Riss im schönen Renommee

Streit um Sachbuch-Bestenliste

  • Lesedauer: 3 Min.

Nach einer umstrittenen Jury-Empfehlung wird der NDR vorläufig keine »Sachbücher des Monats« mehr veröffentlichen. In der Juni-Liste sei mit »Finis Germania« von Rolf Peter Sieferle ein Titel empfohlen worden, der für den NDR nicht tragbar sei, teilte der Sender am Montag in Hamburg mit. Nach Einschätzung von NDR Kultur und anderer Kritiker äußert der im vergangenen Jahr gestorbene Historiker und konservative Zivilisationskritiker Sieferle in dem Buch rechtslastige Verschwörungstheorien. Davon distanziere man sich entschieden, erklärte der NDR.

Nach Informationen der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (Online) hat der Kulturredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins »Der Spiegel«, Johannes Saltzwedel, das Buch auf die Sachbuch-Empfehlungsliste gesetzt. Er vergab demnach die gesamten 20 Punkte, die jedes Jurymitglied beim Ranking zur Verfügung hat, auf Sieferles posthum veröffentlichten Essayband. Dem FAZ-Bericht zufolge ist dies nach den Statuten erlaubt, es galt jedoch bisher als üblich und gewünscht, die Punkte auf mehrere Bücher zu verteilen. Das Abstimmungsverfahren solle nun geändert werden. »Im Übrigen werden wir das Verfahren der listenmäßigen Platzierung derart erneuern, dass keine Platzierung eines einzelnen Mitglieds der Jury möglich ist«, sagt Andreas Wang, Juryvorsitzender und früher leitender NDR-Kultur-Redakteur, der seit 2010 im Ruhestand ist.

Juror Saltzwedel erklärte noch am Montagabend seinen Rücktritt aus dem Gremium. »Mit der Empfehlung des Buches habe ich bewusst ein sehr provokantes Buch der Geschichts- und Gegenwartsdeutung zur Diskussion bringen wollen«, teilte Saltzwedel mit. »Ich wollte durch meinen Vorschlag auf keinen Fall das Renommee der Sachbuch-Bestenliste beschädigen und bedaure sehr die Verwerfungen, die sich daraus ergeben haben.« Außerdem schreibt er in seiner Stellungnahme: »Sieferles Aufzeichnungen sind die eines final Erbitterten, gewollt riskant formuliert in aphoristischer Zuspitzung. Man möchte über jeden Satz mit dem Autor diskutieren, so dicht und wütend schreibt er.«

Die »Sachbücher des Monats« werden seit mehr als 15 Jahren gemeinsam von NDR Kultur, der »Süddeutschen Zeitung«, dem »Börsenblatt« des Deutschen Buchhandels und anderen veröffentlicht. Der Jury, die geheim abstimmt, gehören 25 renommierte Wissenschaftler, Autoren und Redakteure großer Medienunternehmen in Deutschland an, darunter auch die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Welt«, »Spiegel«, »Die Zeit« und der Deutschlandfunk. Der NDR wolle die Zusammenarbeit mit der Jury aussetzen - bis zur vollständigen Aufklärung der Frage, wie es zu der nicht akzeptablen Empfehlung der Jury habe kommen können.

In seinem Buch »Finis Germania« analysiert Sieferle, vehementer Kritiker der deutschen Flüchtlingspolitik im Krisenjahr 2015, nach Verlagsangaben die deutsche Lage: vom sogenannten Deutschen Sonderweg bis zur Logik des Antifaschismus. Sieferle kommt demnach zum Schluss, dass es nicht gut aussieht für die Zukunft des Landes. Sein Buch ist im Antaios Verlag des Publizisten Götz Kubitschek erschienen. Kubitschek gilt als wichtigster Intellektueller der rechtsnationalen Szene. Agenturen/nd Kommentar S. 4

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