»Wer AfD wählt, wählt auch Nazis«

Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, im Gespräch über enttäuschte SPD-Wähler, rot-rot-grüne Optionen und die AfD

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 6 Min.

In den aktuellen Umfragen liegt die LINKE zwischen acht und neun Prozent. Ähnlich hatte sie bei der Bundestagswahl 2013 abgeschnitten. Wie soll man das bewerten? Stagniert die Partei?
Das ist ein Zeichen von Stabilität. Als Wahlkampfleiter zeigen mir die Umfragen, dass wir auf einem guten Weg sind, unsere Wahlziele zu erreichen. Wir wollen zehn Prozent plus X der Wählerstimmen erhalten, unseren Platz als drittstärkste politische Kraft behaupten und die vier Direktmandate in Berlin verteidigen. Vor genau vier Jahren lagen wir im Durchschnitt noch zwei Prozentpunkte unter unseren jetzigen Werten.

Nach einem Zwischenhoch hat die SPD in jüngster Zeit wieder einige Prozentpunkte verloren. Warum kommen diese enttäuschten SPD-Wähler nicht zur Linkspartei?
Ob das so ist, wollen wir mal abwarten. Der Wahlkampf hat gerade erst begonnen. Wir wollen mit einem klaren, eigenständigen und sozialen Profil unsere Stärken nach vorne stellen. Unser Angebot im Wahlkampf - auch an enttäuschte Sozialdemokraten - heißt: Die Dinge müssen nicht so bleiben, wie sie sind! Wir wollen keine 16 Jahre Merkel. Es gibt Überschneidungen im Wählerpotenzial mit der SPD. Entscheidend ist, dass wir aber auch aus dem Nichtwählerlager viele Menschen mobilisieren wollen. Die CDU hat das bei den vergangenen Landtagswahlen leider sehr erfolgreich gemacht. Deswegen hat sie diese drei Wahlen gewonnen. Das heißt: Wer im September siegen will, der muss über die eigene Klientel hinaus mobilisieren.

Zur Person

Matthias Höhn ist seit Juni 2012 Bundesgeschäftsführer der LINKEN. Mit dem 41-Jährigen sprachen die nd-Redakteure Fabian Lambeck und Aert van Riel über den Hannoveraner Programmparteitag an diesem Wochenende und die Lage der Partei vor der Bundestagswahl.

An welche gesellschaftlichen Schichten richtet sich denn die Wahlkampagne der LINKEN?
Zunächst einmal wollen wir unser Stammwählerpotenzial erreichen. Generell wollen wir an diejenigen heran, die sich nach sozialer Gerechtigkeit und politischer Veränderung sehnen. Dafür stehen wir. Dabei geht es um prekär Beschäftigte sowie allgemein um Erwerbstätige, die mit der Lohnentwicklung und den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind. Wir wollen diejenigen ansprechen, die sich Sorgen um eine verlässliche Rente machen, und junge Menschen, die wir bei den letzten Wahlkämpfen und zuletzt vermehrt als Neumitglieder gewinnen konnten. Wir wollen attraktiv sein in Stadt und Land. In den eher ländlichen Regionen haben wir zuletzt geschwächelt. Da müssen wir besser werden.

Einige dieser Gruppen, vor allem Erwerbslose, bisherige Nichtwähler und Arbeiter, tendierten zuletzt vor allem im Osten zur AfD. Wie will die LINKE diese Menschen wieder für sich gewinnen?
Es ist richtig, dass sich ein Teil der Wählerinnen und Wähler vorstellen kann, sowohl DIE LINKE als auch AfD zu wählen. Wir müssen klare Kante zeigen: Die AfD vertritt anti-soziale Positionen. Wer AfD wählt, wählt auch Nazis. Und wer AfD wählt, stützt Merkel im Amt. Denn je stärker die AfD wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass gegen Merkel keine Mehrheit gebildet werden kann. Ein Hinterherlaufen - wie es leider bei anderen Parteien zu beobachten war - wird es mit uns nicht geben.

Diskussionsbedarf scheint es aber trotzdem in der LINKEN zu geben. Für den Parteitag in Hannover liegen etwa 1300 Änderungsanträge vor. Ist der Programmentwurf so umstritten?
Zunächst einmal freue ich mich, dass es eine so große Beteiligung an der Programmdebatte gibt. Für mich als Bundesgeschäftsführer ist das eine kleine Herausforderung, weil das für den Parteitag ein sehr hohes Arbeitspensum ist, obwohl wir nun drei Tage lang Zeit haben werden. Ich will nicht von Streit reden, sondern ich wünsche mir eine konstruktive und lebendige Debatte. Eine LINKE, die so tun würde, als seien alle Dinge schon gesagt, wäre einfach nur langweilig.

Das Thema Regierungsbeteiligung auf Bundesebene sorgt immer wieder für Debatten in der Linkspartei. In den Umfragen sieht es nicht danach aus, als ob es eine Mehrheit R2G im Bund geben könnte. Glauben Sie noch an Rot-Rot-Grün?
Woran ich glaube oder nicht, ist nicht der entscheidende Punkt. Wir wollen für einen Politikwechsel streiten. Die SPD tut das derzeit nicht. In den Umfragen waren die Sozialdemokraten nach der Nominierung von Martin Schulz zu Jahresbeginn erfolgreich. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine klare Kampfansage an die CDU und die Ankündigung, für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen und die nächste Bundesregierung anführen zu wollen. Seit die SPD davon Abstand genommen hat, mit der FDP liebäugelt, bei sozialen Themen unkonkret bleibt und in den Ländern Wahlkampf gegen uns macht, schwächelt sie wieder. Vielleicht lernen die Sozialdemokraten noch daraus. Dann müssten sie ebenso wie wir die Troika Merkel, Schäuble, Seehofer als Hauptgegner ausrufen - und nicht uns.

Ist es nicht widersprüchlich, dass die LINKE die Politik von SPD und Grünen kritisiert und gleichzeitig Angebote macht? Kann man zugleich einen Oppositions- und einen Regierungswahlkampf führen?
Wir machen weder einen Regierungs- noch einen Oppositionswahlkampf. Wir machen Wahlkampf mit unseren Themen. Und nach der Wahl wollen wir davon natürlich auch etwas durchsetzen. Unsere Ansage ist klar: Wir wollen regieren, wenn wir damit einen grundlegenden Politikwechsel erreichen können. Ich habe wenig Einfluss darauf, was SPD und Grüne in dieser Frage strategisch tun werden. Wir werden unseren Wahlkampf nicht davon abhängig machen. Wir kämpfen um die Gunst der Wähler und nicht um die Gunst der SPD. Derzeit wird der Mitte-Rechts-Block stärker. Unsere Aufgabe ist es, dazu ein sehr starkes Gegengewicht aufzubauen.

Grüne und SPD verweisen immer wieder auf angeblich europafeindliche Tendenzen in der LINKEN. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik gilt ihnen die Linkspartei als unzuverlässig. Müssen Sie den Kritikern aus beiden Parteien in diesen Punkten entgegenkommen?
Im Wahlkampf werden wir deutlich machen, dass wir verlässlich bleiben. Wir halten an einer friedlichen Außenpolitik und der grundsätzlichen Ansage fest, dass wir Europa verändern müssen, um die europäische Integration voranzubringen und wieder mit Leben zu füllen. Ich wundere mich immer wieder, dass Kritik an der Europäischen Union mit Regierungsunfähigkeit gleichgesetzt wird - als würde derzeit alles prima laufen. Die EU befindet sich aber in ihrer schwersten Krise. Sonst hätten wir die derzeitigen Probleme wie etwa den Brexit und zunehmenden Rechtspopulismus nicht.

Ist die EU überhaupt reformierbar? In Ihrer Partei scheinen die Meinungen darüber auseinanderzugehen, wie einige Änderungsanträge zum Programmentwurf zeigen?
Natürlich sind solche Reformen möglich. Wir wollen in unserem Programm deutlich machen, dass unsere Vorstellung einer europäischen Integration mit sozialer Gerechtigkeit, mit Humanismus und Demokratie verbunden ist. Dafür wollen wir kämpfen. Das ist zutiefst proeuropäisch. Wir brauchen eine Demokratisierung und eine soziale EU. Dazu gibt es keine Alternative. Ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union und des Euro hätte unabsehbare Folgen für viele Länder.

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