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Wie die AfD ein Merkel-Zitat zu den G20-Protesten entstellt

Laut Parteichefin Petry heißt die Kanzlerin »linksextreme 'Aktivisten'« bei den Gipfel-Demonstrationen willkommen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Seit Wochen geistert das Horrorszenario durch viele Medien, zum G20-Gipfel in Hamburg würden laut Behörden »neben vielen tausend friedlichen Demonstranten auch bis zu 8000 gewaltbereite aus dem In- und Ausland anreisen« (dpa unter anderem vom 19. Juni. 2017). Spätestens mit Beginn der heißen Vorbereitungsphase darf der Hinweis auf »linksextreme Gewalttäter« in keiner Agenturmeldung fehlen – allen voran die Stadt Hamburg und die Polizei werden nicht müde, dies zu betonen. Immerhin muss irgendwie das Großaufgebot an schwerer Technik und 15.000 Beamten gerechtfertigt werden.

Mit einer etwas wirren Äußerung hat nun auch die AfD das Thema G20 und die dazugehörigen Gipfelproteste für sich entdeckt. »Merkel begrüßt linksextreme ‘Aktivisten’, verteufelt aber bürgerlichen Protest. Heuchelei ist nicht zu überbieten«, heißt es in einem Twitter-Posting der Parteivorsitzenden Frauke Petry vom Donnerstag. In einer dazugehörigen Grafik steht ergänzend: »Stramm auf linksgrünen Kurs« und »Merkel begrüßt linken Anti-G-20-Auflauf«.

Offenbar weiß die AfD Sachsen etwas, was der Öffentlichkeit bisher verborgen blieb. Hat die Kanzlerin etwa den Aufruf zur internationalen Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20« (am 8. Juli) unterschrieben? Ist Angela Merkel in Wahrheit eine linksautonome Kapitalismuskritikerin, ein Maulwurf auf dem Gipfel der mächtigen Staatschef? Will sie womöglich nur den richtigen Moment des Treffens abwarten, um aufzuspringen und ihren Kollegen Putin, Trump und Erdogan die Forderung »Shut Down Capitalism« entgegen zu schmettern?

Die Wahrheit ist in diesem Fall simpel gestrickt. Petry verweist mit ihrem Posting auf eine Pressemitteilung, die sie gemeinsam mit dem sächsischen Landtagsabgeordneten Jörg Urban veröffentlichte. Darin heißt es ganz im Stile einer Hiobsbostschaft:

»So genannte ‘Aktivisten’ aus der linken und linksextremistischen Szene mobilisieren bereits jetzt zu ‘Protesten’ gegen die G-20-Tagung in Hamburg. Ausschreitungen sind programmiert. Bereits gestern und am Wochenende wurden in ganz Deutschland – so auch in Sachsen - mehrere Brandanschläge auf Bahnstrecken verübt. In einem, im Internet veröffentlichten, Bekennerschreiben wird ein direkter Bezug zum G20-Treffen hergestellt.«

Offenbar weiß Petry mehr als die Ermittlungsbehörden, oder sie hat einfach beim sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) abgeschrieben. Noch sind von der Polizei jedenfalls keine Täter ermittelt worden.

Viel absurder wirkt allerdings ein Zitat, das nun belegen soll, die Kanzlerin würde »bürgerliche, friedliche Demonstranten« verteufeln und im Gegenzug den »linken Anti-G-20-Auflauf« begrüßen. Wörtlich heißt es in der Mitteilung weiter:

»Nun äußerte sich CDU-Kanzlerin Merkel laut ‘Der Spiegel’ zu den bevorstehenden Demonstrationen: ‘Das ist aus demokratischer Sicht, das will ich ausdrücklich sagen, auch gut so’, findet Angela Merkel.«

Wirklich aufschlussreich ist das Zitat nicht. Es klärt weder, welche Form des Protestes Merkel nun unterstützt, noch ob sie irgendwelche Proteste verteufelt. Einziger Hinweis auf den weiteren Kontext ist der Hinweis auf den »Spiegel« als Quelle.

Fünf Sekunden Recherchearbeit mit Google später ist klar, dass sich die AfD auf folgende drei Tage alte »Spiegel«-Meldung bezieht. Fast noch schneller wird deutlich: Das angesprochene Merkel-Zitat gibt es wirklich, zumindest bis zu diesem Punkt hat die AfD Sachsen immerhin KEINE Fake News verbreitet. Alle weiteren Behauptungen Petrys sind aber schlicht Unsinn.

Verschwiegen hat die Chefin der Rechtsaußenpartei, was Merkel laut Meldung noch zu sagen hatte. Dazu gehört folgende politische Binsenweisheit: »Ich weiß, dass ein G20-Gipfel oder die politische Agenda eines solchen Gipfels auch Kritiker hat.« An diesen Satz schließt die CDU-Politikerin laut »Spiegel« die von der AfD zitierte Aussage an: »Das ist aus demokratischer Sicht, das will ich ausdrücklich sagen, auch gut so.« Bis an diese Stelle hat Merkel also weder militante Proteste begrüßt, noch diese abgelehnt.

Letzteres tut die Kanzlerin dann auch prompt. Bei »Spiegel Online« heißt es weiter: »Friedliche Kritik sei grundgesetzlich geschützt - ‘aber, ich betone, es sollte auch friedliche Kritik sein’, sagte Merkel bei einem Dialog mit Nichtregierungsorganisationen zu dem G20-Treffen.«

Und bevor jetzt irgendjemand Lügenpresse schreit: Merkels Rede beim sogenannten C20-Gipfel am vergangenen Montag findet sich auch vollständig auf der Website der Bundeskanzlerin. Die betreffende Passage lautet dann auch vollständig:

»Für die Organisatoren, für die Sicherheitskräfte und nicht zuletzt für die Stadt und ihre Bürger wird dieses G20-Treffen eine Herausforderung sein. Das wissen wir. Deshalb will ich ausdrücklich sagen, dass ich dankbar dafür bin, dass so viele hart dafür arbeiten, dass es eine konstruktive, gute und sichere Veranstaltung wird. Ich weiß, dass die politische Agenda eines solchen Gipfels auch Kritiker hat. Das ist aus demokratischer Sicht – das will ich ausdrücklich sagen – auch gut so. Es versteht sich von selbst, dass friedliche Kritik grundgesetzlich geschützt ist. Aber ich betone: Es sollte auch friedliche Kritik sein.«

Und nun die Frage an Petry und die AfD: An welcher Stelle verteufelt Merkel den bürgerlichen Protest und begrüßt – um bei Ihren Worten zu bleiben – »linksextreme Aktivisten«?

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