Völlig losgelöst von der Herde

Drei Amigos im Weltall: »Dark Star« von René Pollesch ist die allerletzte Produktion an Castorfs Volksbühne in Berlin

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 5 Min.

Jetzt scheint es geschafft zu sein. Ganz am Ende einer Spielzeit, in der sämtliche Premieren einen trotzig-melancholischen Abschiedsschmerz zelebrierten, darf nun auch René Pollesch seine dreiteilig konzipierte Ode an das eigene Schaffen an der Berliner Volksbühne als abgearbeitet beiseitelegen. Titel der monatlich fortgesetzten Reihe: »Diskurs über die Serie und Reflexionsbude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifiziert verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühnendiskurs«. Part eins (»Ich spreche zu den Wänden«) und Part zwei (»Es beginnt erst bei Drei«) transpirierten schon den mollig warmen Odem des Was-haben-wir-gelacht, der seit Herbst 2016 fast jede Erstaufführung an dieser umkämpften Spielstätte zum Spektakel für Eingeweihte sakralisiert hat. Was den großen Verkopftheitsklamauk angeht, da reicht jedoch Pollesch sogar am eigenen Haus niemand so leicht das Wasser.

Natürlich kann darum niemand sonst diese Saison beenden als er, der Frank Castorf seit vielen Jahren verrücktes Zeug schreibend und den Kram dann gleich selbst inszenierend begleitet. »Dark Star« heißt jene Produktion, in der wieder die in rosafarbene Strampler gesteckten Amigos Martin Wuttke, Milan Peschel und Trystan Pütter unter Cowboyhüten über die Bühne wirbeln. Vordergründig ist es eine Parodie der Parodie: »Dark Star« heißt eine 1974 erschienene Science-Fiction-Kinopersiflage von John Carpenter. Aus ihr entlehnt Pollesch viele Zitate und panscht sie mit weiteren kulturellen Phänomenen und Versatzstücken postmoderner Geistesgrößen zu einem zweistündigen Intellektuellenslapstickstück zusammen.

Das erzeugt einige hinreißende Momente. Was natürlich zuvorderst an diesem großartigen Schauspielertrio liegt, dem deutlich anzumerken ist, dass es seinen Ärger über das politisch erzwungene Ende der Ära Castorf hier komplett aus sich herausspielen will. Christine Groß, die bei Pollesch-Abenden sonst für das Einstudieren der Chöre zuständig gewesen ist, erhält an diesem Abend zudem als Abschiedsgeschenk einen Auftritt als »Mutter« und wundersam trockene Zurechtweiserin der wirren Astronauten. Eine solche haben die auch nötig, denn Wuttke, Peschel und Pütter streiten, diskutieren, philosophieren und dilettieren sich so wild durch den Abend, dass dieses Event bisweilen ins Fahrige driftet.

Vor allem Wuttke, der seine übliche Pollesch-Rolle als stotternder Zausel einnimmt, vergaß zumindest bei der Premiere ständig seinen Text und wirkte unkonzentriert. Vielleicht ist dieser Mime, dem zuzusehen auch bei halber Kraft noch eine ganze Freude bleibt, einfach überspielt. Derzeit muss er nicht nur die beiden anderen Volksbühnendiskursabende abreißen, sondern zugleich die Titelfigur in Castorfs siebenstündigem »Faust« geben.

Eine Handlung hat dieser »Dark Star« natürlich nicht, dafür aber einen überraschend klaren Rahmen: Die drei Amigos reisen mit »Mutter« durchs All, um neue Welten zu entdecken. Und für diesen Trip findet Pollesch starke Bilder. Gleich zu Beginn fährt Martin Wuttke in der Raumkapsel gemächlich rauchend über das in Lametta gehüllte Einheitsbühnenbild von Bert Neumann. Kurz darauf segelt Trystan Pütter auf einem Surfboard durch die Luft. Später fährt das Raumschiff aus dem Boden hoch und das kosmische Quartett streift bunte Kostüme über. Was sich im Inneren des Spaceshuttles zuträgt, wird auf eine Leinwand projiziert.

Dort drin kommen die Protagonisten dann vom Hölzchen aufs Stöckchen, sie wüten gegen die kalifornische Ideologie des Silicon Valley (»Es führt ja eine direkte Linie von der Manson-Family zu Facebook!«), sie schwadronieren über das Sein und das Nichts (»Es gibt kein Außen mehr!«) und sie witzeln über die bevorstehende Wachablösung an der Volksbühne (»Ist das von Baudrillard: ›Die Saison 17/18 findet nicht statt?‹«).

So war das ja schon immer bei diesem inhaltsverweigernden Postmodernismus: Alles sieht schön aus, es will aber auf keinen Fall mehr bedeuten, denn Bedeutung ist demnach unbedeutend. Da fällt es umso leichter, sich angesichts der auch durch die in Berlin mittlerweile den Kultursenator stellende Linkspartei nicht zu verhindernde Machtübernahme an der Volksbühne durch Chris Dercon in Galgenhumor zu üben. Das »Raumschiff« erscheint als Chiffre für das Castorf-Theater und der einzige Ausweg aus der ganzen Scheiße liegt darin, dieses »Raumschiff« zur Bombe umzufunktionieren und es mit Brimborium und Tamtam kurzerhand in die Luft zu jagen, auf dass hier niemand verschandeln kann, was in einem Vierteljahrhundert die akademische Street Credibility der Bundeshauptstadt mit etabliert hat.

So lässt sich »Dark Star« auch als wehmütige Zusammenfassung des hier und nirgendwo sonst zu Glanz und Gloria gereiften Faseltheaters begreifen, das völlig losgelöst von der Herde sein eigenes Ding gemacht hat: Ständig fliegen Anspielungen durch die Gegend, die Belesenheit und Kenntnis der Populärkultur beweisen sollen. Sie reichen vom Donald-Trump-Bashing bis zu tiefgründigen Theoriesentenzen. Eine Szene der grausigen Neuverfilmung von »Ghostbusters« aus dem vergangenen Jahr wird gleich ganz plagiiert: Bei einem Vorstellungsgespräch fragt die »Mutter«, ob sie »Meine Katze« mit ins Büro bringen dürfe. Unter Verweis auf eine Allergie erlauben die Chefs ihr das nicht. Dabei meint sie einen Hund mit dem Namen »Meine Katze«. Ein Gag, der eigentlich nur im englischen Original funktioniert, wo der Hund »Mike Hat« heißt, was sich wie »My Cat« (meine Katze) anhört. Der Jux fügt sich aber so perfekt dem Pollesch-Humor, dass er nicht fehlen durfte.

Immerhin: Über einen guten Musikgeschmack, auch das so ein Abgrenzungsmerkmal im Bescheidwissermilieu, verfügt Pollesch. In seinen Inszenierungen der vergangenen Jahre hat er das bewiesen, und er beweist es auch hier. Sein Weltallsetting in Klänge der »Beach Boys« zu tauchen, das Ensemble sich zu »God Only Knows«, »I Get Around« und »Good Vibrations« in den Untergang spaßen zu lassen, das vermittelt die nostalgische Stimmung, nach der die Fans dürsten. Wahrscheinlich hätte Pollesch auch ein Kaminfeuer auf die Leinwand projizieren und stundenlang eine aus dem Off vorgelesene Kompilation von Donna Haraway, Gilles Deleuze und Jacques Derrida präsentieren können, das Publikum wäre trotzdem in Ekstase geraten.

Es stimmt ja auch: An diesem Ort geht gerade etwas zu Ende, das in dieser Form kaum wiederkehren wird. Die Castorf-Bande hat die Zuschauer theatralisch amüsiert, gemartert, verzückt und gefoltert, aber eben fast nie gelangweilt. Und das allein ist schon ein Verdienst für die Ewigkeit.

Nächste Vorstellung: 22. Juni

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