Landespolitiker vom linken Flügel verlassen die Grünen

Der Bundesverband kann einen Rekord bei den Mitgliederzahlen vorweisen. Doch der aktuelle Kurs der Partei stößt nicht bei allen auf Begeisterung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Tage verkündete Bundesgeschäftsführer Michael Kellner in der Berliner Parteizentrale der Grünen stolz die neuen Mitgliederzahlen. Mehr als 62.000 Menschen besitzen inzwischen ein Parteibuch der Grünen. Das sind so viele Mitglieder wie noch nie in der Geschichte der Partei. Der Aufwärtstrend ist schon seit einiger Zeit erkennbar. Vergangenes Jahr konnten die Grünen im Saldo 2178 Mitglieder hinzugewinnen. Zu Beginn dieses Jahres wurden knapp 61.600 Mitglieder gezählt.

Parteistrategen führen die Zuwächse auch auf die Wahl des US-Präsidenten Donald Trump und allgemein auf das Erstarken des Rechtspopulismus in Europa und den USA zurück. Viele Menschen wollen sich offensichtlich in Parteien engagieren, die sich gegen rechte Tendenzen positionieren. Auch SPD und LINKE hatten sich zuletzt über zahlreiche Neueintritte gefreut.

Eine ähnliche Entwicklung war bei den Grünen allerdings auch vor der Bundestagswahl 2013 zu beobachten. Damals gehörten 61.400 Mitglieder der Partei an. Nach dem für die Grünen enttäuschenden Wahlergebnis mit 8,4 Prozent der Stimmen in Herbst 2013 war die Euphorie schnell wieder verflogen. Ende 2015 zählten die Grünen nur noch 59.418 Mitglieder.

Einen Mobilisierungseffekt brachte bei den Grünen vor dieser und der vergangenen Bundestagswahl offensichtlich auch die Urwahl des Spitzenkandidatenduos. Zu Beginn dieses Jahres wurden der Parteivorsitzende Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gekürt. Die Wahl der beiden Realo-Grünen ist auch ein Hinweis darauf, dass die engagierten Mitglieder der Partei inzwischen mehrheitlich eher konservativ als links sind.

Das entspricht auch der allgemeinen Entwicklung der Grünen in den vergangenen Jahren. Bündnisse mit der CDU sind in den Ländern inzwischen keine Seltenheit mehr. Wirtschaftsliberale Grüne wie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben zudem ihren innerparteilichen Einfluss ausgebaut.

Das hat für die Grünen auch eine Kehrseite. Einige Parteilinke können sich nicht mehr mit den Grünen identifizieren. In den vergangenen Monaten war es in der Landespolitik zu Austritten gekommen. So hatte die hessische Abgeordnete Mürvet Öztürk die Grünen Ende vergangenen Monats verlassen. Aus der Fraktion war sie bereits im Herbst 2015 ausgetreten, weil sie es ablehnte, Länder des früheren Jugoslawien sowie Albanien zu »sicheren Herkunftsstaaten« zu erklären.

Damit sollte die Abschiebung von Menschen, darunter auch in ihrer Heimat verfolgte und diskriminierte Roma, in diese Länder vereinfacht werden. Im Bundesrat war das Vorhaben der Großen Koalition auch von einigen Landesregierungen mit grüner Beteiligung unterstützt worden. Das von CDU und Grünen regierte Hessen hatte der Asylrechtsverschärfung ebenfalls zugestimmt.

Öztürk ist inzwischen fraktionslose Abgeordnete. Dem »nd« sagte sie, dass sie sich ungern über ihre frühere Partei äußere und sich nun vielmehr der »Sachpolitik« widmen wolle. Die Grünen hatten ein Parteiordnungsverfahren angestrebt, um die Abgeordnete loszuwerden. Ihr war parteischädigendes Verhalten vorgeworfen worden, weil sie sich gegen Entscheidungen der Grünen gestellt habe. Öztürk verwies hingegen auf ihre Gewissensfreiheit als Parlamentarierin.

Claudia Stamm war ebenfalls unzufrieden mit dem Kurs der Grünen in der Umwelt-, Asyl- und Sozialpolitik. Die bayerische Landtagsabgeordnete trat im März aus der Partei und aus der Fraktion aus. Stamm kritisierte, dass die im Bund und in Bayern im Parlament sitzenden Parteien im Angesicht eines »grassierenden - zum Teil von ihnen selbst mit befeuerten - Rechtspopulismus Position um Position geräumt« hätten. Als Beispiele nannte sie die Wahrung der Menschenwürde, die Parteinahme für die am schlechtesten Gestellten sowie den konsequenten Einsatz für den Schutz von Natur und Umwelt.

Zudem kritisierte Stamm unter anderem, dass die Spitzenkandidatin Göring-Eckardt gesagt habe, sie sorge dafür, die innere Sicherheit in Deutschland wieder herzustellen. Ihr sei neu, dass die überhaupt in Gefahr sei, so Stamm. Inzwischen hat sie eine neue Partei gegründet, die den Namen »mut« trägt.

Auch Robert Zion, einst Parteilinker und Vorstandsmitglied in Nordrhein-Westfalen, ist nicht mehr Mitglied der Grünen. Nach eigener Aussage hatte er sich im vergangenen Jahr wegen des »friedenspolitischen Niedergangs und der bürgerlich-konservativen Wende« der Partei zu diesem Schritt entschlossen.

Im September 2007 hatte Zion bei einem Bundesparteitag noch die Mehrheit der Delegierten auf seiner Seite, als er die Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr forderte. Zion hatte lange auf eine Parteikarriere gehofft und sich sogar Chancen bei der Spitzenkandidatenurwahl ausgerechnet. Bald aber holte ihn die Realität ein und er zog sein Vorhaben, kandidieren zu wollen, wieder zurück.

Die Austritte von Politikern wie Öztürk, Stamm und Zion stehen exemplarisch für das geschwundene Wählerpotenzial der Grünen. In den bundesweiten Umfragen kommen sie nur noch auf sieben bis acht Prozent. Die Rechtsverschiebung der Partei hat sich allerdings bisher - mit Ausnahme der Friedenspolitik - noch nicht bei den Bundesparteitagen widergespiegelt. Hier konnten sich zumindest in einigen Fragen der Sozial- und Umweltpolitik linke Basisgrüne gegen den Vorstand durchsetzen. Die Delegierten beschlossen zuletzt mehrheitlich, dass sich ihre Partei für die Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen und einen Kohleausstieg bereits bis zum Jahr 2025 einsetzen solle.

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