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Macronomics: Halb grün, voll asozial

Wie viel ökologisches Bewusstsein steckt im neuen französischen Präsidenten?

  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum gewählt, strömten in Paris tausende Menschen auf die Straßen, um gegen den neuen Präsidenten zu demonstrieren. Emmanuel Macron dürfte der Protest kaum gefallen. Immerhin ist es das ganz große Mitgefühl, das sich der jüngste Le Président aller Zeiten, jünger als Louis-Napoléon Bonaparte 1848 mit 40 Jahren, auf die Fahnen geschrieben hat.

Er werde »allen Französinnen und Franzosen das Vertrauen in sich selbst zurückzugeben«. Erstarrt sei die Grande Nation, »eine Weigerung die Welt zu sehen wie sie ist«, attestiert der Ex-Bankier seinen Landsleuten kollektiven Realitätsverlust. Nach 30 Jahren seien »weder das Problem der Massenarbeitslosigkeit noch das der Integration geregelt worden«, ist im Präsidentenprogramm des 39 Jahre alten Ex-Wirtschaftsministers von Präsident Francois Hollande in Richtung der politischen Eliten zu hören.

Neben dem »djihadistischen Terror«, »autoritären Regimen«, einem »amerikanischen Verbündeten, der seine diplomatischen Grundlagen zu überdenken scheint« nennt der Pariser Philosophieabsolvent in »meinem Vertrag mit der Nation« auch Umweltschutz als eine der vielen »Baustellen«, wo »radikale und neue Transformationen« passieren würden. So zwinge »uns der Klimawandel, unsere Lebensorganisation- und Stile neu zu überdenken«, heißt es blumig. Doch welche konkrete Öko-Politik ist vom frisch gebackenen Staatschef eines Landes zu erwarten, das maßgeblich dazu beigetragen hat, dass im Dezember 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen zustande kam? Und dessen Strom noch immer zu 75 Prozent aus Atomkraftwerken kommt?

Lange blieb Macrons ökologische Seite ungewiss. Weil in seinem Wahlprogramm bis auf eine 1000-Euro-Abwrackprämie für alte Autos, das Versprechen bis 2022 eine Million Häuser mit Wärmedämmung zu versorgen und Frankreich zum »Weltführer in der Forschung für die Ökowende« zu machen, indem man Wissenschaftlern einen Expresszugang zum Arbeitsmarkt erlaube, kaum Greifbares zu Energiewende und Klimapolitik zu finden war, rief die Umweltorganisation WWF die Kandidaten auf, endlich Farbe zu bekennen. Auch im letzten TV-Duell mit Gegenspielerin Marine Le Pen kamen Energiewende-Themen zur Sprache. Und, wie eine Umfrage ergab, zeigen sich in Frankreich 72 Prozent der Befragten interessiert an energie- und klimapolitischen Zukunftsfragen.

So viel war anschließend sicher: Unter Macron wird Frankreichs Energiewende nicht zu einer Energierevolution. Allerdings wird auch nichts zurückgedreht. Die alten Ausbauziele für Erneuerbare der abgewatschten Hollande-Administration, festgeschrieben im Energiewendegesetz von 2015, bleiben unberührt: 32 Prozent grüne Energie am Gesamtenergieverbrauch bis 2030, was 40 Prozent des Stromverbrauchs, 38 Prozent des Wärmeverbrauchs und 15 Prozent der im Transportbereich verbrannten Kraftstoffe entspricht. Der Anteil von Atomstrom soll sich bis 2025 auf 50 Prozent halbieren. Von einem Atomausstieg, wie in der linke Gegenkandidat Melonchon bis spätestens Mitte des Jahrhunderts gefordert hat, ist bei Macron keine Spur.

Ganz im Gegenteil war Macron immer schon ein Atomfan. Im April 2017 hatte der scheidende Hollande per Dekret die Betriebserlaubnis des AKW Fessenheim an der Grenze zu Deutschland kassiert. Wie sein Vorgänger sichert auch sein Nachfolger die endgültige Schließung des klapprigen Pannen-Atomkraftwerks zu ­- nach 40 Betriebsjahren. Als Wirtschaftsminister hatte sich der Ex-Investmentbanker immer gegen eine Abschaltung ausgesprochen. Schicht ist in Fessenheim allerdings erst 2018, wenn das Atomkraftwerk in Flamanville ans Netz geht. Insgesamt 58 Atomkraftwerke stehen in Frankreich und ein Ausstiegsplan ist nicht in Sicht. Dabei könnte Frankreich laut Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bis 2050 durchaus auf Atomkraft verzichten, ohne seine Klimaschutzziele und die Versorgungssicherheit zu gefährden.

Während der kalten Wintermonate musste Frankreich massiv erneuerbaren (!) Strom aus Deutschland importieren, es drohte ein Blackout. Erneuerbare sicherten also Atomkraftwerke ab, ein Treppenwitz der Energiewende-Debatte, in der Wind und Solar immer wieder vorgehalten wird, sie seien nicht zuverlässig. Diesmal war es anders: Viele französische AKWs mussten im Winter vorübergehend vom Netz und gewartet werden, weil sie zunehmend die Jahre kommen. Über Wochen hatte also auch erneuerbarer Strom aus Deutschland dafür gesorgt, dass die Franzosen mit ihren viele Elektroheizungen nicht frieren mussten.

Viele froren aber trotzdem. Weil sie sich Strom nicht leisten können. Drei Viertel aller Franzosen empfanden ihre Wohnung im Winter als zu kalt. In französischen Zeitungen wurde von Menschen berichtet, die bei acht Grad in eiskalten Wohnungen sitzen. Bereits zwölf Millionen Menschen, fast ein Fünftel der gesamten Bevölkerung, leidet unter Energiearmut. Dafür hat der gute Macron aus gutem Hause jedoch kein Auge.

Für ihn ist Armut auch sonst kein Thema. Im Gegenteil: Deutschlands Weg der »Schröderschen Reformen«, mit Hartz IV und einem riesigen Niedriglohnsektor, ist für ihn Vorbild. Der »Pro-Europäer« Macron will eine Fortsetzung der Sparpolitik für Europa und in seinem Land Sozialabbau, Lohnreduzierung und Rentenabbau fortsetzen – das ist für Frankreich aber auch für Südeuropa keine rosige Perspektive. Und es wird Le Pen, die ja jetzt schon ein Drittel der Stimmen bekommen hat, weiter stärken. Frankreich steht vielleicht das bevor, was Rot-Grün nach Jahren Kohl´scher Bleizeit hierzulande vorgemacht hat: Eine bisschen grün. Und voll asozial.

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