Gegen Merkels Dominanz

Die Politikerin Maéva Durand stellt sich in Deutschland lebenden Franzosen zur Wahl.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Christi Himmelfahrt 2017: An zahlreichen Ortens Berlins messen sich Männergruppen traditionsbedingt in Disziplinen wie Testosteronausstoß, Alkoholismus und Beleidigen. Es macht keinen Spaß, aber Maéva Durand, Politikerin der Kommunistischen Partei Frankreichs, fährt trotzdem Bahn. In ihrem Abteil müssen sich Frauen Sprüche anhören, die 25-Jährige ist genervt. Durand, halblange rotbräunliche Haare, eine schwarze Brille auf der Nase, beigefarbenes Hemd über der Jeans, atmet durch, als sie ankommt. Sie hat sich den Wahlkampftermin bewusst ausgesucht. Ihr Ziel ist die deutsch-französische LGBT-Gruppe »Bleu Blanc Rose«, mit den Aktivisten will sie über Ausgrenzung und Sexismus diskutieren. »Der Respekt der Gesellschaft muss erkämpft werden«, sagt Durand. An manchen Tagen ist das mehr als eine leere Phrase.

Kurz darauf auf dem »MarxisMuss«-Kongress im Friedrichshainer »nd«-Gebäude. Die Sonne knallt, die zu schüttelnden Hände sind zahlreich. Durand, ganz in ihrem Element, erscheint mit Übersetzer und Berater. Die Politikerin ist Kandidatin des Linksbündnisses »Front de gauche« für die französische Parlamentswahl Mitte Juni. Ihr Wahlkreis »Bezirk Nummer 7« umfasst die Auslandsfranzosen, die in Mitteleuropa und auf dem Balkan leben, verteilt in 14 verschiedenen Staaten. Für die Abstimmung wurde die Welt in elf Bezirke geteilt, die jeweils einen Abgeordneten stellen. Wie viele Wahlberechtigte sich insgesamt in Durands Einzugsbereich befinden, weiß sie nicht. Nur, dass in Deutschland mit rund 85.000 registrierten Franzosen die meisten Wähler sind.

Mit ihrem Team zieht Durand seit Ende April durch Europa. Österreich, Ungarn und die Slowakei hat sie bereits durchquert, weitere Länder sollen noch folgen. Als explizit linke Kandidatin trifft sie in den Exilgemeinden oftmals auf größeren Widerstand als in ihrer Heimat. Nach Angaben der französischen Botschaft stimmten in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im April stattliche 56 Prozent der in Deutschland lebenden Franzosen für den marktliberalen Kandidaten und heutigen Präsidenten Emmanuel Macron. Der linke Jean-Luc Mélenchon erhielt lediglich zwölf Prozent, in Frankreich dagegen fast 20 Prozent. Bei der Parlamentswahl kommt noch ein weiteres pikantes Detail dazu: Ein Kandidat von Mélenchons linker Bewegung »La France insoumise« tritt gegen Durand an. Die wenigen linken Stimmen teilt man unter sich auf.

Die Politikerin verdreht die Augen, wenn sie auf das gescheiterte Wahlbündnis zwischen der Kommunistischen Partei und Mélenchons Bewegung zu sprechen kommt. »Wir haben das gleiche Ziel, nur Unterschiede in den Methoden.« Trotzdem könne sich die KP in der neuen Bewegung nicht einfach auflösen, sagt Durand. »Unsere politische Identität darf nicht verschwinden.« Die Forderungen Mélenchons für eine Zusammenarbeit seien überzogen gewesen. Dabei hätte der derzeitige Star der französischen Linken gerade in den Arbeitervierteln ohne die Vorarbeit und Verankerung der Kommunistischen Partei keine Chance gehabt.

Die Arbeiterschicht ist für Durand ein emotionales Thema. Die Politikerin ist in einer Sozialwohnung in der ehemaligen Industriestadt Belfort nahe der deutschen Grenze aufgewachsen. Als sie neun Jahre alt war, starb ihr Vater, die Mutter schlug sich als Fabrikarbeiterin, Reinigungskraft und Kantinenaushilfe durch. Das Geld reichte nicht und Durand musste zu ihrem Onkel ziehen. Der war als Beamter für den Straßenbau zuständig, gleichzeitig engagierte er sich in der Gewerkschaft CGT.

Als Durand auf das Gymnasium wollte, verwehrte die Schulleitung ihr anfangs den Platz. Die Jugendliche ließ aber nicht locker. Sie wurde aufgenommen, schaffte den Abschluss und studierte Soziologie und Politikwissenschaften. Wenn sie Zeit findet, will sie ihre Promotion beginnen, sagt sie. Auf Durands linkem Unterarm sind russische Schriftzeichen tätowiert. »Leben ist Kampf«, übersetzt sie mit einem Lächeln. Warum sie es trägt? »Ich will nicht vergessen, was meine Familie durchgemacht hat.«

Unter der Amtszeit des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy begann Durand sich politisch zu engagieren. Sie trat dem größten französischen Studentenverband UNEF bei, später der Kommunistischen Jugend. Sie demonstrierte gegen das Freihandelsabkommen TTIP und neoliberale Arbeitsmarktreformen, pflegte aber auch Kontakte zu linken Parteien. Als Erasmus-Studentin kam sie dann 2011 erstmals nach Deutschland, lebte in Mainz, später in Göttingen, Leipzig und Berlin.

Bei der Parlamentswahl setzt sich Durand ganz pragmatisch für die Interessen der Auslandsfranzosen ein. Ihre Forderungen umfassen einen Ausbau der länderübergreifenden Bahnstrecken, die Aufstockung der Mitarbeiter von Botschaften sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in französischen Auslandsgymnasien. Doch Durand sieht sich auch als linke Europäerin. Das bedeutet für sie, sich für eine gemeinsame humane Flüchtlingspolitik einzusetzen, für Abrüstung und für die deutsch-französische Freundschaft. Die von Angela Merkel in Europa vehement durchgesetzte Sparpolitik stelle dafür jedoch eine große Gefahr dar. »Die Beziehung unserer Länder darf nicht von Dominanz geprägt sein.«

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