Frankreichs Linke: Rien ne va plus?

Mélenchon und die PCF im Streit, die Rest-Sozialdemokratie vor der Pulverisierung - und neue Versuche jenseits des alten Parteiensystems

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 9 Min.

Egal, welche Position vor der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl von Linken hier wie dort vertreten wurde - in einem schien so etwas wie Einigkeit auf: Das bisherige Parteiensystem ist Geschichte, eine Neuordnung auch der linken Kräfte steht an, die Parlamentswahl im Juni werde die erste Nagelprobe dafür sein, wie wirksam für soziale, solidarische Positionen unter den neuen Bedingungen gestritten werden könne.

Dieser Blick wurde oft mit dem Argument untermauert, vom neuen Präsidenten Emmanuel Macron sei die Fortführung neoliberaler Politik zu erwarten, gegen diese brauche es Widerstand - nicht zuletzt um zu verhindern, dass bei der nächsten Präsidentenwahl sich doch die Rechtsradikalen durchsetzen. Mitunter wurde der Hinweis beigefügt, die hohe Zahl von rund vier Millionen »weißen« und ungültigen Stimmen verweise auf ein Potenzial von Wählern, die von einer neuen Kraft angesprochen werden könnten.

In der Linkspartei setzen weiterhin viele auf Jean-Luc Mélenchon und dessen »La France Insoumise«. In einer Erklärung nach der Wahl, deren Überschrift in den eigenen Reihen zu einigem Zoff führte, erklärten zum Beispiel die beiden Fraktionschefs, es käme nun darauf an, »dass eine geeinte Linke bei den kommenden Parlamentswahlen in Frankreich antritt und auf das großartige Ergebnis von fast 20 Prozent« für Mélenchon aufbaue.

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch positionierten sich damit nicht anders als der Vorstand der Linkspartei, der in einer Erklärung nach der zweiten Wahlrunde meinte, Mélenchons »großartiger« Erfolg in der ersten Runde stelle »eine gute Basis für die erforderliche Stärkung der Linken dar«. Dies war vor allem gemünzt auf die Parlamentswahlen im Juni, bei denen »ein geeintes Auftreten der linken Kräfte« die Chancen verbessern werde.

Wie es aussieht, wird es dazu nicht kommen. Die Rest-Sozialdemokratie steht vor der Pulverisierung, Mélenchon hat mit überzogenen Bedingungen die Unterstützung seiner stark auf eine Person zugeschnittenen Formation durch die französischen Kommunisten verspielt und es mehren sich Ankündigungen, neue Bewegungen zu gründen - quer zu den alten Linien des politischen Systems.

In der »Welt« ist die Lage als eine beschrieben worden, bei der »die Trennlinie zwischen den Blöcken… nicht mehr zwischen rechts und links« verläuft, sondern sie entscheide »sich an der Frage, wie man zur Globalisierung und zu Minderheiten steht«. Vier politische Kräfte, die auch noch ungefähr gleich stark seien, würden von nun an die politische Landschaft bestimmen: »der liberale Block von Macrons En-Marche-Bewegung; der nationalistische Block von Marine Le Pen; der klassisch konservative Block der Republikaner und der rebellische Block von Mélenchons France Insoumise«.

Dass die Rest-Sozialdemokratie hier nicht einmal mehr auftaucht, ist angesichts eines Sechs-Prozent-Wahlergebnisses von Benoît Hamon in der ersten Runde und dem raschen Abfall führender Parteimandatare Richtung Macron naheliegend, lässt aber außer Acht, was nun mit der früheren Basis der Parti Socialiste geschieht. Mélenchon und seine Bewegung haben nur einen kleinen Teil früherer sozialdemokratischer, linksgrüner, linksliberaler Wähler für sich gewinnen können - als Kandidat der Front de Gauche hatte er 2012 etwas über 11 Prozent der Stimmen geholt, bei den Wahlen 2017 waren es 19,6 Prozent.

Dem linkssozialdemokratischen Kandidaten Benoît Hamon war vorgeworfen worden, nicht auf einen eigenen Antritt verzichtet zu haben - aber selbst wenn er dies getan hätte, würde man seine 6,4 Prozent nicht einfach zu Mélenchons Ergebnis hinzuaddieren können, schließlich gab und gibt es auch inhaltliche Gründe, dass Linke lieber auf Distanz zu »La France Insoumise« blieben. Bis hin zu den Mélenchon unterstützenden Intellektuellen war teils scharfe Kritik an dessen nationalistischer Rhetorik geübt worden. Dass »La France Insoumise« angesichts der Ergebnisgröße nun zum möglichen Ausgangspunkt neuer linker Sammlung genommen wird, ist verständlich. Sagt aber nichts aus über die realen Chancen einer neuen Sammlung der Linken.

Denn davon kann bisher keine Rede sein. Hamon hatte nach der zweiten Wahlrunde vorgeschlagen, eine »starke linke Kraft« aufzubauen, also von Mélenchons Bewegung über die Kommunisten der PCF, die ihn bei der Präsidentschaftswahl unterstützt hatten, bis hin zu den Wählern Hamons. Seitens der PCF hatte es schon vor der Präsidentenwahl Vorstöße in Richtung Mélenchon gegeben, Konkurrenzkandidaturen in einzelnen Wahlkreisen zu vermeiden - und zwar durch eine Art gemeinsame Plattform »Faire entrer le peuple à l’Assemblée« (»Die Bevölkerung in die Nationalversammlung bringen«). Die Idee der PCF war, sich jeweils nach den örtlichen Erfolgsaussichten und Kräfteverhältnissen über die jeweiligen Wahlkreis-Kandidaturen zu einigen.

Gespräche darüber blieben aber ergebnislos, Mélenchon bestand Berichten zufolge darauf, dass alle Kandidaten unter dem Label seiner Bewegung auftreten und deren Charta unterzeichnen müssten - was in den Augen der PCF einer Preisgabe der eigenen organisatorischen Identität gleichgekommen wäre. Quasi: Eine Übernahme der kommunistischen Partei durch »La France Insoumise«.

Eine seitens der Kommunisten vorgeschlagene abgespeckte Ersatzlösung, die auf eine Vereinbarung zum gegenseitigen Verzicht auf Konkurrenzkandidaturen in einer begrenzten Anzahl von Wahlkreisen hinausgelaufen wäre, scheiterte bisher ebenso. PCF-Chef Pierre Laurent wurde mit den Worten zitiert, »wir werden uns nicht France Insoumise anschließen«. Ob bis zum 19. Mai, dann endet die Nominierungsfrist für Kandidaten, noch eine Vereinbarung zwischen Kommunisten und Mélenchon erzielt werden kann, bleibt abzuwarten. In der »Humanité« hieß es aus Sicht der Kommunisten bereits »Rien ne va plus zwischen der France insoumise und dem PCF« - nichts geht mehr. Telepolis berichtet unter Bezugnahme darauf, »die Tür zur Vereinbarung zwischen den beiden für die Parlamentswahlen sei innerhalb von 48 Stunden geschlossen worden«.

PCF-nahe linke Beobachter haben das mit den Worten kommentiert, die Wahrscheinlichkeit sei nun »groß, dass weder die einen noch die anderen eine Mehrheit für ihre Kandidaten erreichen werden oder wenigstens 12,5 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten im jeweiligen Wahlkreis bekommen, um in die Stichwahl am 18. Juni zu kommen. Das wäre das Ende aller Hoffnungen auf eine starke linke Parlamentsfraktion oder gar eine linke Mehrheit in der Nationalversammlung.« Es scheint, als würden »Vernunft und Bereitschaft zur solidarischen Partnerschaft« eben nicht über die bekannten und üblichen »Streitigkeiten um Führungsansprüche im linken Lager« obsiegen.

Im österreichischen linken Portal mosaik-blog.at schreibt Benjamin Birnbaum, der für die Zeitschriften »Contretemps« und »Période« arbeitet, »dass die Veränderung der bestehenden Verhältnisse nicht mit internen, nicht enden wollenden Grabenkämpfen gelingt«. Das ist wohl so, Birnbaum verbindet dies mit einem Plädoyer für Mélenchon. Aber egal auf welcher Seite man steht, wenn dazwischen kein Land ist, auf dem man gemeinsam stehen kann, ist es immer noch ein Graben.

Derweil verfolgt der Sozialist Hamon weiterhin seine Pläne für eine parteiübergreifende linke Bewegung - diese solle Anfang Juli aus der taufe gehoben werden. »Ich glaube, die Linke muss sich erneuern«, sagte er Sender France Inter. Es gehe darum, »eine erfinderische Linke« wiederaufzubauen. Dass die Parti Socialiste im Parlamentswahlkampf Hamons Forderungen wie die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und einem Atomausstieg nicht mehr verfolgt, verweist freilich auch auf die prekäre Lage der Restsozialdemokraten. Hamon will die PS nicht verlassen, sagte aber, »ich werde die Ideen meines Wahlkampfs weiter verteidigen, sei es das bedingungslose Grundeinkommen oder die Ökologie«.

Wie Telepolis berichtet, wollen hier auch zumindest Teile der Grünen mitmachen, Parteichef Yannick Jadot habe mitgeteilt, »dass er bei der überparteilichen Bewegung mitmache, ohne seine Partei zu verlassen. Die Idee sei ja gerade, etwas zu schaffen, was über die Parteien und ihre Apparate hinausgehe.«

Und es gibt noch einen Versuch eines Neuanfangs jenseits des alten Parteiensystems: »Die Bürgermeisterin von Paris Anne Hidalgo, die frühere Justizministerin Christiane Taubira sowie die Bürgermeisterin von Lille, Martine Aubry, Mutter der 35-Stunden-Woche, kündigten die Gründung einer ›innovativen Bewegung‹ mit dem Namen ›Dès demain' an«, berichtet unter anderem die »Frankfurter Allgemeine«. Das Projekt, dessen Namen man mit »Schon morgen« übersetzen könnte, ist ein weiterer Versuch, die »alten Parteistrukturen« zu überwinden, es gehe um »humanistische Werte« und eine neue Sammlung - zwischen denen, die noch mehr Deregulierung befürworten und denjenigen, die auf Demagogie setzten, wie es in einem Beitrag für »Le Monde« heißt.

Hidalgo, Taubira und Aubry fordern eine »friedliche Revolution«, die darauf abziele, globale Herausforderungen anzugehen, dabei aber die Menschen vor Ort mitzunehmen. Eine Erneuerung der europäischen Demokratie, der Ökologie und des Sozialen ist das Ziel, es geht nicht zuletzt um die Bewahrung der »republikanischen Werte«, die nach Ansicht von »Dès demain« immer stärker unter die Räder zu geraten drohen.

Mélenchon hier, das Projekt »Schon morgen« dort, Hamon »erfinderische Linke« - und das ist noch längst nicht die ganze Liste. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hatte die Nouveau Parti anticapitaliste mit ihrem Kandidaten Philippe Poutou fast 400.000 Stimmen erhalten, die Bewerberin der trotzkistischen Lutte ouvrière, Nathalie Arthaud, kam auf über 230.000 Stimmen.

»Die Aufsplitterung der Linken ist eine gute Neuigkeit für den gewählten Präsidenten Macron«, schreibt die »Frankfurter Allgemeine«. Von wegen »geeintes Auftreten der linken Kräfte«. Mag sein, dass die nun anstehende Neuordnung noch mit einem Bein im »alten System« steckt und mit dem zweiten schon den Schritt in eine noch unklare Zukunft macht. Angesichts der realpolitischen Zwänge, zu denen auch der Terminkalender gehört, ist das alles kein Grund zum Optimismus.

Nicht zuletzt für die Linken hierzulande, wo immer man auch da die Grenze ziehen will: Eine jede Kursänderung ist heute nicht mehr bloß als Frage nationalstaatlicher Kräfteverhältnisse zu denken, sondern braucht auch einen wirksamen europäischen Gegenblock. Was in Frankreich geschieht, ist einerseits abhängig davon, ob die bundesdeutsche Linke mehr Gewicht auf die Waage bringen kann als die paar Gramm, die Presseerklärungen wiegen. Und was die französische Linke tut, wird ein Faktor dafür sein, wie es in Berlin weitergeht. Und in Madrid, in Lissabon, in Athen und so weiter.

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