nd-aktuell.de / 17.06.2017 / Politik / Seite 5

Ringen um die Macht in Rumänien

Regierungspartei entzieht dem Ministerpräsidenten das Vertrauen

Silviu Mihai, Bukarest

Es ist selbst für rumänische Verhältnisse eine skurrile Premiere. Eine Partei, die erst vor einem halben Jahr die Wahlen gewonnen und die Regierung gebildet hat, entzieht ihrem eigenen Ministerpräsidenten die politische Unterstützung und will ihn offenbar stürzen. Dieser weigert sich partout, den Posten zu räumen, und zwingt damit seine Kollegen zu seltsam peinlichen Gesten wie einem Misstrauensantrag gegen das eigene Kabinett. Die Abgeordneten der Regierungsmehrheit überlegen sich, ob sie dem Parteivorsitzenden oder vielleicht doch dem beinahe abgesägten Premier loyal bleiben sollten. Und niemand versteht so richtig, worum es in dieser Krise eigentlich geht.

Offiziell begründete die Parteiführung der Sozialdemokraten (PSD) ihren bizarren Schritt mit der Behauptung, es habe deutliche Mängel und Verspätungen bei der Implementierung des Parteiprogramms gegeben. Dies sei die Konklusion einer parteiinternen Evaluierung, die gezeigt habe, dass die Regierung wichtige Ziele noch nicht erreicht und diverse Termine verpasst habe. Als Beispiele nannte Vorsitzender Liviu Dragnea allerdings nur solche Versprechen aus dem Wahlkampf, die die meisten Beobachter entweder als zu ambitioniert oder aber als nicht sehr wichtig betrachten. So soll es ein Problem sein, dass die Mehrwertsteuer auf manche Immobiliengeschäfte noch nicht gesenkt worden ist. Auch bei der Gründung eines nationalen Investitionsfonds soll es Verspätungen gegeben haben. Und die EU-Integration der Westbalkanländer sei nicht entschieden genug unterstützt worden.

Ministerpräsident Grindeanu gibt zwar zu, dass seine ersten sechs Monate im Amt nicht perfekt waren, lehnt aber die Kritikpunkte als unglaubwürdig ab. In der Tat ist seit Ende Dezember ziemlich viel davon erreicht worden, was den Wählern der Sozialdemokraten sehr wichtig ist. Eine umfassende und couragierte Reform des Tarifrechts wurde auf den Weg gebracht, demgemäß sollen die Gehälter im öffentlichen Sektor zwar später als ursprünglich angekündigt, aber immerhin deutlich steigen. Dadurch sollen der massiven Auswanderung qualifizierter Fachkräfte wie Ärzte ein Ende gesetzt und auch die Hauptursachen der Korruption im öffentlichen Dienst effektiv bekämpft werden. Ein gleichzeitiges und dezidiertes Ankurbeln der staatlichen Investitionen wäre zwar wünschenswert, ist allerdings angesichts der strengen EU-Regeln über die Haushaltsdefizite praktisch unmöglich.

Hinzu kommt, dass die bisherige wirtschaftliche Bilanz der Regierung sehr gut ausfällt. Mit 5,7 Prozent im ersten Vierteljahr hat Rumänien nach wie vor das größte BIP-Wachstum in der EU. Die Vorwürfe der wirtschaftsliberalen Opposition, die den Sozialdemokraten eine Gefährdung des Wachstums durch wirtschaftspopulistische Maßnahmen attestieren wollte, haben sich als unbegründet erwiesen. Vor diesem Hintergrund nimmt kaum ein Kommentator die offiziellen Argumente der PSD-Führung ernst. Vielmehr betrachten die rumänischen Medien unisono die skurrile politische Krise als Konsequenz eines innerparteilichen Machtkampfes zwischen Grindeanu und Dragnea. Letzterer durfte nach den Wahlen angesichts einer Vorstrafe nicht Ministerpräsident werden und musste sich zunächst mit dem Vorsitz der Abgeordnetenkammer zufrieden geben. Ein Konflikt war insofern so gut wie programmiert.

Die Lage eskalierte diese Woche, als die PSD-Führung beschloss, gegen Grindeanu im Parlament einen Misstrauensantrag zu stellen und ihn aus der Partei auszuschließen. Das Misstrauen sollte im Laufe der nächsten Woche im Parlament debattiert werden, doch ein Erfolg der PSD-Führung ist alles andere als sicher. Die notwendige Mehrheit liegt bei 233 Stimmen, die bisherige Regierungskoalition verfügt zwar theoretisch über 245, aber einige sozialdemokratische Abgeordnete, darunter der frühere Premier Victor Ponta, haben bereits angekündigt, dass sie Grindeanu nicht stürzen werden. Und selbst im Falle eines erfolgreichen Misstrauensantrags gilt es nicht als garantiert, dass Staatspräsident Klaus Johannis einen der Gefolgsleute Dragneas zum Premier ernennen wird. Der Parteichef selbst kann mit keiner Nominierung rechnen.