Kipping nennt SPD-Programm »hochnotpeinlich«

Linkspolitikerin kritisiert sozialpolitische Forderungen im sozialdemokratischen Entwurf als »zutiefst ängstlich« / Ultimatum an Schulz wegen Rot-Rot-Grün

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Berlin. Erst hatte die SPD »keine Inhalte«, wie Politiker der Linkspartei in Richtung des Spitzenkandidaten Martin Schulz gern beklagten - nun haben die Sozialdemokraten etwas vorgelegt, doch die Kritik wird deshalb nicht leiser. Dies hat zum einen mit den inhaltlichen Differenzen zwischen Linkspartei und SPD zu tun, wie sich am Beispiel der Sozialpolitik zeigt. Zum anderen wächst die Frustration unter Befürwortern von Rot-Rot-Grün.

Als ein »zutiefst ängstliches Regierungsprogramm« hat Linksparteichefin Katja Kipping jetzt den Entwurf der SPD-Spitze bezeichnet. Schulz passe offenbar jetzt schon »sein eigenes Wahlprogramm sozialpolitisch an eine Koalitionsoption mit Parteien rechts von der SPD« an, beklagte die Bundestagsabgeordnete, die sich in einem Gastbeitrag von den Wahlzielen der Sozialdemokraten »bitter enttäuscht« zeigte. Projekte der SPD, wie das neue »Arbeitslosengeld Q«, das nicht auf Transferleistungen angerechnet wird und die Dauer des Bezugs verlängert, nannte Kipping »eine hochnotpeinliche« Forderung - das Wort »Verbesserung« formulierte die Linkspolitikerin gleich in Anführungszeichen. Der Vorschlag werde bei »sehr vielen Langzeiterwerbslosen« gar nicht ankommen.

Kritik wird auch daran laut, weil der SPD-Entwurf weder eine Anhebung der Hartz-Regelsätze noch eine Abschaffung des umstrittenen Sanktionssystems und der Sperrzeiten enthält. Zwar stehe die »doch sehr dürftige Forderung nach Aufhebung der besonders scharfen Sanktionen für Unter-25-Jährige« im SPD-Papier, aber dies hätten die Sozialdemokraten bereits in der Großen Koalition angestrebt und »von der CDU natürlich nicht bekommen«, so Kipping. Langzeiterwerbslose würden »bei Martin Schulz weiter am Rand der Gesellschaft stehen gelassen«, nach Auffassung von Kipping bleiben damit gut eine Million Menschen »für die Wahlstrategen im Willy-Brand-Haus schlicht eine vernachlässigbare Größe«.

Ähnlich fällt das Urteil der Linkenspitze in Sachen Rente und Gesundheitsversicherung aus. »Das alles ist so wenig, dass es aus Sicht der sozial Ausgegrenzten noch nicht mal einen substanziellen Unterschied machen wird, ob nach der kommenden Bundestagswahl die SPD mit absoluter Mehrheit oder erneut in einer Großen Koalition regiert.« Kipping fürchtet angesichts der Reanimiation einer schwarz-gelben Option eher, dass »es wohl noch schlimmer kommen« könnte - die Bürger müssten sich dann auf »einen scharfen neuen wirtschaftlichen Deregulierungsangriff einstellen«.

Kippings Schlussfolgerung: Die Linkspartei habe mit ihrer Aussage »vollkommen Recht«, eine »Gerechtigkeitswende mit belastbaren sozialen Sicherheiten« werde es nur geben, wenn ihre Partei bei der Bundestagswahl stark wird. Damit freilich ist noch längst nichts darüber gesagt, ob das dann auch in wirksame Politik überführt werden kann. Dafür wäre eine Koalitionsbeteiligung nötig, von deren rot-rot-grüner Varianten es derzeit immer öfter heißt: schlechte Aussichten.

Zwar geht es führenden Linkspolitikern nach wie vor um die Ablösung von Angela Merkel mit einer Mitte-Links-Koalition. Doch die spätestens nach der Saarlandwahl ausgerufene Strategie der SPD-Führung, deutlicher auf Distanz zur Linkspartei zu gehen, lässt selbst entschiedene Befürworter einer linken Regierungsbeteiligung immer frustrierter zurück.

»Ich kann in meinem Wahlkreis nicht als Befürworter von Rot-Rot-Grün unterwegs sein, wenn sich die SPD längst davon verabschiedet hat«, wird der Außenpolitiker Stefan Liebich im Sender n-tv zitiert. »Schulz muss sagen, was er will und was nicht.« Dies entspricht dem vorherrschenden Tenor in der Linkspartei nach den Frühjahrswahlen: Die SPD solle begreifen, dass ihr eine Distanzierung von der Linkspartei wahlpolitisch nichts bringe. Vielmehr sei eine klare Ansage richtig, mit wem die Sozialdemokraten eine sozialere Politik durchsetzen wollten.

Inzwischen klingt der Austausch von Verbalnoten zwischen Linkspartei und SPD immer öfter nach Ultimatum. Spätestens bis zum SPD-Programmparteitag Ende Juni in Dortmund erwarte man eine deutliche Erklärung von Schulz, sagen die Linken. Und aus der SPD ist zu hören, dass man die Tonlage in Richtung Linkspartei wieder verschärfen wolle - nicht zuletzt in Richtung der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht.

Liebich hat sich auch dazu geäußert. Wagenknecht gebe »seit einem halben Jahr ein Signal nach dem anderen. Was soll denn da noch passieren?« Er könne sich »nicht erinnern, dass es von unserer Seite schon mal ein solches Maß an Aufgeschlossenheit gab für einen Politikwechsel«, so der Berliner Bundestagsabgeordnete - der aber auch klarmacht, dass die SPD nicht erwarten könne, »dass wir uns verwandeln und so werden wie sie«. Man verfolge eine eigenständige Linie.

Das haben nicht erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen immer wieder führende Linkspolitiker betont. Der Bundesvorsitzende Riexinger etwa erklärte, man werde im Bundestagswahlkampf nun »verstärkt auf unsere eigenen Konzepte schauen und unsere eigenen Konzepte in den Vordergrund bringen und für unsere Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit, für höhere Renten, höhere Löhne, gegen prekäre Arbeit und für eine gerechte Steuerpolitik werben«.

Dietmar Bartsch sagte in dieser Woche, es bleibe das Ziel der Linkspartei, »dass Frau Merkel als Bundeskanzlerin abgelöst wird. Wir wollen einen Politikwechsel.« Dem Linksfraktionschef ist freilich auch klar, dass dies nur in einer Koalition möglich wäre - mit den Sozialdemokraten. »Die Kanzlerschaft, die Herr Schulz für sich anstrebt, ist im Moment so weit entfernt wie der Bundesligaaufstieg von SV Rhenania Würselen, wo er ja Fußball gespielt hat«, sagt Bartsch. »Ich wünsche mir etwas anderes.« tos

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