Ein Stempel im Pass

»Deportation Class«

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 3 Min.

All die schneidigen Polizisten. Der »Rückführungsbeamte«, der freimütig zugibt, dass er »Freude« empfindet, wenn er widerständige Menschen endlich »erfolgreich ausgeflogen« hat. Ein »Einsatzleiter Stralsund«, für den das alles »keine Belastung« darstellt, denn »dazu sind wir eingeteilt, das nehmen wir emotionslos hin, wir dürfen, können und werden auch keine Emotionen zeigen«. Und schließlich der mecklenburgische Innenminister Caffier (»Ich bin bekannt dafür, dass ich nicht zimperlich bin«), der es sich nicht nehmen lässt, der teilweisen Abschiebung einer albanischen Familie (die Tochter ist gerade auf Klassenfahrt im Harz und damit dem Zugriff entzogen) um zwei Uhr morgens persönlich und gut gelaunt beizuwohnen - alle rechtfertigen ihr nächtliches Treiben damit, dass sie nur »Gesetze umsetzen«, »geltendes Recht umsetzen«. Denn das ist nun einmal »Recht und Gesetz. Sie sind ausreisepflichtig, und das gilt es umzusetzen«. Wem bei solch beflissener deutscher Disziplin ein kalter Schauer über den Rücken läuft, dem dürfte endgültig das Blut in den Adern gefrieren, wenn der frisch abgeschobene Flüchtling Gezim den Pass seines Sohnes in die Kamera hält, der nun einen Stempel mit Bundesadler nebst dem Hinweis »abgeschoben/deported« enthält.

Die Regisseure Hauke Wendler und Carsten Rau haben nach »Wadim« und »Willkommen auf Deutsch« mit dem derzeit in deutschen Kinos laufenden »Deportation Class« erneut einen beeindruckenden Film gedreht, der zeigt, was es für die betroffenen Menschen ganz real bedeutet, von einer Gruppe bewaffneter Uniformierter aus dem Schlaf gerissen und in ein Flugzeug verfrachtet zu werden, das sie dahin zurück bringt, von wo sie vor Armut, Kriminalität oder Blutracheankündigungen geflohen sind. Und er zeigt vor allem anhand zweier bereits gut deutsch sprechender und in ihren Schulklassen integrierter Jugendlicher die Perspektivlosigkeit in der albanischen Heimat nach der Rückkehr.

So werden in »Deportation Class« die albanischen Flüchtlinge zu den eigentlichen Protagonisten, und obwohl Wendler und Rau sich mit Kommentaren weitgehend zurückhalten und im Film keine politische Haltung expliziert wird, zeigen die Autoren doch viel mehr als Einzelschicksale. Denn eine Frage, die der Film aufwirft, ist, warum eigentlich intelligente, freundliche Jugendliche aus Albanien so unendlich viel weniger Möglichkeiten und Chancen haben als deutsche.

Eine Antwort gibt der Film nicht, aber vielleicht hilft ein Blick in die Statistik: 2016 erzielte die Bundesrepublik im Handel mit Albanien einen Bilanzüberschuss von rund 230 Millionen Euro, eine Steigerung von über 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der durchschnittliche Monatslohn in Albanien liegt indes bei rund 321 Euro (2015).

Immerhin Innenminister Lorenz Caffier ist zufrieden: Am Telefon freut er sich, dass man diesmal mit dem Abzuschiebenden sogar habe kommunizieren können, denn das Filmteam »hatte ja einen Dolmetscher mit«.

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