Eine Sonnenblume für die Union

Soziale Themen sollen bei den Grünen in den Hintergrund rücken

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der schwergewichtige Mann, der vermutlich aus einem afrikanischen Land stammt, hat ausgezeichnete Laune. Er lacht, seine Augen sind zu Schlitzen zusammengezogen und sein rechter Zeigefinger deutet auf den Betrachter. Er ist gerade bei der Arbeit in der Küche eines Lokals hierzulande.

Unter anderem mit diesem Foto werben die Grünen derzeit auf ihrer Website um Wählerstimmen. Die Botschaft, die dabei vermittelt werden soll, hätte sich eben so gut ein neoliberaler Unternehmerverband ausdenken können. »Wer anpackt für unsere gemeinsame Heimat, gehört dazu«, schreiben die Grünen unter dem Foto. Was mit denjenigen, ob Aus- oder Inländer, passieren soll, die keinen Job finden oder sich gegen die etwa in der Gastronomie nicht unüblichen unfairen Arbeitsbedingungen oder Löhne zur Wehr setzen, wird verschwiegen. Die Grünen wollen »Integration zum Erfolg führen«. Das soll offenbar vor allem durch Arbeit geschehen. Ganz gleich, ob diese prekär ist oder nicht.

Dies ist einer von zehn Punkten, welche die Ökopartei als »verbindliche Angebote an die Wähler« formuliert hat, wie Grünen-Chef und Spitzenkandidat Cem Özdemir am Mittwoch in der Bundespressekonferenz erklärt. Daneben sieht die Führung der Grünen unter anderem den Klimaschutz, E-Mobilität, eine nachhaltige Landwirtschaft, die Einführung einer Bürgerversicherung, Investitionen in Bildung und die Ehe für alle als ihre zentralen Themen.

In der Partei würden alle »von Winfried Kretschmann bis Claudia Roth« hinter dem Plan stehen, sagt Ko-Spitzenkandidatin und -Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bei der Präsentation. Viele prominente Grüne haben das Papier unterzeichnet. Man hat sich auf einen Minimalkompromiss geeinigt und bleibt möglichst vage. Im Programmentwurf der Grünen für die Bundestagswahl steht etwa, dass ab 2030 nur noch abgasfreie Autos vom Band rollen sollen. Im Zehn-Punkte-Plan ist kein konkretes Datum mehr vorgesehen. Die Forderung, dass die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke »sofort« abgeschaltet werden sollten, ist zudem nicht in Stein gemeißelt. »Wir wollen die Klimaschutzziele erreichen. Wenn jemand alternative Vorschläge hat, wie das möglich sein soll, sind wird offen«, erklärt Özdemir. Deutschland hat sich international verpflichtet, bis 2020 den Ausstoß von klimaschädlichem CO2 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Vor dem Bundesparteitag Mitte Juni in Berlin, wo das Wahlprogramm beschlossen wird, will das Spitzenkandidatenduo offenbar auch deutlich machen, dass einige Beschlüsse der Partei in der Steuer- und Sozialpolitik bei möglichen Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl im September keine Rolle mehr spielen sollen. Im Programmentwurf werden die Wiederbelebung der Vermögensteuer sowie die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen gefordert. Für diese Themen hatten sich linke Grüne eingesetzt, im Plan von Göring-Eckardt und Özdemir werden sie jedoch nicht erwähnt.

Die Grünen sind offiziell für alle Bündnisse ohne die AfD offen. Allerdings klingt der Inhalt des Papiers, der »Maßstab für eine Regierungsbeteiligung« sein soll, eher nach einer Präferenz für eine Koalition mit der Union anstatt nach einer Liebeserklärung an Rot-Rot-Grün. Einer der wenigen Punkte, der gegen eine Zusammenarbeit mit den Konservativen spricht, ist die Ablehnung von Abschiebungen von Asylbewerbern in Kriegs- und Krisengebiete. Die Union kann sich aber Hoffnungen machen, dass dies nicht ernst gemeint ist. Nicht wenige Länder, in denen die Grünen mitregieren, haben sich zuletzt an völkerrechtswidrigen Abschiebungen nach Afghanistan beteiligt.

Göring-Eckardt gibt sich als Pragmatikerin. Man müsse mit den Mehrheiten Politik machen, die gewählt werden, sagt sie. Die einzige Hoffnung der Grünen auf eine Regierungsbeteiligung ist laut Umfrageergebnissen Schwarz-Gelb-Grün. Ein solches Bündnis wird wahrscheinlich bald in Schleswig-Holstein erprobt.

Die Spitzenkandidaten geben das Ziel aus, bei der Bundestagswahl drittstärkste Kraft zu werden. »Das Rennen um Platz drei ist offen. Dieser Platz entscheidet, welche Richtung dieses Land nehmen wird«, behauptet Göring-Eckardt. Derzeit fällt es den Grünen jedoch nicht leicht, im Schatten des Wahlkampfs zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz positiv aufzufallen. Umfragen sehen sie zwischen sechs und acht Prozent.

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