nd-aktuell.de / 29.05.2017 / Kultur / Seite 15

Kosmischer Kältetod

Münchens »Tannhäuser«

Roberto Becker

In München leuchtet die Oper. Jedenfalls immer, wenn Wagner auf dem Programm steht. Dann wird ganz selbstverständlich eine Riege von Stars aufgeboten, mit der man Bayreuth locker übertrifft - wie diesmal im Falle des »Tannhäuser«.

Schon, dass Kirill Petrenko hier seinen ersten Sängerkrieg dirigierte, machte diese Premiere zum Ereignis. Auch der Tenorstrahlemann Klaus Florian Vogt gab sein Debüt in der Titelrolle. Beide begeisterten ihre Fans: Petrenko am Pult mit Präzision und akribischer Detailarbeit, mit Energie und Leidenschaft. Durch manch geradezu zelebriertes Ausbremsen wusste er das Publikum zu verblüffen. Vogt krönte seinen eher lyrisch aufgelichteten Gang durch die Partitur mit einer grandiosen Rom-Erzählung.

Georg Zeppenfeld ist einer der standfestesten Kandidaten für den Landgrafen und Christian Gerhaher mit seiner liedgeschulten Akkuratesse die erste Wahl als Wolfram von Eschenbach. Neben Elena Pankratova als Venus ist es aber vor allem Anja Harteros, die als überirdische Elisabeth wirklich jeden in den Bann schlägt. Vokal und musikalisch ist dieser »Tannhäuser« allererste Qualität.

Auf Romeo Castelluccis Feeling für Richard Wagner zu setzten, lag nach dessen »Parsifal« nahe. Das Versprechen, sich mit drastisch radikalen Mitteln auch dem »Tannhäuser« anzunähern, hat der Regisseur eingelöst, sich dabei aber sehr weit von der puren Erzählung der Geschichte entfernt. Nicht nur aus der Welt zwischen mythischem Venusberg, thüringischer Wartburg und päpstlichem Rom, sondern gleich ganz aus Raum und Zeit.

Bei Castellucci schießen barbusige Amazonen auf ein magisches Auge. Hier ist der Venusberg als singender Fleischberg ein regelrechter Fluchtgrund, und Heinrich ist ein Gejagter, den Elisabeths Pfeil im Rücken trifft, als gälte es, Siegfried zu meucheln. Hier wird alle landesfürstliche Prachtentfaltung von geheimnisvoll wandernden Vorhängen verweht, so dass der Sängerwettstreit fast konzertant zelebriert wird. Und die Füße der Pilger verselbstständigen sich als Kleinskulpturen.

Schließlich übertrumpft Castellucci sogar den verwesenden Hasen, mit dem einst Christoph Schlingensief seinen Bayreuther »Parsifal« zum »Hasifal« machte. Er lässt auf zwei Sarkophagen mit der Aufschrift »KLAUS« (Florian Vogt) und »ANJA« (Harteros) im Kurzschluss zur Wirklichkeit zwei Tote verwesen und zu Staub verfallen. Währenddessen behauptet dahinter eine Einblendung das Vergehen der Zeit bis weit hinter das Verlöschen unserer Sonne.

Der kosmische Kältetod als Erlösung? Also das Große denken, bis dahin, wo keiner mehr denken kann und auch nichts mehr da ist, worüber man nachdenken könnte? Auch eine Art, das Göttliche mit dialektischem Witz wieder einzuführen. Oder erleben wir doch einfach nur das großformatige Scheitern einer szenischen Annäherung, die sich am Ende in einer üppigen Installation auflöst? Für einen echten Wagner-Aufreger mit Bravos und Buhs langte es allemal.

Nächste Vorstellung am 4. Juni