nd-aktuell.de / 06.06.2017 / Kommentare

»Nicht den Kopf in den Sand stecken«

Dokumentation: Die Spitzenkandidatin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen analysiert das Abschneiden der Partei bei der Landtagswahl

Özlem Alev Demirel

8435 Stimmen (0,1%) haben für den Einzug in den Landtag gefehlt. Bei gestiegener Wahlbeteiligung konnten wir unsere Stimmen von 2012 von 194.428 auf 415.936 mehr als verdoppeln. Dennoch: dies kann nur als bitterer Erfolg gewertet werden, da das Wahlziel, in den Landtag einzuziehen, nicht erreicht wurde. Das ist bitter für den Landesverband. Der Dank gilt, allen, die einen engagierten Wahlkampf geführt haben. Jetzt gilt es, Lehren aus diesem Wahlkampf für die Zukunft zu ziehen.

Das Wahlergebnis liegt auf der Hand: Die SPD-Grüne Landesregierung wurde abgewählt. Die SPD hat in ihrer Hochburg NRW etwa 400.000 Stimmen verloren, die Grünen haben ihr Ergebnis fast halbiert. Beide Parteien stecken in einer tiefen Krise. Die CDU ist, trotz des zweitschlechtesten Wahlergebnisses in der Geschichte des Landes, Wahlsieger. Zum Jahreswechsel erschien es noch unvorstellbar, dass Armin Laschet gegen Hannelore Kraft gewinnen könnte, nun finden Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU und der FDP statt.

Kampagne gegen die LINKE

Dass es in den letzten Wahlkampfwochen zu einem Kopf an Kopf Rennen zwischen Armin Laschet und Hannelore Kraft gekommen ist, hat sich offensichtlich auch negativ auf uns ausgewirkt. Hannelore Krafts Äußerung in der letzten Wahlkampfwoche, auf keinen Fall mit der LINKEN sondieren/regieren zu wollen, hatte das Ziel, uns ins Abseits zu schießen und aus dem Parlament zu halten und unsere potenziellen Wähler_innen wieder an sich zu binden. Diese Äußerung hat aber nicht nur uns potenzielle Wähler_innen Stimmen gekostet, sondern auch die Glaubwürdigkeit der SPD stark infrage gestellt.

Dass sowohl Hannelore Kraft als auch Armin Laschet die FDP als Wunschkoalitionspartner genannt haben, hat diese in den letzten Wochen dagegen noch einmal massiv aufgewertet und auch zu dem starken Wahlergebnis der FDP geführt. Die FDP hat sich mit ihrem historisch stärksten Wahlergebnis als Sieger der Wahl gefeiert. Ähnlich verhalten sich derzeit CDU und SPD auch im Bund und verhelfen der FDP auch mit Blick auf die Bundestagswahlen zu steigenden Umfragewerten. Obwohl sich die FDP programmatisch nicht verändert hat und weiterhin für privat vor Staat, Studiengebühren u.ä. steht, konnte sie mit einer offensiven (Image) Kampagne und einem ausschließlich personalisierten Wahlkampf erfolgreich sein. Dass sie dabei auf große Unternehmensspenden für den Wahlkampf aufbauen konnte und sogar illegale Wahlkampffinanzierung über ihre parteinahe Stiftung getätigt hat, scheint ihre Anhänger nicht zu beeindrucken.

Durch unser Scheitern an der willkürlich festgelegten, undemokratischen 5% Hürde reicht es nun für eine schwarz-gelbe Landesregierung. Es liegt auf der Hand, dass diese beiden Parteien keine soziale Politik machen werden. Umso wichtiger wird es sein, dass wir als außerparlamentarische Opposition jetzt bereits Bündnisse aufbauen, um gemeinsam mit möglichst vielen Menschen gegen drohende Verschlechterungen zu kämpfen.

Durch den ganzen Wahlkampf hindurch – und ganz besonders verstärkt in den letzten zwei Wochen – haben sich SPD, CDU und Grüne vorrangig an der LINKEN abgearbeitet. Insbesondere Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann haben den ganzen Wahlkampf über versucht, mit derselben Strategie wie 2012, DIE LINKE zu diffamieren und uns in den Umfragen auf möglichst niedrige Werte herunterzudrücken und den erneuten Einzug der Partei in den Landtag zu verhindern.

Diese Dämonisierung der LINKEN durch Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann konnte dann von der CDU in eine eigene »anti-Rot-Rot-Grün« Kampagne umgewandelt werden auf die dann wiederum die SPD und Grünen nur noch panisch reagierten. Es bleibt festzuhalten, dass es politisch brisant ist, dass Sylvia Löhrmann zu Beginn des Wahlkampfs das Hauptziel ausgegeben hat, die LINKE aus dem Landtag herauszuhalten und Hannelore Kraft im TV-Duell mit Armin Laschet denselben Wunsch geäußert hat. Dies zeugt von einem fehlenden politischen Kompass insbesondere bei SPD und Grüne. Obwohl die reale Gefahr bestand, dass die rechtspopulistische, rassistische AfD in den Landtag einzieht, haben SPD und Grüne das Hauptziel ausgegeben, DIE LINKE aus dem Landtag herauszuhalten. Das ist ein Skandal.

Der Einzug der rassistischen AfD in den Landtag stellt nun eine Zäsur dar. Gerade NRW ist ein Einwanderungsland mit einer langen Tradition der friedlichen Integration von Zuwanderern. Dass DIE LINKE als ein klarer antirassistischer Gegenpol zur AFD nicht im Landtag vertreten ist, ist in dieser Hinsicht umso schmerzhafter. Desto wichtiger wird es auch in den kommenden Jahren sein, sowohl den Rassismus, für den die AfD gewählt wird, deutlich anzugreifen als auch die unsoziale Politik der angeblichen Alternative zu entlarven und den Zusammenhang zwischen Rassismus und unsozialer Politik deutlich zu machen.

Organisatorische Voraussetzungen

Unsere organisatorischen Voraussetzungen für diese Wahlen waren noch bescheidener als bei vergangenen Wahlen: Wir hatten ein Budget von 770.000 Euro, während die anderen Parteien mehrere Millionen Euro für das bevölkerungsreichste Flächenland zur Verfügung hatten. Wir hatten ein Wahlbüro, das den kompletten Wahlkampf (inhaltlich und organisatorisch) aufgestellt und koordiniert hat, bestehend aus insgesamt 13 Menschen - dem Landesgeschäftsführer (Wahlkampfleiter), der Schatzmeisterin und die beiden Spitzenkandidaten, fünf Ehrenamtliche und vier Hauptamtliche (mit zwei vollen und zwei halben Stellen). Darunter, die 20 Stunden Stelle für die Pressearbeit, die lediglich für den Wahlkampf zusätzlich eingestellt werden konnte.

Diese beiden Faktoren haben auch zu organisatorischen Schwächen im Wahlkampf geführt.
Es gab Startschwierigkeiten zu Beginn des heißen Wahlkampfs. Es gab Verzögerungen bei der Materialauslieferung, wir hatten keinen großen (medialen) Wahlkampfauftakt und waren auch in anderen Fragen zu stark mit internen organisatorischen Vorbereitungen beschäftigt.
Da sich an den Rahmenbedingungen auch bei kommenden Wahlen nichts wesentlich ändern wird, müssen eigene Wege gefunden werden, diese Schwächen in Zukunft zu vermeiden. Ein Ansatzpunkt muss sein, den Wahlkampf auch organisatorisch früher zu beginnen und Entscheidungsprozesse im Wahlbüro effizienter und schneller ablaufen zu lassen. Auch konnten wir aufgrund der finanziellen und personellen Engpässe nicht kurzfristig auf alles so reagieren, wie es vielleicht erforderlich gewesen wäre.

Rahmenbedingungen

2010 konnten wir mit 435.627 Stimmen und einem Ergebnis von 5,6 Prozent in den Landtag einziehen. Dies ist uns leider nicht erneut gelungen und wir müssen gemeinsam analysieren, woran das gelegen hat. Bei einem Vergleich zu den Zahlen von 2010 muss allerdings zunächst einmal festgehalten werden, dass wir noch im Herbst 2009 mit einem herausragenden Ergebnis von 11,9 Prozent bei den Bundestagswahlen abgeschnitten haben und zuvor einen Landtag nach dem anderen erobert haben. Diesen Boom haben wir nicht halten können und seitdem zahlreiche Wähler_innen verloren und sind nun in zahlreichen Landtagen nicht mehr vertreten. Der negative Trend konnte mit der Bundestagswahl 2013 zumindest gestoppt werden, auch wenn wir damals mit 8,4 Prozent deutlich unter dem Ergebnis von 2009 geblieben sind. Seitdem verbleiben wir auf Bundesebene in dem Bereich des Ergebnisses der Wahl von 2013.

In den anderen Bundesländern gab es im Vorfeld dieser Landtagswahl in NRW mit Ausnahme der Erfolge bei Wahlen in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen, Berlin und Thüringen keine Ergebnisse, die in dem Bereich der Wahlen aus den Jahren 2008-2010 lagen. Bei den diesjährigen Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein konnten zwar unter den jeweiligen Rahmenbedingungen respektable Ergebnisse erzielt werden, aber im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2009 gab es bei beiden Wahlen ein Verlust von etwa einem Drittel der Stimmen. Insbesondere auch der (1 Woche vor der NRW-Wahl) deutlich verpasste Wiedereinzug in den Schleswig-Holsteinischen Landtag mit 3,8 Prozent hat uns zumindest keinen Rückenwind verschafft. Viele Wählerinnen und Wähler haben uns anschließend den Einzug in den Landtag nicht zugetraut und wollten ihre Stimme nicht »verschenken«.

Bei einem Vergleich mit 2010 muss zudem die massiv veränderte Parteienlandschaft betrachtet werden. Die AfD gab es 2010 noch nicht. Der AfD gelingt es Protestpotenziale an sich zu binden, die unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und bei einem anderen öffentlichem Image unserer Partei durchaus auch für DIE LINKE erreichbar wären. Bei dieser Landtagswahl sind die Piraten mit einem sehr ähnlichen Wahlprogramm und Forderungen (12,50 Euro Mindestlohn, sozialer Wohnungsbau, fahrscheinloser ÖPNV, Ablehnung der Schuldenbremse u.v.m.) in den Wahlkampf gezogen. Die Piraten hatten über 80.000 Stimmen und die Partei Die Partei hat sich bei dieser Wahl verdoppelt auf 55.000 Stimmen.

Ohnehin sind bei dieser Landtagswahl in NRW 31 Parteien angetreten – darunter auch Parteien, die bei den vorherigen Wahlen 2010 und 2012, zur Wahl der LINKEN aufgerufen hatten. Hier sollten wir uns – gemeinsam mit anderen progressiven und systemkritischen Kräften - die Frage stellen, ob wir es uns, auch insbesondere mit Blick auf die parlamentarische Rechtsverschiebung, leisten können auch bei Wahlen auf Zersplitterung zu setzen und nicht auf Bündnisse zu orientieren.

Insgesamt muss bei einem Vergleich der Zusammensetzung unserer Wählerschaft seit der Boomphase der Partei 2007-2010 der anschließenden Krisenphase 2011-2012 und der seit 2013 stattfindenden Konsolidierung konstatiert werden, dass es deutliche Verschiebungen gab. In der Anfangsphase sind wir vorrangig von Wählern aus dem Alterssegment 45-59 gewählt worden und von Arbeiter_innen und Erwerbslosen. Bereits damals gab es ein deutliches Gefälle zwischen den Ergebnissen im ländlichen Raum und den wesentlich besseren Ergebnissen in den Städten. Seit dem Beginn der Konsolidierung 2013 zeigen alle Wahlergebnisse der LINKEN eine deutliche Zunahme bei Erstwähler_innen und jungen Wähler_innen unter 30 und generell bei Wähler_innen im akademisch-urbanen Milieu. Dem gegenüber stehen Verluste bei Wähler_innen aus dem Alterssegment 45 und älter und bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeiter_innen sowie den Erwerbslosen. Auch wenn die Verluste in NRW in den genannten Bereichen deutlich niedriger ausfielen als bei anderen Wahlen in den vergangenen Jahren, konnte der generelle Trend der Partei auch hier nicht gestoppt werden.

In gewisser Hinsicht erleben wir hierbei eine Annäherung der Wähler_innenschichten an die Mitgliederstruktur der Partei. Bislang ist es der Partei nicht gelungen Strukturen zu entwickeln, die es allen Teilen der Arbeiter_innenklasse (Angestellte, Prekarisierte, Akademiker_innen, Schichtarbeiter_innen etc.) ermöglicht sich gleichermaßen in das Parteileben einzubringen.
Auch bei der Aufstellung der Landesliste wurde es offensichtlich versäumt, klare Signale Richtung anderer potenzieller Bündnispartner zu setzen und unterschiedliche Wählerschichten anzusprechen. Unter den aussichtsreichen Listenplätzen war kein Kandidat, der oder die unmittelbar als Multiplikator in ein betriebliches oder gewerkschaftliches Umfeld hätte wirken können. Damit wurden mit Sicherheit Potenziale verspielt. Aber auch in Richtung anderer potenzieller Bündnispartner wurden keine klaren Signale gesetzt.

Unsere Ergebnisse

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass wir eine relativ erfolgreiche Imagekampagne im und vor dem Wahlkampf aufbauen konnten. Wir hatten eine gute Medienresonanz. Viele Wahlkämpfer_innen haben von unerwartet viel positiver Resonanz berichtet und von viel Sympathie, die uns gegenüber geäußert wurde. Dementsprechend konnten wir auch in zahlreichen Kreisverbänden erfreulich viele Neumitglieder begrüßen. Leider haben wir diese Sympathie nicht in ausreichendem Maße in Wählerstimmen umwandeln können.

Dafür brauchen wir eine dauerhafte Präsenz unserer Partei im Lebensalltag der Menschen, die wir erreichen wollen – in den Stadtteilen, in den Betrieben, an den Universitäten und Schulen. Dort, wo wir starke kommunale Fraktionen haben, dort, wo wir auf lebendige Parteistrukturen treffen, dort, wo auch die Linksjugend aktiv ist, sind wir auch bei Wahlen erfolgreicher. Lediglich zu Wahlkämpfen in bestimmten Regionen des Landes aufzutauchen wird für eine nachhaltige Verankerung nicht ausreichen. Aber auch im Wahlkampf selber muss zusätzlich zum allgemeinen Wahlkampf mit dem Stecken von Flyern, Zeitungen verteilen, plakatieren etc. immer das direkte Gespräch gesucht werden. Hier sind wir manchmal zu zurückhaltend.

Erste Versuche mit Haustürbesuchen sind nur in einigen Kreisverbänden lanciert worden und können eine dauerhafte Verankerung nicht ersetzen. Dabei hat der NRW-Wahlkampf sehr deutlich gemacht, dass es auf jede einzelne Stimme ankommt. Wenn jedes Mitglied durchschnittlich nur etwa 1,2 mehr Menschen von der Wahl der LINKEN überzeugt hätte, wäre DIE LINKE jetzt im Düsseldorfer Landtag. Zu einer Verankerung der Partei gehört auch ein offensiver Umgang mit der eigenen Parteimitgliedschaft im persönlichen Umfeld. Mitglieder sollten selber versuchen zu Multiplikatoren in den eigenen Zusammenhängen zu werden. Und wir müssen darüber nachdenken, wie der Aktivierungsgrad unserer Mitgliedschaft erhöht werden kann: Was braucht es, damit Mitglieder sich einmischen, aktiv werden jenseits der Zahlung ihrer Mitgliedsbeiträge? Wieder landen wir bei der Frage, wie eine widerständige Partei aussehen kann, angefangen von den Sitzungszeiten, damit auch Eltern und Schichtabeiter_innen teilnehmen können, bis hin zu Angeboten zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten.

Wir haben jeweils 60.000 Stimmen von SPD und Grünen dazu gewonnen, 10.000 von der FDP, 40.000 von den Nichtwähler_innen und 40.000 von anderen Parteien (zum Großteil den Piraten). Mit jeweils 10.000 Stimmen haben Grüne und wir am wenigsten von allen Parteien an die AfD verloren.
Wir haben im Verhältnis zum amtlichen Wahlergebnis überdurchschnittliche Ergebnisse bei Erwerbslosen (10 Prozent), bei Gewerkschaftsmitgliedern (7 Prozent) und bei Menschen unter 35 (7-8 Prozent). Wir haben unsere Ergebnisse in Großstädten mit Universitäten in der Regel gesteigert.

Dennoch müssen wir festhalten, dass die AfD bei Erwerbslosen und Gewerkschaftsmitgliedern überdurchschnittliche Ergebnisse eingefahren hat und auch die FDP – mit einem unterdurchschnittlichen Ergebnis – bei Gewerkschaftsmitgliedern mit 8 Prozent vor uns liegt. Für eine Partei, die den Anspruch hat konsequent an der Seite der Lohnabhängigen zu stehen, muss ein solches Ergebnis zu denken geben. Ganz schlechte Ergebnisse haben wir bei Menschen über 70 erzielt. In diesem Alterssegment erreicht DIE LINKE traditionell schlechtere Ergebnisse, aber dennoch haben wir es versäumt hier eine zielgenaue Ansprache auch für diese Menschen zu finden.

Die andauernde strukturelle Schwäche (sowohl personell, als auch finanziell) im ländlichen Raum muss endlich ernsthaft angegangen werden. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre ein Patenschaftsmodell in dem (Mitglieder)starke Kreisverbände, schwächere Kreisverbände unterstützen. Eine Briefwahlkampagne haben wir nicht aufbauen können. Grade hier haben wir unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, die uns im Laufe des Wahlabends unter die 5 Prozent gebracht haben.

In 66 von 128 Wahlkreisen haben wir mehr Erststimmen als Zweitstimmen geholt. Aufaddiert ergeben das in diesen Wahlkreisen etwa 14.000 Stimmen. Dies ist für eine Partei, deren parlamentarische Präsenz ausschließlich von dem Zweitstimmenergebnis abhängig ist und die so knapp am Einzug in den Landtag gescheitert ist, verhängnisvoll. Daher sollten wir uns für zukünftige Wahlkämpfe überlegen, ob ein offensiver Zweitstimmenwahlkampf sinnvoll ist.

Grundsätzlich gilt, dass bei Wahlen nur Potenziale mobilisiert werden können, die bereits vorher aufgebaut wurden. Jetzt muss es daher darum gehen, die Verankerung der Partei weiter vor Ort zu stärken und die Partei erlebbar für die Menschen zu machen. Wir sind eine Mitgliederpartei und leben von der Stärke und dem Engagement unserer Mitglieder. Seit dem Programmparteitag (LWP) haben wir insgesamt 977 Neueintritte in die Partei (615 Menschen bis 35 Jahre, 270 Menschen 36-60 Jahre und 93 Menschen über 60 Jahre). Dies kann für uns ein Anknüpfungspunkt sein. Das Ziel muss sein jedes neue Mitglied auch als aktives Mitglied zu gewinnen.

Gewinner Wahlthemen

In dem Bereich, in dem uns die höchsten Kompetenzwerte zugeordnet werden, dem Thema soziale Gerechtigkeit, ist es uns in diesem Wahlkampf gelungen offensiv nach außen zu gehen und selbstbewusst unsere Positionen vorzutragen. Auch unsere Wahlkampagne war auf die soziale Frage fokussiert. Gut durchgedrungen sind wir offenbar auch mit dem Thema Wohnen. Dort wo dieses Thema eine zentrale Rolle spielt und die Partei auch mit den Initiativen vernetzt ist, haben wir gute Ergebnisse erzielt. Auch die vom Landeswahlbüro organisierte kreative Aktion/Tour »Miethaie zur Fischstäbchen«, war erfolgreich. Es wäre sinnvoll gewesen auch in den meisten Ruhrgebietsstädten in denen wir leichte bis starke Verluste verzeichnet haben mit einem bewusst, zentral ausgewählten Thema, was in diesen Ballungsraum entscheidend ist, eine ähnliche zentral organisierte kreative Aktion anzubieten.

Eines der weiteren wahlentscheidenden Themen war die Situation an den Schulen. Da wir seit Jahren fundierte Kritik an der Bildungsmisere haben, hätten wir mit diesem Thema wesentlich stärker durchdringen können. Wir hätten das Thema und unsere bildungspolitischen Alternativen (Alleinstellungsmerkmale) wesentlich früher nach vorne Stellen und zuspitzen müssen.
Auch bei anderen Themen haben wir uns unnötigerweise zurückgehalten.

So hätten wir unsere Antworten auf das Thema innere Sicherheit, ebenso wie unsere klare antirassistische Haltung, genauso selbstbewusst wie unsere sozialpolitischen Themen offensiv nach vorne bringen müssen. Dort, wo es große und erfolgreiche Proteste gegen die AfD gab (Köln und Münster), waren wir überdurchschnittlich stark und die AfD hatte unterdurchschnittliche Ergebnisse. Dort, wo die Proteste relativ klein blieben oder gar nicht stattfanden, war die AfD vergleichsweise stark (Teile des Ruhrgebiets).

Mit dem Thema Antirassismus als Bestandteil der Kampagne hätten wir auch viele Menschen mit einem Migrationshintergrund klarer ansprechen können. Letztlich hat jeder vierte Mensch in NRW einen sogenannten Migrationshintergrund. Das migrationspolitische Spektrum unserer Wähler_innen hätten wir auch ausschöpfen können, indem wir - wie sonst üblich für DIE LINKE NRW - mehrsprachige Flugblätter verteilen. Hier muss auch erwähnt werden, dass hiesige Strukturen der AKP eine Anti-LINKE ‚Kampagne› während des Landtagswahlkampfs in NRW geführt haben.

An den Stellen, an denen wir selbstbewusst und offensiv nach außen gegangen sind, konnten wir punkten. Denn da wo wir nicht selber offensiv formuliert haben, was unser Ansatz ist, haben andere über uns erzählt, was unsere Positionen seien. So auch im Bereich Sicherheit. Unser Ansatz, Sicherheit und Grundrechte nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, wurde von anderen verzerrt dargestellt. Auch, dass wir uns als Einzige, statt Geflüchtete und sozial Abgehängte gegeneinander auszuspielen, für soziale Errungenschaften für alle streiten, konnten wir so genauso wenig in die breite Bevölkerung tragen, wie dass wir als Einzige glaubwürdig für die Bekämpfung von Fluchtursachen (Kriege, Waffenexporte, Freihandelsverträge etc.) stehen.

Gestiegene Wahlbeteiligung

Insgesamt haben sich über 8,5 Mio. Menschen (65 Prozent) an der Wahl beteiligt. Damit lag die Wahlbeteiligung deutlich höher als bei der vergangenen Wahl. Diese erhöhte Wahlbeteiligung ist insbesondere auf eine starke Mobilisierung von CDU und FDP zurückzuführen, die Wähler_innen der Mittel- und Oberschicht an die Urne gebracht haben. Die CDU konnte 430.000 ehemalige Nichtwähler_innen an die Wahlurnen mobilisieren. Dies hängt vor allem mit dem oben erwähnten Kopf an Kopf-Rennen zwischen Hannelore Kraft und Armin Laschet zusammen. Die mögliche Machtoption für einen konservativen Kandidaten konnte viele Menschen überzeugen, »ihren« Kandidaten zu wählen.

Gänzlich unberührt von dieser Entwicklung waren hingegen die Gegenden, in denen sozial benachteiligte Menschen leben. Dort hat sich die Wahlbeteiligung sogar noch verschlechtert. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung waren es hauptsächlich Menschen, die von Armut und prekären Lebenslagen betroffen sind, die nicht zur Wahl gegangen sind. Hier liegt für uns als Partei vielleicht die größte Herausforderung. Wir müssen den Menschen aus diesen Gegenden wieder deutlich machen, dass sie tatsächlich etwas verändern können und der gesellschaftlichen Entwicklung nicht ausgeliefert sind.

Dieses Problem kann nicht lediglich in Wahlkämpfen gelöst werden, sondern erfordert dauerhafte Präsenz, dauerhafte Verankerung und dauerhafte politische Aufklärungsarbeit. Es ist ein Dilemma der Partei, dass wir seit Jahren versprechen, dass eine stärkere LINKE zu einem sozialeren Land führt. Doch sich trotz teilweise guter Wahlergebnisse an der Situation der Menschen nichts verbessert. Wir müssen daher zu einer anderen Erzählung und zu einer anderen Struktur kommen, um das Problem der demokratischen Abstinenz der finanziell schlechter gestellten Schichten anzugehen.
Diese Antwort darf sich nicht auf ein Stellvertretertum beschränken, sondern muss sich der Herausforderung stellen, die Menschen dafür zu gewinnen sich für ihre eigenen Interessen einzusetzen.

Fazit

Auch wenn wir unser Ziel nicht erreicht haben wieder in den Landtag einzuziehen, haben wir in diesem Wahlkampf unsere (absoluten) Stimmen mehr als verdoppelt und sowohl unsere Sympathiewerte gesteigert als auch viele neue Mitglieder dazugewonnen. Darauf müssen wir jetzt aufbauen. Dabei geht es nicht darum, sich etwas schön zu reden, sondern echte Lehren aus diesem Wahlkampf zu ziehen. Es geht um den Parteiaufbau in der Fläche. Es geht um die Verankerung unserer Partei und unserer Inhalte im Alltagsbewusstsein vieler Menschen.

Wir stehen auch vor der Herausforderung aufgrund der parlamentarischen Rechtsverschiebung in NRW, eine starke außerparlamentarische Opposition zu sein und mit einer guten Bündnisarbeit mit Gewerkschaften, NGOs und Bürgerinitiativen Verschlechterungen für Lohnabhängige und die Jugend abzuwehren. Kurz wir stehen vor großen Herausforderungen und der Kampf um soziale Errungenschaften und ein solidarisches NRW ist nicht leichter geworden, aber notwendiger. Und wir können diese Herausforderungen als Partei bewältigen, mit Ausdauer, Leidenschaft und Engagement und mit vielen aktiven Genossinnen und Genossen in den Kreisverbänden, im Landesverband.