Kultur und Volk: Wie geht das?

Freie Volksbühne diskutierte über ihren neuen Namen

  • Martin Hardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ex-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse zitierte Hölderlin, als er sich am Montagabend mit dem emeritierten Historiker Peter Brandt und André Lossin, dem Geschäftsführer der Berliner Volkssolidarität, in Wilmersdorf das Podium teilte: »Das Eigene muss so gut gelernt sein wie das Fremde.« Die Freie Volksbühne hatte geladen, weil der traditionsreiche Verein seit Anfang März nur noch unter der Marke »Kulturvolk« in Erscheinung tritt. Ein missverständlicher Name? Unter Vereinsmitgliedern war jedenfalls Gesprächsbedarf entstanden.

Der Verein blickt auf eine 126-jährige Tradition im Zeichen der anspruchsvollen Volksbildung zurück, meist gegen die Obrigkeit. Es war die Freie Volksbühne, die anno 1914 die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz errichten ließ und bespielte. Heute ist der Verein ein Karten- und Kulturservice auf Mitgliedsbasis. Auf der Podiumsdiskussion »Kultur und Volk: Wie geht das?« herrschte zumindest darüber Konsens: Niemand wollte in die Nähe der wabernden AfD- oder Pegida-Denke. Die öffentliche Diskussion war Teil der reizvollen wöchentlichen Reihe »Montagskultur«.

Thierse erinnerte sich an die Debatte um die künstlerische Intervention Hans Haakes im Bundestag, die mit dem Titel »Der Bevölkerung« Bezug auf den Schriftzug »Dem deutschen Volke« auf der Stirnwand des Reichstags nimmt. Man könne den Begriff Volk aber nicht vermeiden. Es gehe darum, ihn nicht den Falschen zu überlassen. Wenn Pegida und Co. heute mit Slogans wie »Wir sind das Volk« aufträten, müsse man sich daran erinnern, dass die Demonstranten in den letzten Monaten der DDR Zusammenhalt und keinen Ausschluss gemeint hätten. Peter Brandt pflichtete Thierse bei und verwies darauf, dass das Wort Volk im revolutionären 19. Jahrhundert ein emanzipatorischer Kampfbegriff gegen den Feudalismus und den von ihm bestimmten Staat gewesen sei.

Für André Lossin ist die völkische Konnotation als Abgrenzung erst nach der Entstehung des Deutschen Reiches 1871 virulent geworden. Mit der Gründung der Volkssolidarität 1945 kurz nach dem Krieg in Dresden habe man auf die frühere, immer noch lebendige Tradition zurückgreifen können. Selbst in den Jahren der DDR habe sich dieses Selbstverständnis als eher staatsfern erhalten. Manche Oppositionellen hätten nach der Konfrontation mit dem Staat bei der Volkssolidarität Unterschlupf gefunden.

»Ja, Kulturvolk ist auch ein abgrenzender Begriff«, griff Brandt die im Raum stehende Frage nach Integration von Menschen anderen kulturellen Hintergrunds auf. Er schließe aber niemanden aus, weil die gemeinsame Identitätsfindung allen Beteiligten fortwährend eine Neubestimmung ihrer eigenen Rolle innerhalb der Gemeinschaft abverlange.

»Die Volksbühne macht uns platt«, brachte Alice Ströver, Geschäftsführerin der Freien Volksbühne, ihre Marketingprobleme auf den Punkt. Die Werbung im Internet, auf Plakaten oder in Anzeigen sei schlichtweg verpufft. Mit der neuen Marke »Kulturvolk« sei das schon jetzt anders. Das Publikum scheine bereit, die Zukunft der Freien Volksbühne unter der neuen Dachmarke mitzutragen.

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