Die neuen Regeln greifen nicht

Wie jetzt beim Giro d’Italia werden Begleitmotorräder immer häufiger zur Sturzursache bei Radrennen, Fahrerproteste blieben bislang ungehört

  • Christoph Leuchtenberg, Roccamorice
  • Lesedauer: 3 Min.

Geraint Thomas steckte der Schrecken noch in den Gliedern, als er am zweiten Ruhetag zur lockeren Trainingsfahrt aufbrach. »Das hätte richtig übel ausgehen können«, sagte der walisische Olympiasieger, dessen Chancen auf den Gesamtsieg beim Giro d’Italia am Sonntag von einem unvorsichtigen Motorradpolizisten zunichte gemacht worden waren. Auch wenn der Massencrash von Roccamorice verhältnismäßig glimpflich endete: Die Sicherheitsdiskussion im Radsport erhielt neue Nahrung. »So etwas ist absolut lächerlich«, schimpfte Thomas später, der sich bei dem Sturz die Schulter ausgekugelt und die Etappe mit mehr als fünf Minuten Rückstand beendet hatte. »Das darf niemals passieren.«

Doch was genau war passiert? Als das Feld in Richtung Schlussanstieg raste, stand auf der engen Provinzstraße 22 plötzlich ein Polizeimotorrad am linken Fahrbahnrand im Weg. Der Niederländer Wilco Kelderman kam zu Fall und löste eine Kettenreaktion aus. »Ich bin mit dem Lenker hängen geblieben«, sagte Kelderman, wichtigster Helfer seines Teamkapitäns Tom Dumoulin im deutschen Team Sunweb. Nicht auszudenken, welche Folgen ein ungebremster Frontalaufprall gehabt hätte. So brach sich Kelderman »nur« einen Finger, der Giro war für ihn trotzdem beendet. Thomas, dessen Teamkollege Mikel Landa und der Brite Adam Yates - gleich drei starke Klassementfahrer - verloren viel Zeit.

Der Vorfall ist Wasser auf die Mühlen derer, die Motorräder im Fahrerfeld als mitunter unkalkulierbares Risiko ansehen. 2016 war der Belgier Antoine Demoitié bei Gent-Wevelgem nach einem Zusammenprall mit einem Begleitmotorrad gestorben, wenig später lag Landsmann Stig Broeckx nach einem von Motorrädern verursachten Unfall bei der Belgienrundfahrt im Koma.

Auf Druck der Fahrervereinigung verabschiedete der Weltverband neue Richtlinien - und doch krachte es nun beim Giro, immerhin die zweitgrößte Radsportveranstaltung des Jahres. Renndirektor Mauro Vegni reagierte unverständlich gelassen: »Klar, das Motorrad gehört da nicht hin, aber so etwas kann eben passieren.« Während das Gros der Fahrer seinen Unmut kundtat, hielten sich die betroffenen Teams mit Kritik an den Organisatoren zurück. »Wir müssen jetzt ruhig bleiben und dürfen nicht überreagieren«, sagte Dave Brailsford, Chef von Thomas’ Team Sky. »Das alles ist emotional, aber wir müssen es in Ruhe bewerten.«

Derweil hagelte es Kritik für die Movistar-Mannschaft. Ihr kolumbianischer Topfavorit Nairo Quintana hatte die Etappe gewonnen und die Gesamtführung übernommen, nachdem das gesamte Team trotz des Massensturzes Tempo gemacht hatte. Thomas und Co. waren auch dadurch ohne Chance geblieben, noch einmal aufzuschließen. »Das war eine ganz schlechte Entscheidung von Movistar, völlig überflüssig«, polterte Oricas Sportdirektor Matt White: »Sie hätten einen kleinen Moment warten müssen - so war das ziemlich unsportlich.«

Quintana ging auf den Vorfall nicht wirklich ein. »Ich bin total entsetzt über das, was meinem Team passiert ist«, twitterte derweil Sky-Kapitän Chris Froome, der sich in Südfrankreich auf die Tour de France vorbereitet. Dort wird Quintana womöglich sein größter Konkurrent - seit Sonntag ist das Duell noch ein wenig brisanter geworden. SID/nd

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