Kiel nimmt Kurs auf »Jamaika«

CDU, FDP und Grüne stimmen für Koalitionsverhandlungen

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wenn eine Tür verschlossen ist, weißt Du, eine andere ist geöffnet.« Nach diesem Prinzip eines Bob-Marley-Zitats wird in Schleswig-Holstein nun über ein »Jamaika«-Regierungsbündnis verhandelt, also eine Koalition von CDU, Grünen und FDP. Seit Mittwoch sitzen die drei Parteien gemeinsam am Verhandlungstisch.

Sie haben einen ambitionierten Zeitplan. Der Koalitionsvertrag soll bis zum 14. Juni ausformuliert sein und dann unmittelbar vorgestellt werden. Es folgen Landesparteitage der drei Parteien. Grüne und FDP wollen dann binnen weniger Tage ihre Basis über den gemeinsamen Regierungsleitfaden abstimmen lassen. Am 28. Juni könnte CDU-Landeschef Daniel Günther im Landtag zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden - soweit die terminliche Blaupause. In der nächsten Woche wird erstmals inhaltlich Tacheles geredet. Noch fünf große Verhandlungsrunden sind angesetzt, dazu ein Reservetermin bereitgehalten. Gestartet wird am 1. Juni mit dem Thema Finanzen.

Der Ausgang der Verhandlungen wird auch über den Tellerrand des nördlichsten Bundeslandes hinaus aufmerksam verfolgt. Ein »Jamaika«-Pakt in Kiel wäre bundesweit nach dem gescheiterten Versuch von 2009 bis 2012 im Saarland erst der zweite Anlauf für ein solches Modell überhaupt. Sofort befeuert es Diskussionen auf Bundesebene, die von einer weiteren Option abseits einer Großen Koalition sprechen. Wenn schwarz, grün und gelb zusammenrücken sollten, würden sie zugleich SPD und LINKE automatisch ins Abseits stellen.

Für die Grünen wäre der Gang in eine Koalition mit CDU und FDP jedoch auch eine harte Bewährungsprobe. Einen Einblick in die Gefühlslage der Ökopartei bot der außerordentliche Parteitag am Dienstag in Neumünster. Dort stimmten 86,8 Prozent der 129 Delegierten dem 19-köpfigen Parteirat folgend für die Aufnahme von »Jamaika«-Verhandlungen. Neben wenigen strikten Gegnern drückte Anke Erdmann aus Kiel die Stimmungslage wohl am besten aus: »Mein Bauch sagt nein, mein Kopf probieren und mein Herz autsch.« Die bisherige Finanzministerin, Spitzenkandidatin und Verhandlungsführerin Monika Heinold beruhigt die Basis: »Wir können die Verhandlungen zu jedem Zeitpunkt stoppen.« Kritiker sehen mit der Aufnahme der Gespräche aber bereits die letzte Haltelinie überschritten. Sie verweisen darauf, dass es in der Parteigeschichte auf Bundes- und Landesebene noch nie einen solchen Abbruch während der Verhandlungsphase gegeben habe.

Heinold spricht von der »Verantwortung für das Land« und konkret mit Blick auf eine auch denkbare Option in Richtung Neuwahlen. »Wir können doch nicht so lange wählen lassen, bis uns das Ergebnis passt.« Sie strapaziert wie andere in der Partei-Beschreibung immer wieder die Vokabel »Eigenständigkeit«. Die erzielten 12,9 Prozent an der Wahlurne machen sichtbar selbstbewusst. Manch einer wähnt sich bereits in einer neuen Regierung. Dafür formuliert Steffen Regis vom Kreisverband Kiel bereits die besondere grüne »Jamaika«-Rolle zwischen CDU und FDP als künftiges sozialpolitisches Gewissen, zumal im Koalitionsverhandlungsauftrag auch das Wort »gerecht« auftaucht.

CDU und FDP stimmten nach eigenen Aussagen einstimmig bei ihren jeweiligen Landesvorstandstreffen den Koalitionsverhandlungen zu. 42 Prozent der Wähler im Norden halten laut Infratest dimap ein Regierungsmodell a la »Jamaika« für ein gutes Bündnis. Wie schwer der Weg dahin werden kann, zeigen die Mannheimer Politikwissenschaftler Christian Stecker und Thomas Däubler auf. Ihrem inhaltlichen Analysencheck zufolge gibt es zwischen dem verhandelnden Trio 29 Widersprüche und nur vier Übereinstimmungen. Nach den Worten der Grünen sind fern der Inhalte und Schnittmengen auch die Atmosphäre und vor allem das Vertrauen in die Verhandlungspersonen der anderen Parteien ein entscheidender Faktor. Beobachter meinen, dass es seitens der Grünen gegenüber der FDP mehr Vorbehalte zu geben scheint als gegenüber der CDU.

Die SPD gibt sich unterdessen bereits zerknirscht mit ihrer neuen Rolle ab. Man spricht von einer starken Oppositionsarbeit, die man dem Bündnis entgegen stellen werde. Der in den eigenen Reihen nach dem Wahldebakel vom 7. Mai in die Kritik geratene Landesvorsitzende Ralf Stegner, der täglich einen persönlichen Musiktipp twittert, griff diese Woche mit »Oh, Jamaica« von Country Joe McDonald bereits in die künstlerische Mottenkiste.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal