Spatzen lieben Chaos - und deshalb Berlin

Beim Naturschutztag ging es um Artenvielfalt / Auch seltene Schmetterlinge fühlen sich wohl

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Sie tragen so ausgefallene Namen wie »Silberfleckspinner«, »Zierliche Goldeule«, »Unveränderliches Blutströpfchen« und fühlen sich seit langer Zeit in Berlin zu Hause. Die drei zu den Schmetterlingen zählenden Insekten haben sich zum Beispiel in Treptow-Köpenick eingerichtet. So suchte sich der Silberfleckspinner das Naturschutzgebiet Krumme Lake in Grünau als Wohnsitz aus. Das fanden Entomologen heraus, deren Spezialgebiet die Insektenkunde ist.
Seit 50 Jahren sind sie in Berlin und Brandenburg hinter den Winzlingen her, um deren Lebensweise zu erkunden. Thomas Ziska von der Fachgruppe Entomologie beim Naturschutzbund berichtete am Wochenende während des 8. Berliner Naturschutztages im Umweltforum der Friedrichshainer Auferstehungskirche über die Ergebnisse der Erforschung von Schmetterlingen, Käfern, Bienen, Ameisen. Das Interesse der Fachleute und Laien war groß.
Ab 1993 wurde das Gebiet an der Krummen Lake in Grünau wieder in den ursprünglichen Zustand als Feuchtgebiet zurückversetzt. Inzwischen fühlen sich dort 1021 Insektenarten zu Hause, darunter allein über 600 Schmetterlingsarten. Dazu gehört der äußerst seltene Silberfleckspinner.
Ein zweites Paradies für Hautflügler ist die »Bahnbrache Biesenhorster Sand« zwischen Biesdorf und Wuhlheide. Dort zählten die Spezialisten 1703 Insektenarten. Das nach Feststellung der Entomologen äußerst gefährdete »Unveränderliche Blutströpfchen« ist hier noch anzutreffen. Ein drittes Projekt ist das »Tegeler Fließtal« zwischen Pankow und Reinickendorf. Hier flattert die seltene »Zierliche Goldeule« herum.
Von ein wenig größeren Flugtieren berichtete Christoph Saure vom Büro für Tierökologische Studien Berlin. Er hatte sein Augenmerk auf Bienen und Wespen im Landschaftspark Adlershof auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Johannisthal gerichtet. Seit 1990 gibt es hier botanische Untersuchungen, 169 Bienen- und 187 Wespenarten zählten die Experten. Da brummt es nur so von Kreiselwespen, Goldwespen, Pelzbienen, Spiralhornbienen, Distelhummeln und Bienenwölfen. Es gibt Bienen, die Schwarz-Gelb gezeichnet sind und so den Wespen ähneln, darum auch Wespenbienen genannt. Im Volksmund werden sie auch Kuckucksbienen genannt, da sie es diesem Vogel nachmachen und ihre Brut in fremde Nester legen. »Adlershof ist das artenreichste Bienen- und Wespengebiet«, stellte Saure fest. Die Brummer haben in Adlershof wunderbare Lebensbedingungen: Sie mögen Wärme, Trockenheit und eine Vielfalt von Blüten.
Jörg Böhner von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft ging der Frage nach, warum sich der Haussperling gerade in Berlin so wohl fühlt. Der Spatz liebt Körner, findet aber auch reichlich Nahrung in Mülltonnen. Dazu findet er ein hervorragendes Nistangebot an bröckelnden Hausfassaden. »Berlin ist die Hauptstadt der Spatzen, weil die Stadt so angenehm unordentlich ist«, so Böhner. Spatzen lieben Chaos. 240 000 Tiere seien 2006 gezählt worden. In Hamburg seien es knapp 30 000 gewesen.
Auch in Sachen Flora steht die Stadt nach Meinung der Fachleute recht gut da. 22 geschützte Gebiete gebe es mittlerweile - von der kleinen Pfaueninsel über die Zitadelle Spandau bis zum Spandauer Forst. In den Glienicker Parkanlagen finde man alte Buchenwälder. Die Vielzahl von Bäumen biete Pflanzen und Tieren Vegetationsraum.

Ökologische Leistungen einer 100-jährigen Buche von 25 Metern Höhe und einem Kronendurchmesser von 12-15 Metern:
die Blattfläche von etwa 1600 Quadratmetern verarbeitet an einem Sonnentag 18 Kilogramm Kohlendioxid;
Produktion von täglich bis 13 Kilogramm Sauerstoff (Tagesbedarf von zehn Menschen) und 12 Kilogramm Zucker;
Verdunstung von bis zu 400 Litern Wasser an Sonnentagen und eine Abkühlung im Kronenschatten von bis zu fünf Grad;
Filtern von Staub und anderen schädlichen Stoffen
Um diese Leistungen zu erbringen, wäre die Neupflanzung von 2500 Bäumen erforderlich.

Geschützt sind nach der gültigen Baumschutzverordnung:
alle Laubbäume ab einem Stammumfang von 80 Zentimetern, gemessen in einer Höhe von 1,30 Meter;
die Nadelgehölzart Waldkiefer,
die Obstbaumarten Walnuss und türkischer Baumhasel.

Nicht geschützt sind:
alle anderen Obst- und Nadelbäume.

Nachdem 2004 der Schutzstatus für viele Bäume aufgehoben wurde, sind vielerorts 10 bis 20 Prozent des Bestandes verschwunden.
Fast 70 Prozent der Straßenbäume und 34 Prozent der Waldbäume weisen deutliche Schäden auf.
In Berlin gibt es 416 700 Straßenbäume. Ein Drittel von ihnen ist älter als 40 Jahre.
2000-2005 wurden durchschnittlich 3933 Straßenbäume pro Jahr neu gepflanzt, gefällt durchschnittlich 4767.
Am häufigsten ist die Linde mit knapp 150 000 Exemplaren. Es folgen Ahorn (79 000), Eiche (36 600), Platane (25 000) und Kastanie (21 000). <...

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