und Karma-Fans gleichermaßen begeistern, das angesprochene Publikum mithin vervielfachen.

Gleich zum Auftakt der Platte kommt mit vollem Pathos, aber ohne Kitsch, ein Liebesduett, das ursprünglich Anna Loos und Jan Josef Liefers auf den Leib geschrieben worden war. Nun sind es Zöllner und Steffi Breiting, die hier der Liebe selbst ihre Liebe erweisen. Neben Stücken über die Höhenflüge und Abgründe zwischenmenschlichen Verlangens stehen Lieder, die das Individuum ungeschützt den Zumutungen der Gegenwart aussetzen. Einmal ist es die ernüchternde Erfahrung, nicht mehr gebraucht zu werden, dann das Leiden des Soldaten, sein Leben an die Interessen höherer Mächte verkauft zu haben, schließlich das Rasen im atemlosen Beschleunigungsstrudel. Zwischen seichtem Pop, zuckendem Blues und schwerelosem Funk finden die Musiker immer eine passende Lösung. Mit einem harten Rockriff à la Rammstein überrascht dann das vegetarische Schlussstück, in dem die Mastschweine erbarmungslos zur Schlachtbank geführt werden.

Die nächsten Termine der Release-Tour stehen am 5. Mai in Rostock und am 6. in Gera an. Bereits an diesem Donnerstag sind Zöllner und sein engster Mitstreiter André Gensicke, der auf dem neuen Album nach 30 gemeinsamen Jahren erstmals auch als Leadsänger zu hören ist, zu Gast bei Kathy Kreuzberg und ihrem Berliner Nachtgesang. Das Doppelkonzert in der Galerie jammin’ (Alt Köpenick 18) beginnt um 19 Uhr. Martin Hatzius Foto: Buschfunk

Dirk Zöllner: »Dirk & Das Glück« (Buschfunk)

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