Das Ganze und sein Detail

»Sai bo gu je man gwen chan a«, »Tuyas Ehe« und »Die Fälscher« im Wettbewerb

  • Egon Günther
  • Lesedauer: ca. 5.5 Min.
Sai bo gu ji man gwen chan a (I'm A Cyborg, But That's OK), Korea
Als ich das Wort Korea hörte, hoffte ich einen Augenblick, die Jury habe uns einen Film aus Nordkorea beschert, ein Unikum also, aus dem wir trotz aller Gegenmaßnahmen einer eifernden kommunistischen Staatsführung etwas herausfinden könnten über Lust und Leid, über die Gefühle und Hoffnungen der Staatsangehörigen von Nordkorea, dem fernsten Land, gar ein Echo der Bombe oder im schlimmsten Falle eine Übereinstimmung der Bevölkerung mit den Machthabern. Filme, auch wenn sie noch so zensiert oder verlogen sind, können nie ganz die wirklichen Verhältnisse verschweigen. Sehr zum Ärger der Diktatoren plaudern Filme immer auch Wahrheiten aus. Manchmal stecken sie zwischen den Wörtern, in den Pausen, in einem Liedfetzen, in einem Lachen. Lenin hat das gewusst, wohl auch gefürchtet. Nein, angekündigt für die Berlinale war ein Film von Park Chan-wook. Und dieser Film hat es in sich.
Ich fürchte, er ist so ungewöhnlich, man muss aufpassen, ihm nicht Unrecht zu tun. Er hat Humor, irgendeinen ausländischen, fast außerirdischen, vielleicht aber nur asiatischen. Er spielt in einem Irrenhaus, einer piekfeinen Nervenklinik. Die Insassen hausen interessanterweise komfortabel in nicht getrennten Abteilungen, laufen frei herum. Die Männer stecken in weißen Kitteln, irgendwie Freizeitklamotten, weitgeschnittene Hosenbeine, offenbar nichts drunter, so dass ihnen gern eine große Falte zwischen die Hinterbacken gerät, die der Mann dann nervös hinter sich greifend herauszupft. Frauen tragen weite knöchellange Röcke. Auch die Ärzte und Schwestern sind weiß gekleidet. Die ganze Anstalt ist weiß.
Die Farbe Weiß fällt auf in diesem Film. Manche männliche Patienten haben sich aus weißer Pappe und Klarsichtfolie so etwas wie Ritterhelme oder Tiermasken gebastelt, die sie von Fall zu Fall über den Kopf stülpen. So akzentuieren sie Gespräche, verstecken die Gesichter, legen sie wieder frei.
Lustwandeln ohne Aufsicht können alle in einer außerordentlich gepflegten, weitläufigen Gartenlandschaft. Es fällt kein lautes Wort. Gegessen wird gemeinsam und gesittet. Es gibt keinen Sex. Er wird auch nicht erwähnt. Aber da ist ein Mädchen unter den Patientinnen, die kann aus ihren zehn Fingerkuppen kurze Gewehrmündungen ausfahren, und mit ausgestreckten Armen erschießt sie dann und wann kalaschnikowmäßig Ärzte und Patienten. Ein Blutbad ohnegleichen richtet sie an. Danach geht alles wieder seinen Gang. Es ist nicht so, dass alles nur als ob geschieht, es passiert real als Szene. Es hat einen weltkritischen, menschenverachtenden Gestus. Sie schießt immer mal wieder. Einmal sagt das Mädchen ernsthaft: Ich bin ein Cyborg. Danach gehen alle wieder, jeder an seinen Rückzugsort, oder sie ergehen sich im wunderschönen Parkgelände.
Niemand schreitet gegen die Schieß-Eskapaden ein. Es ist durchaus so, dass Welt und Weltzustände, die immer irrer werden, gemeint sind. Man macht sich aber wohl auch ein bisschen lächerlich, wenn man das alles beim Wort nähme. Der Film, in dieser Art fortfahrend, hört irgendwann auf. Der Cyborg ist übrigens ein wunderschönes Mädchen, wie vermutlich alle Frauen im fernen Korea. Zugegeben, so etwa Schönes wie diesen Film oder die schöne Schauspielerin habe ich lange nicht gesehen. Aber was soll er auf der Berlinale? Oder muss man das nicht so streng sehen? Vielleicht ist er ja doch eine Weltbestandsaufnahme?

Tuyas Ehe, China
Es wird Mandarin gesprochen, meistens geschrieen. Es ist ein lauter Film. Wie so oft in chinesischen Filmen, er spielt diesmal offenbar in einer mongolischen Region, ist die Landschaft erschütternd schön. Zwei Pferde spielen mit, man wird das Gefühl nicht los, sie verstünden auch Mandarin, so sehr hören sie zu und laufen nie weg. Ferner tritt auf ein selbstbewusstes, braunwolliges Kamel. Es trägt den Kopf hoch, ist nie schlechter Laune und bleibt immer bei der Frau. Ich denke, dass es eine Stute ist. Man sieht es am Gebaren. Tuya, die Heldin, ist schön und etwa achtundzwanzig, hat zwei Kinder und keinen Mann. Ich habe nicht mitbekommen, wo er geblieben ist. Sie sucht aber einen. Genau gesagt ist es so, dass man ihr die Bude, die Jurte, einrennt und alle sie haben wollen - alte, junge, nicht mehr ganz junge, aber wohlhabende Männer, denn der Laden muss laufen. In jeder Beziehung.
Alleinstehende Frauen sind gegen die Weltordnung. Sie erschüttern sie. Deshalb sind alle Frauen so froh und singen, wenn endlich geheiratet wird. Tuya weint. Am Ende, nach einem sehr prachbescheidenen Film, den einmal ein Schneesturm unterbricht, aus dessen Grauen Tuya ihren Sohn per Kamelstute rettet, empfängt sie hartnäckige Freier und bewirtet sie mit Schnaps. Aber sie kann sich lange nicht entscheiden.
Tuya hat eine stille Zuneigung zu einem jungen Mann. Den nimmt sie nicht. Sie gibt keine Auskunft. Keiner weiß warum, Niemand kann ihr Gesicht lesen, was für ein Glücksfall für einen Film. Sie nimmt dann den Doofsten, den Unbedarftesten, er ist schon zum zweiten oder dritten Mal mit seinem Vater gekommen. Jetzt ist er auserwählt von Tuya, nimmt aber nicht mal den Schnaps, den sie ihm anbietet. Sie trinkt ihn selbst. Und es geht unsereinen eigentlich auch gar nichts an, wie sie sich entscheidet. In anderen Filmen gälte das als dramaturgischer Schnitzer, hier nicht. Der Film hat ein großes ästhetisches Potenzial. Für dieses stehen die Landschaft, die Tiere, die Frauenschönheit, die Schweigsamkeit. Und es mag sein, dass vielleicht die Liebe, so weit weg in Asien, in dieser ganz anderen, ganz anders reichen Welt, wo viele Dinge nötig sind zum Leben und Durchkommen, dass Liebe auch eine anderer Stelle hat, nicht die erste. Der Film gehört in die Kinos. Aber auf die Berlinale? Ach ja. Na ja. Doch, doch. Ich frage mich, ob es strengere oder sagen wir andere Maxime gibt.

Die Fälscher, Deutschland
Diese Geschichte ist außerordentlich. Es ist unerheblich, ob sie erfunden ist oder wirklich passierte. Sie ist dramatisch. Deshalb gehorcht sie auch leicht den dramaturgischen Regeln. Was diesen KZ-Häftlingen passiert ist, rührt an Herz, Seele, Verstand und politisches Bewusstsein. Sie ist effektvoll erzählt.
Ein krimineller Geldfälscher gerät ins Konzentrationslager der Nazis, nicht weil er Geldfälscher ist, sondern Jude. Um zu überleben, schließt er einen Pakt mit dem Teufel. Er bietet an, englische Pfundnoten, später auch amerikanische Dollar, so gut und in großen Mengen herzustellen, dass keiner den Schwindel merkt. Mit den großen Geldmengen könnten die Nazi-Schergen den Krieg sogar gewinnen. So rettet oder fristet er sein und anderer KZ-Genossen das Leben. Die Rechnung geht auf. Die meisten an der Fälschung beteiligten Juden überleben ...
Vielleicht ist es gerade die gut funktionierende Dramaturgie, in anderen Stoffen, anderen Filmen so oft gesehen, die mich unruhig macht, als gehörten diese Mittel da nicht hin, als müssten solche Stoffe Ausnahmegesetzen gehorchen. Nicht der Regel.Sai bo gu ji man gwen chan a (I'm A Cyborg, But That's OK), Korea
Als ich das Wort Korea hörte, hoffte ich einen Augenblick, die Jury habe uns einen Film aus Nordkorea beschert, ein Unikum also, aus dem wir trotz aller Gegenmaßnahmen einer eifernden kommunistischen Staatsführung etwas herausfinden könnten über Lust und Leid, über die Gefühle und Hoffnungen der Staatsangehörigen von Nordkorea, dem fernsten Land, gar ein Echo der Bombe oder im schlimmsten Falle eine Übereinstimmung der Bevölkerung mit den Machthabern. Filme, auch wenn sie noch so zensiert oder verlogen sind, können nie ganz die wirklichen Verhältnisse verschweigen. Sehr zum Ärger der Diktatoren plaudern Filme immer auch Wahrheiten aus. Manchmal stecken sie zwischen den Wörtern, in den Pausen, in einem Liedfetzen, in einem Lachen. Lenin hat das gewusst, wohl auch gefürchtet. Nein, angekündigt für die Berlinale war ein Film von Park Chan-wook. Und dieser Film hat es in sich.
Ich fürchte, er ist so ungewöhnlich, man muss aufpassen, ihm nicht Unrecht zu tun. Er hat Humor, irgendeinen ausländischen, fast außerirdischen, vielleicht aber nur asiatischen. Er spielt in einem Irrenhaus, einer piekfeinen Nervenklinik. Die Insassen hausen interessanterweise komfortabel in nicht getrennten Abteilungen, laufen frei herum. Die Männer stecken in weißen Kitteln, irgendwie Freizeitklamotten, weitgeschnittene Hosenbeine, offenbar nichts drunter, so dass ihnen gern eine große Falte zwischen die Hinterbacken gerät, die der Mann dann nervös hinter sich greifend herauszupft. Frauen tragen weite knöchellange Röcke. Auch die Ärzte und Schwestern sind weiß gekleidet. Die ganze Anstalt ist weiß.
Die Farbe Weiß fällt auf in diesem Film. Manche männliche Patienten haben sich aus weißer Pappe und Klarsichtfolie so etwas wie Ritterhelme oder Tiermasken gebastelt, die sie von Fall zu Fall über den Kopf stülpen. So akzentuieren sie Gespräche, verstecken die Gesichter, legen sie wieder frei.
Lustwandeln ohne Aufsicht können alle in einer außerordentlich gepflegten, weitläufigen Gartenlandschaft. Es fällt kein lautes Wort. Gegessen wird gemeinsam und gesittet. Es gibt keinen Sex. Er wird auch nicht erwähnt. Aber da ist ein Mädchen unter den Patientinnen, die kann aus ihren zehn Fingerkuppen kurze Gewehrmündungen ausfahren, und mit ausgestreckten Armen erschießt sie dann und wann kalaschnikowmäßig Ärzte und Patienten. Ein Blutbad ohnegleichen richtet sie an. Danach geht alles wieder seinen Gang. Es ist nicht so, dass alles nur als ob geschieht, es passiert real als Szene. Es hat einen weltkritischen, menschenverachtenden Gestus. Sie schießt immer mal wieder. Einmal sagt das Mädchen ernsthaft: Ich bin ein Cyborg. Danach gehen alle wieder, jeder an seinen Rückzugsort, oder sie ergehen sich im wunderschönen Parkgelände.
Niemand schreitet gegen die Schieß-Eskapaden ein. Es ist durchaus so, dass Welt und Weltzustände, die immer irrer werden, gemeint sind. Man macht sich aber wohl auch ein bisschen lächerlich, wenn man das alles beim Wort nähme. Der Film, in dieser Art fortfahrend, hört irgendwann auf. Der Cyborg ist übrigens ein wunderschönes Mädchen, wie vermutlich alle Frauen im fernen Korea. Zugegeben, so etwa Schönes wie diesen Film oder die schöne Schauspielerin habe ich lange nicht gesehen. Aber was soll er auf der Berlinale? Oder muss man das nicht so streng sehen? Vielleicht ist er ja doch eine Weltbestandsaufnahme?

Tuyas Ehe, China
Es wird Mandarin gesprochen, meistens geschrieen. Es ist ein lauter Film. Wie so oft in chinesischen Filmen, er spielt diesmal offenbar in einer mongolischen Region, ist die Landschaft erschütternd schön. Zwei Pferde spielen mit, man wird das Gefühl nicht los, sie verstünden auch Mandarin, so sehr hören sie zu und laufen nie weg. Ferner tritt auf ein selbstbewusstes, braunwolliges Kamel. Es trägt den Kopf hoch, ist nie schlechter Laune und bleibt immer bei der Frau. Ich denke, dass es eine Stute ist. Man sieht es am Gebaren. Tuya, die Heldin, ist schön und etwa achtundzwanzig, hat zwei Kinder und keinen Mann. Ich habe nicht mitbekommen, wo er geblieben ist. Sie sucht aber einen. Genau gesagt ist es so, dass man ihr die Bude, die Jurte, einrennt und alle sie haben wollen - alte, junge, nicht mehr ganz junge, aber wohlhabende Männer, denn der Laden muss laufen. In jeder Beziehung.
Alleinstehende Frauen sind gegen die Weltordnung. Sie erschüttern sie. Deshalb sind alle Frauen so froh und singen, wenn endlich geheiratet wird. Tuya weint. Am Ende, nach einem sehr prachbescheidenen Film, den einmal ein Schneesturm unterbricht, aus dessen Grauen Tuya ihren Sohn per Kamelstute rettet, empfängt sie hartnäckige Freier und bewirtet sie mit Schnaps. Aber sie kann sich lange nicht entscheiden.
Tuya hat eine stille Zuneigung zu einem jungen Mann. Den nimmt sie nicht. Sie gibt keine Auskunft. Keiner weiß warum, Niemand kann ihr Gesicht lesen, was für ein Glücksfall für einen Film. Sie nimmt dann den Doofsten, den Unbedarftesten, er ist schon zum zweiten oder dritten Mal mit seinem Vater gekommen. Jetzt ist er auserwählt von Tuya, nimmt aber nicht mal den Schnaps, den sie ihm anbietet. Sie trinkt ihn selbst. Und es geht unsereinen eigentlich auch gar nichts an, wie sie sich entscheidet. In anderen Filmen gälte das als dramaturgischer Schnitzer, hier nicht. Der Film hat ein großes ästhetisches Potenzial. Für dieses stehen die Landschaft, die Tiere, die Frauenschönheit, die Schweigsamkeit. Und es mag sein, dass vielleicht die Liebe, so weit weg in Asien, in dieser ganz anderen, ganz anders reichen Welt, wo viele Dinge nötig sind zum Leben und Durchkommen, dass Liebe auch eine anderer Stelle hat, nicht die erste. Der Film gehört in die Kinos. Aber auf die Berlinale? Ach ja. Na ja. Doch, doch. Ich frage mich, ob es strengere oder sagen wir andere Maxime gibt.

Die Fälscher, Deutschland
Diese Geschichte ist außerordentlich. Es ist unerheblich, ob sie erfunden ist oder wirklich passierte. Sie ist dramatisch. Deshalb gehorcht sie auch leicht den dramaturgischen Regeln. Was diesen KZ-Häftlingen passiert ist, rührt an Herz, Seele, Verstand und politisches Bewusstsein. Sie ist effektvoll erzählt.
Ein krimineller Geldfälscher gerät ins Konzentrationslager der Nazis, nicht weil er Geldfälscher ist, sondern Jude. Um zu überleben, schließt er einen Pakt mit dem Teufel. Er bietet an, englische Pfundnoten, später auch amerikanische Dollar, so gut und in großen Mengen herzustellen, dass keiner den Schwindel merkt. Mit den großen Geldmengen könnten die Nazi-Schergen den Krieg sogar gewinnen. So rettet oder fristet er sein und anderer KZ-Genossen das Leben. Die Rechnung geht auf. Die meisten an der Fälschung beteiligten Juden überleben ...
Vielleicht ist es gerade die gut funktionierende Dramaturgie, in anderen Stoffen, anderen Filmen so oft gesehen, die mich unruhig macht, als gehörten diese Mittel da nicht hin, als müssten solche Stoffe Ausnahmegesetzen gehorchen. Nicht der Regel.

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