Innovation in der Augenheilkunde

Strausberger Firma entwickelte gleitmittelfreie Spritze für die Operation von Grauem Star

In der Werkshalle Am Biotop 20 in Strausberg brummen und summen die Kunststoffspritzmaschinen, sodass Geschäftsführer Steffen Mirtschin am Donnerstagmorgen laut reden muss, um sich verständlich zu machen. Seit 2014 produziert, forscht und entwickelt die Hermann Römmler Kunststofftechnik GmbH & Co. KG an diesem Standort. Außerdem hat das bereits 1896 gegründete Unternehmen seit 1995 noch eine reine Fertigungsstätte im tunisischen Nabeul. 43 Mitarbeiter werden hier in Strausberg beschäftigt, 60 in Nordafrika.

2011, nach dem arabischen Frühling mit Unruhen auch in Tunesien, schrieb der Standort Nabeul fünf Jahre rote Zahlen. Ein großer Konzern hätte das Werk dicht gemacht, sagt Mirtschin. Doch ein Familienunternehmen wie Römmler Kunststofftechnik habe eine andere Philosophie und gebe eine Investition von drei Millionen Euro nicht einfach auf. Die Firma habe durchgehalten und inzwischen sei es in Tunesien wieder bergauf gegangen. Das wirtschaftliche Engagement sei auch ein Beitrag, die gefährliche Flucht in kleinen Booten übers Mittelmeer nach Europa einzudämmen und so Leben zu retten. Die Menschen benötigen eine Perspektive in ihrer Heimat, ist Mirtschin überzeugt. Von dem Monatslohn eines Mitarbeiters in Nabeul könne dort eine zwölfköpfige Familien leben, rechnet er vor.

Die Tunesier kommen trotzdem nach Deutschland, allerdings auf Zeit, zur Qualifizierung in Strausberg. Eine Gruppe war Ende 2016 da und besuchte auch den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz und dabei einen Stand, in den einen Tag später mit einem gestohlenen Laster der Attentäter Anis Amri hineinraste. Die tunesischen Kollegen habe dieses Verbrechen ihres Landsmanns schockiert, erzählt Mirtschin.

Firmengründer Hermann Römmler gehörte zu den Erfindern der Kunststofftechnik und meldete einstmals ein Patent an. Mit schwarzem hartem Duroplast für Lichtschalter und Telefone ging es los. Heute tüftelt die GmbH gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut an modernen, wieder einschmelzbaren Kunststoffen für sehr spezielle Einsatzgebiete.

Neuestes Erzeugnis wird eine Spritze für die Augenheilkunde. Die herkömmlichen Spritzen, die für Operationen des Augenleidens Grauer Star verwendet werden, enthalten für die Beweglichkeit ein Gleitmittel aus Silikon, erläutert Mirtschin. Doch die Spritzen werden fertig mit dem Serum geliefert, wobei sich das Silikon mit dem Medikament vermische. Es könne deswegen zu Komplikationen kommen, im Extremfall zum Erblinden des Patienten. Hier sei die neuartige, gleitmittelfreie Spritze von Römmler die Lösung, versichert der Geschäftsführer. Da eine Spritze komplett mit Serum 1000 Euro koste, komme es der Pharmaindustrie nicht darauf an, ob der Kunststoff für zehn Cent oder drei Euro angeboten werde. Die Spritze müsse nur sicher sein und funktionieren.

500 000 Euro steckte Römmler in die bahnbrechende Innovation, für ein mittelständisches Unternehmen eine riesige Summe, wie Mirtschin betont. Verschiedene Interessenten möchten nun aber jeweils gleich 100 000 Stück und mehr bestellen. Die Investition scheint sich also auszuzahlen. Überhaupt bieten Forschung und Entwicklung nach Ansicht von Mirtschin die Chance, nicht nur Lohnfertigung zu machen und erpressbarer Zulieferer zu sein. Doch was geschieht, wenn ein Unternehmen eine teure Neuentwicklung nicht bis zur Marktreife bringen kann?

»Innovation ist ein Risikofaktor«, weiß Tillmann Stenger, Vorstandsvorsitzender der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB). »Hier kann Wirtschaftsförderung ansetzen.« 2016 habe die ILB das höchste Förderergebnis der letzten 20 Jahren erzielt. Gegenüber 2015 haben sich die Investitionen laut Stenger um 34 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro erhöht. Der Vorstandsvorsitzende versichert: »Die Fördertöpfe sind weiterhin prall gefüllt.«

Die Gesamtbilanz 2016 der Wirtschaftsförderung Brandenburg, der ILB und der Wirtschaftsfördergesellschaften der 14 Landkreise und vier kreisfreien Städte wurde am Donnerstag in der Römmler-Werkshalle präsentiert. Demnach sind insgesamt 755 Unternehmensprojekte betreut worden. Damit seien 3847 Arbeitsplätze verbunden gewesen, heißt es.

»Das gemeinsame Ergebnis kann sich sehen lassen«, findet Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD). Wachstum werde intensiv und spürbar unterstützt. Die enge Zusammenarbeit bei Genehmigungsverfahren, Fachkräftegewinnung und Beratung entwickle sich zu einem Trumpf im Standortwettbewerb. Bei der Gelegenheit meint Gerber, Deutschland benötige angesichts des demografischen Wandels ein Einwanderungsgesetz wie Kanada oder Australien, um auch in Zukunft die benötigten Fachkräfte zu haben.

Die Firma Römmler hat die Fertigung in Tunesien nicht zuletzt deshalb aufgebaut und unter schwierigen Bedingungen gehalten, weil Leute beispielsweise für die Handmontage in Ostbrandenburg nicht mehr zu finden seien, wie Geschäftsführer Mirtschin sagt. Um Lohndumping gehe es dabei gar nicht, beteuert er.

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