Ein Zerrbild vom Nahostkonflikt

Peter Ullrich hat Verständnis für die Entscheidung von Arte, die Dokumentation »Auserwählt und ausgegrenzt« über Antisemitismus nicht zu zeigen

  • Peter Ullrich
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich weiß nicht, was Arte bewogen hat, die Dokumentation »Auserwählt und ausgegrenzt« nicht zu zeigen. Ich weiß auch nicht, wie Sender solche Entscheidungen treffen. Aber eins weiß ich: Dürfte ich mitreden, hätte ich ähnlich entschieden. Denn die Dokumentation ist trotz aller spannenden Details schlecht gemacht und irreführend, aber auch symptomatisch und deswegen der Analyse wert.

Zur Habenseite: Die Filmemacher haben verstörendes Material zusammengetragen, unter anderem zur Gewaltwelle gegen Juden in Frankreich. Mit entlarvenden Interviews zeigen sie, wie wahnwitzig und unirritierbar das Weltbild antisemitisch Verblendeter ist. Beeindruckend - im negativsten Sinne - ist auch der dargestellte Wahn von »linken« antizionistischen Sektierern. Diese bedrückenden Zeugnisse könnten wichtig für eine antisemitismuskritische Aufklärung sein.

Andere Bilder sind jedoch verstörend, weil sie vernebeln statt aufzuklären. Zum Beispiel ein direkter Vergleich von Mahmud Abbas mit Stürmer-Chef Julius Streicher - unter völliger Absehung von Inhalt, ideologischen Hintergründen und den Kontexten ihrer Äußerungen. Verwunderlich ist auch, dass in dem Film Rechtsradikale als Träger von Antisemitismus eigentlich nur am Rande vorkommen. Gegen all unser Wissen, dass diese für den größten Teil aller antisemitischen Vorfälle verantwortlich sind, treten sie hinter das Thema Nahostkonflikt und Israel-Kritik zurück.

Und hier beginnt das eigentliche Problem. Ein Großteil des Filmes beschäftigt sich nicht mit Antisemitismus. Über 30 Minuten hinweg geht es um Korruption der Hamas (ihr Antisemitismus hingegen wird fast nur noch beiläufig erwähnt) oder um die florierende NGO-Industrie in Ramallah. Der Film wechselt hier das Thema und zeichnet ein extrem einseitiges Zerrbild von Gut und Böse im Israel-Palästina-Konflikt. Diese distanzlose Anbiederung an das (rechts-)zionistische Narrativ wird durch die Darstellung von »Segnungen« der Besatzung und mit einer ganzen Reihe zweifelhafter Zeugen erzielt. Den Unabhängigkeitskrieg erklärt beispielsweise - ganz »objektiv« - ein ehemaliger Offizier der Haganah (also einer der Kriegsparteien). Nur einmal wird zugestanden: »Gelegentlich unterlaufen den Israelis auch Fehler.« Mehr aber auch nicht.

Diese Erzählweise ist, wie auch die völlig reflexhafte Diskussion über die Nichtausstrahlung des Films, alles andere als ein Zufall. Hier wird eine für fast alle deutschen Antisemitismusdebatten mit Nahostbezug fatale und viel zu einfache Konfliktkonstellation aufgerufen. Jedes vorgebrachte Argument soll einer Seite dienen: hier Juden und Israel, dort Palästinenser und Antisemitismus. Anscheinend macht in dieser Logik die eklatante Korruptheit der Hamas für die Filmemacher auch deren Antisemitismus deutlich oder bietet ein wohlfeiles Scheinargument für die »eigene« Seite. Und das fast messianisch anmutende, idealisierende Israel-Bild des Films soll dies wohl unterstreichen. Doch weder das eine noch das andere teilt uns viel über Antisemitismus mit.

Das ist genau die bornierte Grabenkriegsdebattenstruktur, die es geradezu verhindert, sich mit Antisemitismus und Nahostkonflikt differenziert auseinanderzusetzen. Kritik an Israel und Antisemitismus sind füreinander anschlussfähig, aber nur unter bestimmten Bedingungen und keinesfalls zwingend. Beide Problemkomplexe haben durchaus auch jeweils eine eigene Geschichte und Überlieferung. Doch hier klärt der Film nicht auf, sondern reproduziert das eingespielte, zweiseitige Bewertungsschema. Dem geht es um totale Parteinahme, nicht etwa für universelle Menschenrechte, sondern für eine Seite im Nahostkonflikt.

»Bild« hat Arte Zensur vorgeworfen und die Dokumentation selbst veröffentlicht. Angesichts des generellen medialen Meinungsklimas bei dem Thema hierzulande und der eklatanten Mängel des Films ist dieser Vorwurf ebenso peinlich wie der Auslöser selbst.

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