Nicht ganz dicht und gut in Form

Das Weite Theater setzt Segel und steuert seinem 25. Geburtstag entgegen

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Eins ist klar: Gearbeitet wird am Geburtstag nicht. Ein sitzendes Schuppenkriechtier mit Bauch, Zigarre und großem Maul will das zur Feier übernehmen und seinen menschlichen Bediensteten Michael Hatzius daran erinnern, dass er hier als Puppenspieler seine Diplominszenierung unter anderem als Riesentarantel überstand. Wieland Jagodzinski half ihm künstlerisch vor elf Jahren. Auch er will dabei sein, wenn »Das Weite Theater für Puppen und Menschen« (DWT) am 17. Juni seinen 25. Geburtstag im Rhythmus der »Ukrainiens« feiert. Denn Jagodzinski gehört wie Irene Winter und Martin Karl, die heute noch im Ensemble sind, und Torsten Gesser, der gern hier mitspielt und inzwischen das mit dem DWT kooperierende Theater des Lachens in Frankfurt (Oder) führt, zu den Gründungsmitgliedern. Christine Müller und Björn Langhans, der den das Theater tragenden Förderverein mit 30 Mitgliedern führt, kamen später hinzu.

Dem fröhlichen Ereignis segelt das Theater mit seiner jüngsten Premiere entgegen. »Piraten Piraten« kam als dritte Regiearbeit von Björn Langhans mit Spielfreude von Christine Müller und Martin Karl in Fahrt. Das gemeinsam erarbeitete Stück in der fantasievollen Ausstattung von Ira Hausmann ist klug in seinen jähen Wendungen auf See und an Land konzipiert und vom Regisseur geschickt geführt. Kinder ab vier Jahren gehen eine Stunde gern mit an Bord.

Alles ist nah, wenn das Piratenschiff »Invisible« für die Zuschauer keineswegs unsichtbar in See sticht und sich Seeleute auf der Pirateninsel im Zeichen der Schildkröte treffen. Dort heuert die kleine Piratin Molly als Schiffsjunge Mo auf dem Schiff der Kapitänin Rote Clara an. Wenn auch für Kinder geschrieben, verniedlichen oder umschreiben die Akteure keineswegs seemännische Begriffe, konfrontieren mit Meuterei, sogar mit der Höchststrafe, die einen Piraten treffen kann. Doch Molly geht nicht über die Planke, denn ihr Mut beeindruckt an Bord.

Respekt voreinander, Liebe zu den Eltern und den Willen, niemals aufzugeben, transportiert das Stück als wertvolle Fracht, für die niemand zu alt ist. So ist es auch eine Inszenierung für Erwachsene geworden. Die Truppe leistet sich als einzigen Luxus Gastkünstler für Ausstattung und Regie und brachte so schon herrlich finstere Inszenierungen auch für »Alte« heraus wie »Der Weiße Hammer« mit Folgen von Hans-Jochen Menzel oder die entgleisende »Tragikrimödie« nach Oliver Bukowskis »Intercity« unter Jörg Lehmanns Regie.

Das Weite Theater verwies bereits im Namen der Bühne bei seiner Gründung 1992 in Hellersdorf neben der Distanz zum Stadtzentrum auf die künstlerischen Möglichkeiten des Ensembles, das dort jährlich 365 Vorstellungen und bundesweit bis zu 120 Gastspiele bewältigte. 18 bestens ausgebildete Künstler hatten dafür einen heruntergekommenen Jugendklub in der Schkeuditzer Straße übernommen und tobten sich nach den Worten von Wieland Jagodzinski mit Inszenierungen für alle Altersgruppen im positivsten Sinne aus - bis der Kommune das Geld dafür fehlte. Dann war wieder Geld da. Dazwischen hatten aber einige Künstler die Geduld verloren.

Man müsste schreien, wurde die Situation des DWT damals kommentiert. Niemand schrie. Vielmehr wurde tapfer weitergemacht in den Fusionswirren der 90er Jahre, als es im Sparwahn schlecht um die Kinder- und Jugendtheater der Stadt stand. Nach Schließung des Puppentheaters an der Greifswalder Straße konnte dort die Schaubude erst 1993 neu starten. Das DWT war protestierend mittendrin, als drei Jahre danach durch überwältigendes Engagement von Berliner Künstlern und Studenten ein jähes Ende der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« - schließlich Ausbildungsstätte von Puppenspielkünstlern - abgewendet wurde. Das Theater an der Parkaue musste acht Jahre später noch verteidigt werden.

Selbst oft in Nöten, hörte man vonseiten des DWT nie ein Jammern. »Nicht ganz dicht, aber näher dran« meldete sich das nunmehr kleine Ensemble 2003 vom neuen Standort an der Parkaue 23 in Lichtenberg. Auf bisher 93 Eigenproduktionen, 200 Vorstellungen wie 80 Gastspiele jährlich und zahlreiche Preise bei nationalen und internationalen Festivals kann es heute verweisen. 18 Stücke für Kinder, zehn für Erwachsene befinden sich im Repertoire.

Räumlich zwischen dem Theater an der Parkaue und den Puppenspielkünstlern der Hochschule angesiedelt, übersteht es gerade die Sanierung des Hauses, bei der es einen neuen Sanitärtrakt bekam, aber Platz verlor. Die Künstlergarderobe ist mit im kleinen Büro, wo Johanna Renger sich um das Management kümmert. Emma Stammler musste mit aller Technik in den Saal ziehen. Für Theaterpädagogik mit Leandro Gomez-Viana und Martin Karl fehlt ein Extraraum.

Nach wie vor also kein leichtes Spiel, aber mit Durchhaltevermögen, gut in Form und aktueller Basisförderung vom Senat. Irene Winter meint lachend: »Wir haben etwas von einer Zirkusfamilie.« Da ist was dran. Im besten Sinne.

Nächste Vorstellung von »Piraten, Piraten«: 24. Mai; 25., 27., 28. Juni. DWT-Geburtstag am 17. Juni im DWT, Parkaue 23, Lichtenberg

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