Der Psychologe rettet Wolfsburg

Obwohl der VfL in der Bundesliga bleiben darf, will die Klubführung nach der Relegation gründlich aufräumen

  • Frank Hellmann, Braunschweig
  • Lesedauer: 3 Min.

Hinterher, so beschrieb es Andries Jonker anschaulich, habe er sich um seinen Landsmann Riechedly Bazoer gesorgt. Der niederländische Fußballlehrer hatte dem ehemaligen Ajax-Spieler noch eine in Amsterdam gebräuchliche Redewendung zugerufen, die bedeutet: Nichts wie weg. Doch so schnell konnte der Flügelflitzer im Stadion an der Hamburger Straße vor den heranstürmenden Braunschweiger Anhängern gar nicht entkommen: Er ist am Knie verletzt. Der 20-Jährige hat es irgendwie doch unversehrt in den von kräftigen Ordnern beschützten Kabinengang geschafft, was das passende Sinnbild für die Gemengelage beim VfL Wolfsburg gab: dank zweier 1:0-Siege gegen einen leidenschaftlichen, aber limitierten Zweitligisten in der Relegation mit Acht und Krach dem Schlimmsten entkommen.

»Der Druck war brutal. Und das hat auch nichts damit zu tun, wie viel eine Mannschaft verdient. Wir hatten nur zu verlieren und haben uns neun Tage auf zwei Spiele vorbereitet, die wir gar nicht wollten. Es ging nur um die Birne«, gewährte Mario Gomez tiefe Einblicke in die Binnensicht.

Die Blockaden der Werksfußballer, die am Standort dieselbe Sinnkrise erlebten wie der VW-Konzern, der sie sponsort, habe erst der für die Kurztrainingslager verpflichtete Mentaltrainer Andreas Marlovits gelöst. Den Spezialisten, »um den Kopf gut einzustellen«, lobte der Mittelstürmer auffällig. Die Schlagzeile, »Psychologe hat Wolfsburg gerettet«, sei durchaus zutreffend. Denn: »Abstiegskampf ist Hardcore. Schwieriger als ein Champions-League-Finale«, sagte der 31-Jährige. Gomez deutete dann noch an, dass er sich einen Verbleib in Wolfsburg gut vorstellen könne, »aber ich glaube, dass jeder einzelne Spieler hinterfragt wird«.

Nach eigenem Bekunden habe er sich »noch nie so sehr auf einen Urlaub gefreut«. Wegen des umstrittenen Elfmetertreffers im Hinspiel kam sich der Nationalspieler zuletzt »wie ein Verbrecher« vor; dass er zum Hassobjekt mutierte, konnte der Torjäger ebenso wenig verstehen wie den Platzsturm der Braunschweiger Fans, die unmittelbar nach Abpfiff die Auseinandersetzung mit den Gästeanhängern suchten. »Ich kann prinzipiell mit Hass im Fußball nichts anfangen. Nach den fürchterlichen Anschlägen in Manchester liegen wir uns alle in den Armen, und ein paar Tage später verhalten wir uns selbst wie die Affen«, urteilte Gomez.

Und so war beim Sieger so gut wie kein Triumphgeheul auszumachen. Nicht bei den Akteuren, die wie Christian Träsch später von einer »grottenschlechten Saison« sprachen. Nicht beim Trainer, der nur behauptete, es sei mit dem Klub vereinbart, »dass ich bleibe«. Und erst recht nicht bei den Bossen, für die Wolfsburgs Aufsichtsratschef Francisco Garcia Sanz ausführte: »So kann es nicht weitergehen. Ich will nicht jedes Jahr Relegation spielen - das schaffe ich nicht.«

Der Madrilene wolle nun die Aufräumarbeiten angehen. Doch es wird nicht damit getan sein, der Fußball GmbH in einer Spielzeit 80 oder 90 Millionen Euro - künftig vielleicht nur noch 60 oder 70 - zur Verfügung zu stellen, ohne die Gegenleistung etwas genauer abzuklopfen. Und das muss bei der Personalpolitik beginnen, die im 20. Jahr der Bundesligazugehörigkeit beinahe ein Fiasko angerichtet hätte.

Dass Jonker in Braunschweig explizit seinen degradierten Kapitän, Torwart Diego Benaglio, für seine Arbeit dankte, sprach Bände: Ausgerechnet jene, die sich am meisten mit Verein und Stadt identifizierten, wurden entweder wie der zu Schalke abgewanderte Naldo vorher vergrault oder später nicht mehr gebraucht (Benaglio und Arnold).

»Die Möglichkeiten sind hier riesig«, sagte Daniel Didavi. Der Spielmacher plant nicht mehr, aus seinem lukrativen Fünfjahresvertrag auszusteigen, empfahl aber gleichzeitig, mehr Profis zu holen, »die noch nicht viel erreicht haben.« Didavi schlägt eine Orientierung an Vereinen wie dem SC Freiburg, 1. FC Köln oder der TSG Hoffenheim vor. »Die haben auch nicht Messi oder Ronaldo geholt, aber überragenden Fußball gespielt. Wir müssen mal festlegen, für was der VfL Wolfsburg eigentlich steht.« Gute Idee nach so vielen unschönen Erlebnissen.

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