»Auch die Chinesen sind schlagbar«

Tischtennis-Bundestrainer Jörg Roßkopf hofft auf einen Boom nach der Heim-WM - das würde die schwierige Talentsuche erleichtern

  • Sebastian Stiekel
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie selbst sind als Spieler vor eigenem Publikum Europameister und Doppelweltmeister geworden. Was erhoffen Sie sich von Ihren Stars Timo Boll und Dimitrij Owtscharow bei dieser Heim-WM?
Es stimmt, wir waren im eigenen Land immer sehr erfolgreich. Ich weiß seit der WM 1989 in Dortmund sehr genau, dass wir bei einem Turnier in Deutschland von den Fans getragen werden. Auch diesmal haben wir viele Eisen im Feuer, die in wirklich guter Form sind. Die Heim-WM wird ihnen noch eine zusätzliche Motivation geben. Natürlich erwarten alle, dass die Chinesen am Ende wieder überall vorn stehen werden. Aber meine Spieler wissen: Auch die sind schlagbar. Wir wollen in allen Wettbewerben um die Medaillen mitspielen.

Trauen Sie das auch dem schon 36-jährigen Boll zu?
Timo ist bei einer EM oder WM immer gut dabei. Er bereitet sich auf jedes große Turnier sehr intensiv vor. Er spielt auch besonders gern in Deutschland, also hoffe ich, dass es für ihn eine gute WM wird. Das hätte er sich verdient. Er hat immer noch viel Lust, Tischtennis zu spielen. Für ihn ist diese WM noch einmal etwas Besonderes. Er spielt schon lange in Düsseldorf, er hat lange hier gelebt. Das wird in der Vorbereitung noch ein paar Prozentpunkte herauskitzeln.

Zur Person

In Düsseldorf beginnen am Montag die Weltmeisterschaften im Tischtennis. Der Bundestrainer Jörg Roßkopf war selbst früher Weltmeister im Doppel und Europameister im Einzel. Vor dem Heimturnier sprach der 47-Jährige mit Sebastian Stiekel über seinen Schützling Timo Boll, die Dominanz der Chinesen und die Probleme seines Sports.

Welche Bedeutung hat die WM für den Tischtennissport generell?
Wir erhoffen uns zumindest einen kleinen Boom. Unser Ziel ist, dass vor allem Kinder sehen: Das ist ein toller Sport. Das ist ein Auftrag, den die Regierung, die Verbände und jede Sportart generell haben sollten: Die Kinder müssen Sport treiben. Das ist die beste Möglichkeit, mit anderen Kindern oder Kulturen zusammenzukommen, Siege und Niederlagen zu feiern, daraus zu lernen, daran zu wachsen. Wir müssen die Kinder von der Playstation wegholen.

Hatte es Tischtennis zu Ihrer Zeit noch leichter? Die WM 1989 war ein großes Medienereignis.
Jede Sportart außer Fußball hat es heute schwer, noch so etwas wie einen Boom auszulösen. Tennis hat das mal geschafft, wir auch, aber diese Möglichkeiten sind nicht mehr da. Wir hätten sogar die Spieler dafür mit Boll und Owtscharow. Aber wir schaffen es kaum noch ins Fernsehen. Die Öffentlichkeit kann selbst bei einer WM kaum mit uns mitfiebern.

Schadet auch die große Dominanz der Chinesen Ihrem Sport?
Natürlich wäre es interessanter, wenn am Ende nicht immer ein Chinese gewinnen würde. Zu meiner Zeit hießen die Weltmeister 1989 Waldner aus Schweden, 1991 Persson aus Schweden, 1993 Gatien aus Frankreich - erst 1995 hatte mal wieder ein Chinese gewonnen. Das war interessanter. Da müssen wir wieder hin.

Wie ist das zu schaffen?
Nur sehr schwer, denn das chinesische System ist hervorragend. Dort fängt ein junger Spieler mit fünf Jahren an, bei uns mit neun oder zehn. Das chinesische Talent wird mit 15 Jahren schon in den Männerkader integriert und mit 18 eine Granate sein. Das ist bei uns fast unmöglich. Wir können ein fünfjähriges Kind noch nicht zwei- bis dreimal die Woche - noch dazu von guten Trainern - trainieren lassen. Trotzdem hoffen wir, bald den neuen Boll oder Owtscharow zu finden. Wir waren auch erfolgreich, ohne andere zu kopieren.

Auf vielen Spielplätzen steht eine Tischtennisplatte. Warum hat selbst eine Sportart mit solchen Voraussetzungen ein Nachwuchsproblem?
Kinder von der Platte auf dem auf dem Schulhof in den Verein zu bewegen, ist schwierig. Dafür braucht man viele Trainer, die gut ausgebildet wurden. Man braucht positiv Verrückte wie Helmut Hampl, der Timo Boll und Patrick Franziska entdeckte. Und man braucht Hallenzeiten. Es ist doch ein Wahnsinn, wenn in den Sommerferien für sechs Wochen die Sporthallen zugeschlossen werden. Wir Trainer müssen die Kinder zudem abholen. Von alleine kommt keiner. Von alleine gehen sie nur zum Fußball. dpa/nd

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