nd-aktuell.de / 10.06.2017 / Politik / Seite 22

Glanz für die polnische Opposition

Die Solidarnosc-Legende Krzysztof Lozinski wurde nach dem unrühmlichen Rückzug von Mateusz Kijowski zum neuen Vorsitzenden der liberalen Bewegung KOD gewählt. Von Wojciech Osinski , Warschau

Wojciech Osinski

Die Hoffnung, die mit Mateusz Kijowski, dem charismatischen Anführer des Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD), nach der Machtübernahme der konservativen PiS im September 2015 in Polen aufkeimte, ist Geschichte: Auf ihrem Delegiertentreffen im Mai in Torun hat die oppositionelle Bewegung den einstigen Solidarnosc-Aktivisten Krzysztof Lozinski zum neuen KOD-Vorsitzenden gewählt. Für den gebürtigen Warschauer stimmten 130 der 165 anwesenden Delegierten.

Der 48-jährige Kijowski hatte zuvor seine Bewerbung zurückgezogen, so dass Lozinski keine Gegenkandidatur zu befürchten hatte. Allerdings wäre der bei seinen Anhängern in Verruf geratene Kijowski ohnedies chancenlos gewesen. Womöglich hat er gar mit seinem Rückzug größeren Schaden für den KOD verhindert. Ehemalige Weggefährten hatten den Informatiker aufgefordert, nicht erneut anzutreten. Denn Kijowski stand im Mittelpunkt der so genannten Rechnungsaffäre, die monatelang wie ein Damoklesschwert über der liberalen Bewegung schwebte. Letzten Endes konnte Kijowski die an ihn gerichteten Vorwürfe, er habe sich mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit unverhältnismäßig bereichert, nicht entkräften.

Jetzt also soll Krzysztof Lozinski dem KOD zu neuem Glanz verhelfen und den boshaften Verlautbarungen regimetreuer Journalisten, die dem Komitee einen baldigen Untergang prophezeit haben, etwas entgegensetzen. Auch wenn der bald 70-Jährige die technischen Schranken der heutigen sozialen Medien nur mit Mühe zu überwinden vermochte, wird er mit seiner Biografie zweifellos einen günstigen Einfluss auf das KOD ausüben.

Bereits in der Ära von Władysław Gomułka (Vorsitzender der kommunistischen Partei von 1956 bis 1970) ist Lozinski immer wieder durch rebellisches Verhalten aufgefallen. Als er während der März-Unruhen von 1968 an einer Demonstration gegen die Absetzung einer russlandkritischen Inszenierung des Dramenzyklus »Dziady« des Nationaldichters Adam Mickiewicz teilnahm, musste er sein Mathematikstudium abbrechen und wurde zum Militärdienst berufen. Nachdem Lozinski sein Studium anschließend beenden konnte, arbeitete er kurzzeitig als Physiklehrer an einem Warschauer Gymnasium. In den 1970er Jahren engagierte er sich im Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), das die Weichen für die spätere Solidarnosc-Gewerkschaft legte und nach dem die heutige KOD-Bewegung benannt ist. Lozinski gehört überdies zum erlauchten Kreis der Mitbegründer des Komitees. Als im Jahr 1980 Arbeiterunruhen das ganze Land in Atem hielten und die Gdansker Lenin-Werft zur Solidarnosc-Hochburg avancierte, war auch er mittendrin im Geschehen.

Doch der Kriegszustand von 1981 ließ alle Hoffnungen vorerst im Keim ersticken. Der damals 33-jährige Schullehrer dachte nicht daran aufzugeben und ging - wie so viele aus der heutigen polnischen Politik - in den antikommunistischen Untergrund, indem er sich am »Zweiten Umlauf« beteiligte und Flugblätter verteilte. In diesen Jahren begann - obgleich etwas unfreiwillig - Lozinskis publizistische Karriere. Den »Erstlingswerken« in oppositionellen Zeitschriften folgten immer reifere und originellere Texte. Im Jahr 1983 wurde er zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt, verließ das Gefängnis jedoch schon nach wenigen Wochen. Der polnische Sicherheitsdienst SB blieb ihm indes dicht auf den Fersen.

In den Jahren vor der politischen Transformation 1989 weilte er vorwiegend im Ausland, bereiste unter anderem Indien, Afghanistan und Singapur. In den 1990er Jahren war er Mitarbeiter von Amnesty International; die Menschenrechtsorganisation brachte auch seine publizistischen Schriften heraus, darunter das russlandkritische Buch »Rechtslosigkeit, Gewalt, Straffreiheit - Schriften über die Russische Föderation«. Auch in vielen anderen Texten geht Lozinski mit schonungsloser Härte mit dem heutigen Russland ins Gericht.

Der neue KOD-Chef wird gewiss einen anderen Kurs einschlagen als sein Vorgänger Kijowski. Dieser wollte die oppositionelle Bewegung vor den Parlamentswahlen 2019 in eine politische Partei umwandeln. Lozinski wird eher bei der aktuellen Ausrichtung bleiben, wobei er mehr Offenheit gegenüber anderen Milieus angekündigt hat und sich anschickt, auch die erbosten Feministinnen, Richter und Lehrer unter dem KOD-Schild zu vereinen.

Mit einer Antwort auf die wichtigste Frage, die unermüdliche polnische Journalisten immer wieder mit Leidenschaft umkreisen, will Lozinski folglich nicht dienen: Wird er den ungeschickten Vorsitzenden der Bürgerplattform (PO) und Moderne (N) in den nächsten Jahren den Rang ablaufen? Wie dem auch sei: Es scheint, dass dem passionierten Bergsteiger und Kampfsportler erst jetzt der internationale Ruf zuteil wird, der ihm eigentlich schon längst gebührt.