Weil die SPD keine AfD sein wollte

Warum die Sozialdemokraten aus machttaktischen Gründen froh sein werden, wenn es die »Schande für Deutschland« in den Bundestag schafft

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Was war das doch für eine Aufbruchsstimmung, die Martin Schulz da in seine Rede im Willy-Brandt-Haus legte, als er Ende Januar vor ausgesuchten Genossinnen und Genossen sprach. Die Sozialdemokratie sollte wieder Kanzlerpartei werden. Auch um gegen die Rechtspopulisten ein Zeichen zu setzen. Und um sie, die er eine »Schande für Deutschland« nannte, wegzuhalten von etwaigen Machtoptionen. Dass man »diese Typen […] bekämpfen« müsse, hatte er schon ein Jahr vor seiner Kandidatur der Presse gallig ins Notizbüchlein diktiert. Jetzt sollte das angepackt werden. Mit ihm als SPD-Kanzler.

Vier Monate sind seitdem vergangen. Die Umfragewerte sind so, wie sie waren, als Gabriel Schulz die Kandidatur antrug. Zwischenzeitlich sah es jedoch tatsächlich bei fast allen Demoskopen so aus, als würde die Sozialdemokratie zu einer Alternative für Merkel-Deutschland werden können - je nachdem, wie offen sie sich für mögliche Koalitionspartner zeigte. Aber dieser Hype kam viel zu früh, konnte bis September nicht gehalten werden. Nun ist man selbst als Juniorpartner in der Koalition nicht sicher. Ob nun bei Forsa, Emnid oder Allensbach: Fiele die AfD unter fünf Prozent, wäre die GroKo abgelöst und könnte diese Regierung durch eine Neuauflage der sogenannten »bürgerlichen Koalition« zwischen Union und FDP ersetzt werden.

Anders, polemischer gesagt: Die Sozialdemokraten müssen froh sein, wenn es diese »Schande für Deutschland« in den Bundestag schafft. Denn ohne die AfD geht es geradewegs in die Opposition. Was grundsätzlich vielleicht kein langfristiger Schaden für die Partei wäre, ihr Energien zur inhaltlichen Neuausrichtung und -findung freisetzen würde, aber aus nachvollziehbaren Gründen jetzt keine verlockende Option für die Parteispitze darstellt.

Dieser Umstand unterstreicht die Tragik, in der sich die Sozialdemokratie seit Jahren befindet. Man positioniert sich gegen Tendenzen des Rechtsrucks, braucht sie aber, um regierungsfähig bleiben zu können. Schlimmer noch: Man verdammt den Aufwind von rechts, etabliert aber nun seit Jahren einen wirtschaftlichen Kurs, der Rechtsrucktendenzen fördert und fordert. Hier geht es mal wieder um die alte Leier, dass fehlende Partizipation, die Verunsicherung der Lebensverhältnisse und Perspektivlosigkeit zur Radikalisierung führen und dass man mit einer Philippika und moralischem Zeigefinger nun mal keine Deradikalisierung anschiebt, sondern eher das Gegenteil bezweckt. Denn die Betroffenen dieser Wirtschaftspolitik wähnen sich in diesen Augenblicken verhöhnt und von satten Eliten bevormundet, die keine Ahnung von der deprimierenden Lebensrealität im unteren Lohnsegmenten haben.

Die Sozialdemokraten brauchen diese Alternative für Deutschland nun auch deshalb zum eigenen Erhalt der Regierungsfähigkeit, weil sie sich seit jetzt über ein Jahrzehnt nach Schröders Abgang weigern, eine adäquate Alternative für Deutschland sein zu wollen. Sie sind es selten rhetorisch, so gut wie nie inhaltlich. Wirtschaftspolitisch bleiben sie dem neoliberalen Katechismus verbunden und privatisieren zum Beispiel anstandslos die Autobahn oder verweigern eine Reform der Sanktionspraxis bei Hartz IV oder gewisser Arbeitsvertragsmodelle.

Man kann durchaus sagen, dass an dieser Stelle, jetzt mit Beginn des Juni, die Kampagne des Martin Schulz auf ganzer Strecke gescheitert ist. Der Mann, der als Kanzler den Rechtsruck in die Schranken weisen wollte, wird als eventueller Außenminister und Vizekanzler nur Wirklichkeit werden, weil es eben genau dieser Rechtsruck ist, der als Partei in den Bundestag strebt. Das ist keine zufällige Konstellation, die sich ohne Stringenz herauskristiallisierte: Es ist die logische Konsequenz einer Partei, die im luftleeren Raum antifaschistelt und gegen Rechts aufrüttelt, aber Worten keine Taten oder wenigstens nachfrageorientierte Vorschläge folgen lässt. Diese Unterlassung ist zweifelsohne der Punkt, ans dem die Schulz-Kampagne gescheitert ist.

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