Macron bekommt deutsche EU-Sicht zu spüren

Kaum gewählt, schon abgekanzelt: CDU, CSU und Unternehmenslobby stellen sich gegen französische Reformvorschläge

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Berlin. Eben noch war Emmanuel Macron von deutschen Regierungspolitikern zur Hoffnung Europas ausgerufen worden, doch nun bekommt der gewählte französische Präsident bereits die ersten politischen Ermahnungen aus Berlin und Brüssel zu hören. Es geht um die Pläne des Liberalen für Korrekturen an der inneren Architektur der EU - Macron plädiert für einen Eurozonen-Finanzminister, einen Haushalt der Euro-Zone, soziale Mindeststandards in der EU und für gemeinsame Anleihen der Euroländer. Umgehend meldeten sich Anhänger eines Austeritätseuropas und der deutschen Standortinteressen zu Wort.

»Weder die Eurozone noch Frankreich leiden an zu wenig Schulden«, sagte Finanzstaatssekretär Jens Spahn von der CDU der »Bild«. Auch sein Parteifreund Gunther Krichbaum Chef des Europaausschusses des Bundestages, lehnte eine »Vergemeinschaftung von Schulden« ab. Der FDP-Chef Christian Lindner hieb in dieselbe Kerbe: »Frankreich löst seine Probleme nicht auf Pump, sondern mit Wirtschaftsreformen. Wir hoffen auf Macron, aber mehr Schulden als erlaubt darf auch er nicht machen.«

Aus Sicht des Fraktionschefs der konservativen EVP im EU-Parlament, Manfred Weber, muss Macron überhaupt erst einmal eine Politik nach den Vorstellungen des CSU-Politikers machen, bevor er überhaupt für Änderungen in der EU plädieren darf. »Macron kann erst Reformschritte in Europa fordern, wenn er bewiesen hat, dass sein eigenes Land reformfähig ist«, sagte Weber der »Rheinischen Post«. Es schloss »eine Sonderbehandlung« für Frankreich, »nur weil es ein großes und wichtiges Land ist«, aus. Weber pochte auf die so genannte Haushaltsdisziplin, eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und einen Abbau der Staatsquote, die jetzt bei 56 Prozent liegt. Damit drängt Weber auf eine Verringerung der öffentlichen Ausgaben.

Ähnlich scharf äußerte sich er bayerische Finanzminister Markus Söder. »Wir freuen uns über Paris. Aber Eurobonds oder eine Transferunion sind der falsche Weg. Jedes Land muss seine Schulden selbst bezahlen«, twitterte der CSU-Politiker.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag stemmte sich ebenfalls sofort gegen die Überlegungen Macrons für ein Budget der Euro-Zone und die Ausgabe von Euro-Anleihen. »Von einer Vergemeinschaftung von Schulden halte ich nichts«, sagte der DIHK-Präsident Eric Schweitzer. »Das würde den Standort Deutschland und Europa schwächen, weil Kapitalanleger und Sparer das Vertrauen in den Euro verlieren könnten.« Macron hatte im Wahlkampf unter anderem ein eigenes neues Budget für die Euro-Zone gefordert. Zur Finanzierung des Budgets sind auch gemeinsame Anleihen der Euro-Länder, so genannte Euro-Bonds, im Gespräch, für die alle Euro-Länder gemeinsam haften würden.

Keinen Zentimeter von der bisherigen Architektur der EU will auch Haushaltskommissar Günther Oettinger abrücken. Er sagte, er halte »nicht viel« von Macrons Forderung nach einem Finanzminister der Euro-Zone. In der »Rhein-Neckar-Zeitung« sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die bisherigen Instrumente der Durchsetzung der vor allem von Berlin verfolgten Austeritätspolitik: »Die EU-Kommission überwacht die Haushaltsentwicklung. Die Eurogruppe hat über Finanzhilfen zu entscheiden. Und der ESM (der Europäische Stabilitätsmechanismus) steht bereit, um dies zu finanzieren. Es gibt derzeit keinen Grund, an dieser Architektur etwas zu ändern.«

In der Debatte werden aber auch die Differenzen innerhalb der Großen Koalition sichtbar. Ganz anders hatte sich nämlich nach der Wahl in Frankreich SPD-Außenminister Sigmar Gabriel eingelassen. »Es muss aufhören, dass wir den Franzosen ständig mit dem erhobenen Zeigefinger gegenübertreten, nichts mitmachen und sie sozusagen um jeden Millimeter Flexibilität in der Politik betteln lassen.« Auch Berlin müsse »alles dafür tun, dass Emmanuel Macron auch Erfolg hat. Das ist auch eine Verantwortung für uns Deutsche.«

Er hoffe, dass sich die Politik von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) um 180 Grad drehe. »Vielleicht merken jetzt auch die Konservativen in Deutschland, dass 0,5 Prozent mehr Defizit in Frankreich bei weitem nicht so teuer wird, als wäre Frau Le Pen Präsidentin.«

Der Sozialdemokrat hatte auch ausdrücklich den Wunsch geäußert, dass Macron ein fordernder Präsident werde. Der Zentrist und er hätten in ihrer Zeit als jeweilige Wirtschaftsminister verabredet, ein Eurogruppen-Budget einzuführen sowie Geld für Wachstum und Innovationen zur Verfügung zu stellen. Auch die Frage der finanziellen Zahlungen einzelner Länder für die EU wird von Gabriel anders beantwortet: »Wir müssen aufhören, so zu tun, als seien wir die Lastesel der Europäischen Union.« Die Bundesrepublik sei vielmehr ein großer finanz- und wirtschaftspolitischer Gewinner. Agenturen/nd

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