nd-aktuell.de / 18.05.2017 / Politik / Seite 7

Kiew verhängt Kontaktsperre im Internet

Präsident Poroschenko lässt russische Internetdienste in der Ukraine blockieren / Millionen Nutzer betroffen

Denis Trubetskoy, Kiew

Eine Blockade sämtlicher russischer Internetseiten, unter anderem der beliebten sozialen Netzwerke VK und Odnoklassniki sowie multifunktionale Angebote wie Mail.ru oder Yandex, trat am Mittwoch in Kraft. Am frühen Dienstagmorgen hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko einen entsprechenden Erlass unterschrieben. Diese Entscheidung wurde völlig überraschend im Rahmen der Erweiterung der bestehenden Russland-Sanktionen getroffen. Fast 500 Unternehmen gelangen nun auf die Sanktionsliste, dazu kommen noch über 1200 Privatpersonen.

Doch während die Erweiterung der Sanktionsliste an sich keine Sensation war, konnte kaum einer die Maßnahmen Richtung russischer Webseiten erwarten - zumindest nicht in solchem Ausmaß. Denn mit VK soll unter anderem das beliebteste soziale Netzwerk der Ukraine für drei Jahre gesperrt werden. Auch «Odnoklassniki», das Netzwerk früherer Mitschüler«, gehört neben Facebook zu den Top 3 nach der Zahl der Nutzer. Yandex und Mail.ru, die als Suchmaschine sowie als E-Mail-Anbieter fungieren, sind ebenfalls in den Top 10 der meistbesuchten Seiten des ukrainischen Internets vertreten.

»Der hybride Krieg fordert gerechtfertigte Antworten auf die Herausforderungen, die vor uns stehen«, begründet Poroschenko, der noch am Sonntag vor einem »beispiellosen Niveau der Meinungsfreiheit« in der Ukraine sprach. »Mittlerweile sind Cyberattacken Russlands auf der ganzen Welt vertreten. Unter anderem konnten wie diese während des Wahlkampfs in Frankreich sehen. Das zeigt vor allem, dass wir von nun an deutlich entschiedener vorgehen müssen.« Falls sein Erlass aber tatsächlich umgesetzt wird, wäre es ein großer Schlag für das gesamte ukrainische Internet. Schließlich hat allein VK eigenen Angaben zufolge rund 16 Millionen Besucher pro Monat in der Ukraine.

Ob diese Entscheidung durchgesetzt werden kann, ist im Moment eine große Frage. Grundsätzlich gibt es zwei Hindernisse. So dürfen nach der aktuellen Gesetzgebung Webseiten in der Ukraine nur auf Entscheidung eines Gerichts gesperrt werden. Das trifft weder auf einen Erlass des Präsidenten noch auf die Entscheidung des Sicherheitsrates zu. Zum anderen gibt es Zweifel an den technischen Kapazitäten. »In der Ukraine gibt es rund 6000 Internetanbieter. Fast alle können diese Entscheidung technisch nicht umsetzen«, sagt Olexander Fedijenko, Vorsitzender der Internet-Assoziation der Ukraine. »Es würde vermutlich rund zwei Jahre dauern und etwa eine Milliarde US-Dollar kosten, um das Vorhaben zu verwirklichen.«

Der Erlass des ukrainischen Präsidenten wurde in der Gesellschaft unterschiedlich aufgenommen. Deren patriotischer Teil jubelte, zumal das Parlament am Dienstag auch das Sankt-Georgs-Band, das in Russland sowie von prorussischen Separatisten häufig genutzte Symbol des Sieges im Zweiten Weltkrieg, verboten wurde.

»Was die sozialen Netzwerke betrifft: Es ist eine Frage der nationalen Sicherheit. Ich frage mich eher, wieso diese Entscheidung nur drei Jahre später kommt«, schrieb der Journalist Wolodymyr Arijew. Die schärfste Kritik kam ebenfalls aus dem Lager der Journalisten und Menschenrechtler. »Das Schlechteste ist, dass die Machthaber nicht auf die normalen Bürger der Ukraine setzen, sondern auf die radikalen Patrioten«, betont die Journalistin Juliana Skybizka. »Das zeigt, dass das Land sich in eine falsche Richtung entwickelt - gerade nach dem recht gut absolvierten Eurovision Song Contest.«

Allerdings geht es bei der Entscheidung Poroschenkos um viel mehr als nur russische Webseiten. Mehrere Computerprogramme wurden verboten, darunter solche zum Schutz vor Viren sowie das ganz besonders beliebte Buchhaltungsprogramm 1C.

Außerdem verhängte Kiew weitere Sanktionen gegen russische Medien - überraschenderweise nicht nur gegen Staatsmedien wie die Agentur Rossija Segodnja oder Perwyj Kanal, sondern auch gegen den Wirtschaftssender RBK. Noch während des ESC war das Kiewer Gewerkschaftshaus mit einem großen Plakat geschmückt: »Freiheit ist unsere Religion«.