We are wanted

Die Privatisierung des digitalen Raumes schreitet voran. Wo ist der Ausgang?

  • Wolfgang Schmitt
  • Lesedauer: 6 Min.

Matthias Schweighöfers Gesicht ist eine ideale Verkaufsfläche. Freundlich, lieb, ein bisschen keck und aalglatt - niemand würde etwas Böses dahinter vermuten. Wohl deshalb ist er in der Werbung dauerpräsent und wohl deshalb hat sich Amazon den Schauspieler mit dem gut konsumierbaren Image auserkoren, in »You are wanted«, der ersten deutschen Amazon-Serie, die Hauptrolle zu übernehmen und die Produktion zu überwachen. Überwachung ist auch das große Thema der Serie: Ein Familienvater und erfolgreicher Hotelmanager gerät ins Visier von Hackern und wird vom Bundesnachrichtendienst verfolgt. Die heile, Schweighöfer-typische Sepia-Filter-Welt aus gut platzierten Produkten droht zu zerbrechen. Die Moral der Serie, die man nur sehen kann, wenn man Mitglied bei Amazon-Prime ist, lautet: Vorsicht mit den eigenen Daten.

Parallel zu »You are wanted« bewirbt Amazon seine künstliche Sprachassistentin »Alexa«, die im Lautsprecher »Echo« steckt. Damit der Kunde mit »Alexa« kommunizieren kann und sie auf Anweisungen wie »Alexa, mach mal die Musik lauter« reagiert, hört die künstliche Intelligenz immer und alles mit. »Alexa« wiederum ist mit der Cloud verbunden und so kann Amazon unser gesamtes Privatleben mitschneiden. Dort also eine Serie über Datenmissbrauch, hier eine Einladung zum Datenmissbrauch in Serie. Wie passt das zusammen? Sehr gut, lautet die Antwort, wenn man das Buch »Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie« von Thomas Wagner gelesen hat.

Der Journalist und Kultursoziologe zeigt in zwanzig kurzen Kapiteln, dass das Internet zunehmend von Monopolisten wie Google, Amazon und Facebook regiert wird. Da ist es kein Zufall, dass Kritik an der Überwachung eben dort stattfindet, wo man bestens überwacht wird. Amazon zeigt sich mit der Serie »You are wanted« keineswegs selbstkritisch, vielmehr inkludiert der amerikanische Konzern die Kritik und macht aus ihr ein lukratives Geschäft. Und er will mit diesem Projekt seine Alternativlosigkeit unter Beweis stellen: Seht her, wir ermöglichen kritische Themen und bieten das, was dem deutschen Fernsehen fehlt, nämlich eine deutsche Qualitätsserie (wenngleich diese Qualität allenfalls mittelmäßig ist).

Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch die Timeline von Facebook. Journalisten, Netzkritiker und Hacker veröffentlichen sekündlich kritische Artikel über die Ausspähung der Bürger und die bedenkliche Allmacht der Konzerne. Nur tun sie dies alles auf einer Plattform, die Teil des kritisierten Systems ist. Sie sitzen im Glashaus von Facebook und werfen mit Steinen, doch dieses Glashaus geht eigenartigerweise nicht kaputt. Kann es auch gar nicht, weil es zu Facebook keine relevanten Alternativen gibt.

Thomas Wagner belegt mit zahlreichen Beispielen, dass die Privatisierung des Netzes mit großen Schritten voranschreitet. Nicht nur die öffentlichen Räume in den Städten verschwinden, auch im Netz werden sie immer seltener - vor allem weil die Politik mit den Konzernen paktiert. Selbst linke Politiker, die sonst gegen die Privatisierung von Öffentlichem Nahverkehr oder Autobahnen Position beziehen, erkennen das Problem in der digitalen Welt kaum. Ehrfürchtig reisen sie ins Silicon Valley, bitten Mark Zuckerberg um eine Audienz und lassen zu, dass Google sämtliche Bücher aus deutschen Bibliotheken einscannt und ins Netz stellt. Diesen Souveränitätsverlust sieht Wagner nicht allein in der Politik, auch die Presse müsse man wieder daran erinnern, »dass sie ihrer ureigenen Aufgabe nicht gerecht wird, wenn sie sich von denselben Internetkonzernen, deren Agieren sie kritisch begleiten soll, finanziell unter die Arme greifen, in Entwicklungsfragen beraten und technologisch einbinden lässt.«

Wagner legt mit »Das Netz in unsere Hand!« keine plumpe Kritik an den Konzernen vor, vielmehr geht es ihm um jene, die sich den Konzernen in vorauseilendem Gehorsam unterwerfen, beziehungsweise diese Unterwerfung gar nicht als eine solche erkennen und lieber in humanitäres Geschwätz verfallen, wie es den vermeintlich altruistischen CEOs aus Kalifornien ständig über die Lippen kommt. So idealisiert Katrin Göring-Eckardt auch nach den Enthüllungen von Edward Snowden noch immer, wenn sie in einem FAZ-Artikel schreibt: Das Netz sei »ein Möglichkeitsraum, in dem Einzelne Gegenmacht von unten aufbauen können«. Dass diese Gegenmacht aber innerhalb der Konzernhegemonie artikuliert und damit systemimmanent bleibt, erkennt die Grünen-Vorsitzende nicht. Man könnte es ihr mit einem Vergleich erklären: Widerstand auf Facebook und Twitter ist wie der Veggie-Burger bei McDonald’s - gut für das Image.

Als Heiner Müller auf einer Pressekonferenz kurz nach dem Mauerfall gefragt wurde, ob er denn nicht auch positiv gestimmt sei, was die Zukunft Deutschlands anginge, zitierte Müller einen Satz von Ernst Jünger: »Es gibt einen Grad an Unterdrückung, der als Freiheit empfunden wird.« An diesen Satz muss man denken, wenn man liest, wie Politiker die Einflussnahme Googles auf das deutsche Wissenschaftssystem beklatschen und dahinter Großzügigkeit vermuten. Auch möchte man Ernst Jünger angesichts der Netz-Utopisten zustimmen, die von postkapitalistischen Verhältnissen träumen und dabei das stetig wachsende Prekariat in Form von Clickworkern und Uber-Fahrern geflissentlich übersehen. Thomas Wagner führt all diese Ideologien stringent zusammen und entlarvt sie mit Zahlen, Fakten und genauen Recherchen. Vor allem die Strategie der Konzerne, die Nutzung von Diensten und Plattformen gratis anzubieten, legt Wagner so bloß: »Bei genauem Hinsehen ist die Umsonstkultur des Silicon Valley nicht die partielle Realisierung einer kommunistischen Utopie, wie viele Netzaktivisten lange Zeit glaubten, sondern der ideologische Schleier massenhafter Enteignung und rücksichtsloser Ausbeutung.«

Eine neue Gesellschaftsform sei nicht zu erwarten, schon weil das Kapital gar kein Interesse daran hat. Was immer auch vorgegaukelt wird, »die Generation der sogenannten Digital Natives muss sich nach wie vor in einer Klassengesellschaft zurechtfinden«. Was ist also zu tun, wenn jede Kooperation letztlich eine Kollaboration ist? Der Autor greift auf eine Idee zurück, die gegenwärtig wenig populär ist. Das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könnte adaptiert werden, um im Internet Sphären zu schaffen, die weder werbefinanziert noch von Konzerninteressen abhängig sind. Nun sind insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen in Verruf geraten. Quotenwahn, Einseitigkeit, Kritiklosigkeit und Desinformation zeichnen viele Sendungen aus. Trotzdem sei das öffentlich-rechtliche System an sich sinnvoll, wenn man es dergestalt reformiere, dass die politische Einflussnahme reduziert wird. »Es wird Zeit für eine Richtungsumkehr, die dem Gedanken des Öffentlich-Rechtlichen als unverzichtbare Basis für ein demokratisches Gemeinwesen zu neuer Geltung verhilft«, schreibt Wagner. Eine öffentlich-rechtliche Alternative zu Google und Facebook würde die Macht der Konzerne eindämmen und dem Bürger ermöglichen, Bürger - und nicht Kunde - zu bleiben.

Ob sich die politischen Parteien dieses Projektes annehmen werden, ist fraglich. Von Angela Merkel und Martin Schulz ist das nicht zu erwarten. Immerhin einige Politiker der LINKEN können sich dafür erwärmen, wie etwa Sahra Wagenknecht, die im Vorwort zu Wagners Buch schreibt: »Die großen Player der Internetwirtschaft sind längst eine Gefahr für die Demokratie.« Zu dieser Einsicht wird jeder gelangen, der Wagners Buch gelesen hat. Danach müssen Taten folgen. Freiwillig aushändigen, soviel steht fest, werden Amazon und Co. es uns nicht.

Thomas Wagner: Das Netz in unsere Hand! Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie, PapyRossa, 166 S., geb.,13,90 €.

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