Die andere Marine

Die Grüne Marine Tondelier fordert in Hénin-Beaumont Marine Le Pen heraus

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist Markttag in der nordfranzösischen Kleinstadt Hénin-Beaumont. Bis zur Parlamentswahl sind es nur noch wenige Tage. Eigentlich sollte man Marine Le Pen und ihre zwölf Gegenkandidaten hier antreffen: beim Verteilen von Flugblättern und Gesprächen mit den Kunden und potenziellen Wählern. Doch starker Regen und Wind hat sie alle vertrieben und die Straßen sind fast menschenleer. Nur eine junge Frau mit einem Korb unterm Arm geht herum und spricht die wenigen Menschen an, die ihr begegnen. Es ist Marine Tondelier, Kandidatin der Grünen für die Parlamentswahl in Frankreich, deren erste Runde am kommenden Sonntag stattfindet. »Guten Tag, ich heiße Marine, aber nicht mit der anderen zu verwechseln, mit der habe ich nichts gemein«, sagt Tondelier und verteilt Flugblätter mit ihrem Programm und kleine Tüten mit Blumensamen. »Für die Bienen, garantiert nicht genmanipuliert und braucht keine Pestizide«, erläutert sie.

Tondelier ist seit der Kommunalwahl 2014 Mitglied des Stadtrats der seitdem von der rechtsextremen Front Nation regierten Stadt. Sie gilt als bekannteste Opponentin des FN-Bürgermeisters Steeve Briois. Dafür haben die regelmäßigen Rededuelle gesorgt, die sie sich mit dem FN-Kommunalpolitiker bei den Stadtratssitzungen liefert und über die das Regionalfernsehen und die Zeitung »La Voix du Nord« regelmäßig berichten.

Noch bekannter bei Freund und Feind wurde sie, als im März ihr Buch »Nouvelles du Front« (Neues von der Front) erschien, in dem sie über ihre eigenen Erfahrungen, aber vor allem die vieler Beschäftigter der Stadtverwaltung von Hénin-Beaumont berichtet. Dort sehen sich die Angestellten dem von der FN ausgeübten Regime der Terrorisierung und Gleichschaltung ausgesetzt. »Viele Einwohner fürchten um ihre Sozialhilfe, einen Krippenplatz oder den Arbeitsplatz eines bei der Stadt beschäftigten Familienangehörigen, wenn sie offen ihre Meinung sagen«, meint Marine Tondelier.

Nachdem die FN-Parteichefin Marine Le Pen hier bei der Parlamentswahl 2012 schon einmal erfolglos kandidiert hat, tritt sie in diesem Jahr erneut an. Sie rechnet sich große Chancen für einen Sieg aus, zumal sie hier bei der Präsidentschaftswahl vor wenigen Wochen im ersten Wahlgang mit 41,2 Prozent der Stimmen Emmanuel Macron und alle anderen Kandidaten auf die Plätze verwiesen hat. In der Stichwahl gegen Macron brachte sie es sogar auf 61 Prozent.

Marine Tondelier glaubt nicht an einen Siegeszug der FN-Politikerin. »Sie ist hier nicht verwurzelt, kennt die Menschen nur oberflächlich und taucht lediglich hin und wieder bei Markttagen auf, wo sie Hände schüttelt und sich für Selfie-Fotos in Position stellt«, erzählt die Grünen-Kandidatin. »Marine Le Pen geht auf keine konkrete Frage ein, bringt keine Programmvorschläge vor und hat sich beispielsweise stets geweigert, an Debatten im Regionalfernsehen teilzunehmen.« Die rechtsextreme Politikerin gibt auch der marktbeherrschenden Zeitung »Voix du Nord« kein Interview, seitdem das Blatt vor der Regionalwahl 2015 zur »Abwehr der von der FN ausgehenden Gefahr« aufgerufen hat.

Marine Tondelier dagegen ist vor 30 Jahren in Hénin-Beaumont geboren und hier aufgewachsen. Sie hat dann in Lille Politikwissenschaften studiert und in den vergangenen Jahren in Teilzeit als parlamentarische Assistentin der Grünen-Abgeordneten Cécile Duflot gearbeitet. »Mit deren Mandat läuft auch mein Arbeitsvertrag in zwei Wochen aus, und wenn ich bis dahin nicht selbst zur Abgeordneten in der Nationalversammlung gewählt werde, bin ich bald arbeitslos«, meint sie. Dabei lacht sie, denn sie ist eine durch nichts zu erschütternde Optimistin.

Die FN hat Tondelier das Leben schwer gemacht und keine Lüge oder Hetzpropaganda im Internet oder in der kostenlosen Stadtzeitung gescheut, um sie bei den Bürgern in Hénin-Beaumont zu verleumden. Tondelier bringt gar nicht mehr die Zahl der Verleumdungsklagen zusammen, die die FN gegen sie wegen öffentlicher Äußerungen in Interviews und jetzt wegen ihres Buches angestrengt hat. »Die wollen mich destabilisieren, einschüchtern und durch eventuelle Geldstrafen ruinieren«, schätzt sie ein. »Aber die Menschen hier sehen, dass ich nicht klein beigebe und viele machen mir Mut - wenn auch meist diskret oder anonym, denn die Angst vor der FN ist groß.«

Die FN-Kommunalpolitiker haben es verstanden, sich durch Vergünstigungen eine »Klientel« zu schaffen, auf die sie sich stützen können. Während 2012, als sich der PS-Kandidat Philippe Kemel mit wenigen 100 Stimmen gegen Marine Le Pen durchsetzen konnte, die linken Kräfte mit einer gemeinsamen Kandidatin angetreten waren, ist die Linke diesmal mit sechs verschiedenen Kandidaten völlig zersplittert. Tondelier bedauert das sehr. »Die Kommunisten und die Ortsgruppe von «La France insoumise» wollten eigentlich zusammengehen und die anderen hätten sich bestimmt angeschlossen«, ist sie überzeugt, »aber Jean-Luc Mélenchon hat das seinen Leuten strikt verboten.«

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