nd-aktuell.de / 14.06.2017 / Vleischeslust

Da brat mir einer das vegane Tofutier!

Robert D. Meyer über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu pflanzlichen Alternativen für Milch und Butter

Was ist ein Fleischkäse? Dem Namen nach handelt es sich um ein Produkt, zusammengerührt aus den sterblichen Überresten eines Tieres und einem Erzeugnis aus normaler Eutersekretion. Jedoch würde diese Herleitung den Konsumenten auf eine völlig falsche Fährte führen. Ein Fleischkäse enthält genauso wenig auch nur kleinste Spuren von Käse wie eine Teewurst die Blätter des besagten Aufgussgetränks. Wie viele Bären stecken in der Bärchenwurst eines namenhaften Herstellers? Die Antwort würde Verbraucher mit Sicherheit verunsichern. Die pampige Gesichtsmortadella enthält weder Braun- noch Eisbär, sondern erklärt ihre Namensgebung daraus, dass die Wurst in Form einer grenzdebil dreinblickenden Karikatur eines Bärengesichtes daherkommt. Verbraucherschützer müssten entsetzt aufschreien: Da brat mir doch einer das vegane Tofutier!

Völlig frei von jeder Ironie meint dagegen der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil, Verbraucher könnten durch Bezeichnungen wie »Pflanzenkäse«, »Tofubutter«, »Veggie-Cheese« oder »Cream« in die Irre geführt werden. Auch durch Zusatzbegriffe könne eine Verwechslung durch den Verbraucher nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb müsste für Hersteller und Konsumenten Klarheit geschaffen werden, die da bedeutet: Rein pflanzliche Produkte dürfen in Zukunft Bezeichnungen wie Milch, Butter, Rahm, Käse oder Joghurt nicht mehr im Namen tragen. Die Begriffe seien in der EU allein Erzeugnissen tierischen Ursprungs vorbehalten.

Leider ist an keiner Stelle der Urteilsbegründung überliefert, ob und wie häufig die Richter ihre täglichen Einkäufe im Supermarkt selbst erledigen. Ein Realitätscheck als Teil der Verhandlung wäre mit Sicherheit sinnvoll gewesen. Was beim Lesen des Urteils brennend interessiert: Wie viele mutmaßliche Opfer dieser angeblichen Verbrauchertäuschung wurden in den Zeugenstand berufen? Gibt es tatsächlich Konsumenten, die einen veganen Käseersatz nicht von einem Erzeugnis »aus normaler Eutersekretion« unterscheiden können? Letzterer Begriff ist übrigens kein Kampfbegriff militanter Tierrechtsaktivisten, um einem das Käsebrot zu verderben, sondern steht so wörtlich im Urteil drin. Unter der Bezeichnung »Erzeugnis aus Eutersekret« würde sich Käse aber mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich schlechter verkaufen, genauso wie viele Gummibärchen der Transparenz wegen ehrlicherweise »in lustige Formen gepresste Masse aus Schlachtabfällen und Zucker« heißen müssten. Aus PR-Perspektive der Süßwarenindustrie wäre dies der kulinarische Super-GAU. Spätestens beim Begriff Fleischsalat wäre der EuGH mit Sicherheit an die Grenzen der Sprachanalyse gestoßen.

Derlei Verirrungen haben die Richter in ihrem Urteil jedoch bedacht. »Erzeugnisse, deren Art aufgrund ihrer traditionellen Verwendung genau bekannt ist«, seien von dem Urteil ausgenommen. Als Beispiel benennt der EuGH »Kokosmilch«. Man könnte auch sagen: In Zukunft entscheidet Bauchgefühl und ein schwammiger Traditionsbegriff der Mehrheitsgesellschaft darüber, wie pflanzliche Alternativen im Supermarktregal heißen dürfen. In der Praxis wird es damit in Zukunft schwer werden, überhaupt alternative Begriffe für Lebensmittel zu etablieren. Auch die im Urteil angeführte Kokosmilch war noch vor wenigen Jahrzehnten in deutschen Haushalten eher eine Rarität. Über die mögliche Verwechselungsgefahr mit Milch tierischen Ursprungs musste allerdings nie ein Gericht urteilen. Für so doof wurden die Konsumenten dann bisher doch nicht gehalten. Und was wird in Zukunft aus Blutorangen und Fruchtfleisch?

Richtig absurd wäre es, den Herstellern vegetarischer und veganer Alternativen von Milchprodukten gezielte Verbrauchertäuschung zu unterstellen. Im Gegensatz zum Analogkäseskandal vor einigen Jahren ist der Fakt, dass es sich eben nicht um ein Erzeugnis aus tierischer Milch handelt, gerade das bestechende Verkaufsargument, was sich so mancher Produzent auch noch teuer vom Verbraucher bezahlen lässt. Genau aus diesem Grund kommt de facto kein vegetarisches oder veganes Fertigprodukt ohne den Hinweis auf der Verpackung aus, dass es sich eben um ein Produkt ohne Fleisch, Eier, Milch und Honig handelt.

Übrigens: Das Urteil hat keine Auswirkungen auf pflanzliche Alternativen für Fleischprodukte. Aber auch da sind der Deutsche Bauernverband und Verbraucherschutzminister Christian Schmidt (CSU) längst dabei, Pläne gegen angebliche Konsumentenverwirrung zu schmieden. Darauf erst einmal eine leckere Tofu-Seitan-Wurst!