Zerrissen zwischen Nord- und Südkorea

Ein Film und ein Konzert in der St.-Elisabeth-Kirche würdigten den Komponisten Isang Yun

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Was für ein Beginn! Musik, so ausgedörrt wie Wüsten. Unheimlich die Stille, welche die Nerven des Innenohrs anspannt. Was am Rand der Hörschwelle klingt, wirkt wie tot, wie etwas Versunkenes, etwas, das für immer abwesend ist. »In Memoriam Isang Yun« heißt das Stück für Violine, Violoncello und Klavier. Der Japaner Toshio Hosokawa, höchst ehrenwerter Künstler, komponierte es 1996 auf den Tod des koreanischen Komponisten. Jedoch der Ablauf bleibt nicht so. Irgendwann kommt die Entladung, mit Sicherheit. Und sie bricht herein wie ein Schrei, der besagt: Das, was passiert ist, ist schrecklich, das Wissen um das Endgültige überwältigend.

Doch jene Entladung besteht nicht lange. Keine Welt stürzt ein. Schon bald kehrt das Trio zu den Ursprüngen seiner Wiedergabe zurück. Allein einige Töne leuchten aus der Schwere der Stille hervor, was zu Beginn nicht war. Sie spenden etwas, das vielleicht Glück symbolisiert oder Hoffnung. Hosokawas Trauer ist so wahr, so ehrlich wie die Lebensmaximen und die Kunst desjenigen, um den er trauert. Biliana Voutchkova spielte die Violine, Andreas Voss das Cello, Yoriko Ikeya das Piano - Mitglieder des Ensembles United Berlin.

Dem Japaner gesellte sich die junge südkoreanische Komponistin Lee Myung-Sun mit der Uraufführung von »Procession« für Holzbläser, Trompete, Streichquartett, Klavier und zwei Schlagzeuge bei. Extremer konnte der Gegensatz zu Hosokawa kaum sein. Das Stück ist voller Leben. Von Anfang bis Ende treibt es wechselnde Rhythmen vor sich her. Jedes der Instrumente greift extensiv ein in die Klanginitiativen der jeweils benachbarten Instrumente. Einschneidend die Soli der Trompete (Damir Bacikin). Rundum ein Werk, das heiter die Präzisionen des Lebens spiegelt und darüber deren Härten nicht auslässt. Genauso konzentriert auch die Umsetzungen der Ensemblestücke »Peripherie« von Eiko Tsukamoto aus Japan und Unsuk Chin, geboren in Seoul. United Berlin demonstrierte hier und auch in dem Schlussstück, dem Flötenkonzert von Isang Yun mit Martin Glück als Solisten, dass es zu den europäischen Spitzenensembles zählt.

Das Motto des zweiteiligen Abends lautete: »Isang Yun - 100 Jahre Zerrissenheit«. Erhellend der zuvor in der Villa Elisabeth gezeigte Film über den koreanischen Komponisten, Titel: »Isang Yun - zwischen Nord- und Südkorea«. Gedreht hat ihn die engagierte Maria Stodtmeier mit ihrem Kamerateam. Lebendig erzählt der Streifen Geschichten der Rezeption des Komponisten in dem Land, in dem er aufwuchs und in dem er als Lehrer und Komponist das Musikleben mitgestaltete. Wozu auch die verwickelte Fragestellung gehört, wie Isang Yun jeweils behandelt worden ist im zerrissenen Land.

Ideologisch zu erzählen, ist hier völlig unangebracht. Isang Yun, zeitlebens Fürsprecher der Einheit Koreas, wird als eine vor allem im Norden der Halbinsel verankerte Weltfigur gezeigt, im Süden als in unterschiedlichen Zeiten mit antikommunistischen Vorurteilen belastete Persönlichkeit. Die Kamera führt dorthin, wo Yun aufwuchs und von wo er in den Widerstand gegen die japanischen Eindringlinge ging. Die Autorin befragt alte wie junge Leute hier und dort, Musiker, Bauern, Fischer, die sich erinnern oder vergessen haben. Herrlich die Szenen in den Musikschulklassen mit lachend singenden, angespannt musizierenden, farbenfreudig gekleideten Schülern. Im Norden tragen über das Land verteilt Schulen den Namen des hochverehrten Komponisten. Es gibt ein Isang-Yun-Festival mit aufspielenden Solisten und Ensembles aus beiden Staaten und internationalen Gästen.

Dass der Komponist in den 1960er Jahren weltweit in die Schlagzeilen geriet, bleibt nicht ausgespart. Er galt als Spion, weil er die Botschaft der KVDR in Berlin (Ost) betreten hatte. Daraufhin verschleppte der südkoreanische Geheimdienst des Park-Regimes ihn mit weiteren in der Bundesrepublik oder in Westberlin lebenden Landsleuten nach Seoul. Dort vor Gericht gestellt, erhielt er die Todesstrafe, die auf lebenslänglich und mit dem Anwachsen der internationalen Proteste schließlich weiter herunterrevidiert wurde.

Infolge der Empörung zahlloser Kulturschaffender und schließlich der Intervention des damaligen Bundesaußenministers Willy Brandt konnte der Exilant und Künstler nach anderthalbjähriger Haft nach Westberlin, an seinen Wohn- und Arbeitsort, zurückkehren. Das ist lange her. Der Film bringt es sachlich zurück ins Gedächtnis. Und erst recht bleibt der Name Isang Yun im Kopf, schaut man auf das jetzige Geschehen. Kein Ende finden die Verteidigungsanstrengungen des Nordens und des Südens. Bedrohung wechselseitig. Wie immer mit im Spiel die USA. Nahe der Halbinsel kreuzen US-Kriegsschiffe. Im Gegenzug weitere Raketentests des Nordens. Dämonisierung des roten Koreas. Dortige Erziehungslager gelten in der westlichen Propagandasprache als KZ wie bei den Nazis. Allseits gebe es Uniformierung und Götzenverehrung der Führer. Ein ewig gleicher Bildvorrat steht hierfür und geht global durch die Übertragungsnetze.

Isang Yun war mit Kim Il Sung tatsächlich freundschaftlich verbunden. Während der 1980er Jahre besuchte er, offiziell eingeladen, alljährlich das erwähnte, mit seiner Hilfe errichtete Isang-Yun-Festival in Pjöngjang, Anlass, auch den Staats- und Parteichef zu besuchen. Es gibt Fotos davon, der Film zeigt eines. Yun war kein Kommunist, und wenn, einer ohne Parteibuch wie Brecht, Heiner Müller oder Friedrich Schenker. Aber unstreitig ist, und der Film kehrt es nicht weg: Er war ein Linker, ein Sozialist.

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