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Die Anstifter

In Nairobi hat sich eine lebhafte Literaturszene entwickelt. Ein Streifzug. Von Leonhard F. Seidl

  • Leonhard F. Seidl
  • Lesedauer: 8 Min.

Wo gibt es das schon, dass ein ganzer Vorort nach einer Schriftstellerin benannt ist? In Afrika, genauer gesagt in Kenia. Karen ist ein Vorort von Nairobi, benannt nach Karen Blixen, der Autorin des verfilmten Beststellers »Jenseits von Afrika«. Ihr postkoloniales Erbe ist hier omnipräsent. Nicht nur ihr ehemaliges pompöses Wohnhaus mit Restaurant ist hier zu finden. Auch ein Museum zelebriert ihr literarisches und biografisches Erbe in einem Vorort aus Villen, die mit Stacheldraht umzäunt, von Askaris, uniformierten Wachmenschen, gesichert und reichen EuropäerInnen, Somalis, InderInnen und KenianerInnen bewohnt wird.

Springt man am Rand von Karen, an einer staubigen Kreuzung in ein Matatu, ein Sammeltaxi, denn im Zentrum der Reichen sind diese Beförderungsmittel verboten, rast es mit einem in die Stadt. Nahe des historischen Archivgebäudes spuckt es einen an der von Abgasen, Lärm, Fahrzeugen und Menschen gefluteten »Stage« aus. Weiter geht es zum Campus der Chiromo Universität. Bereits jetzt hat sich die Vormittagshitze in Form von Schweiß in der Kleidung verewigt.

»Du findest uns, wenn du durch das erste grüne Tor, linker Hand, auf dem Weg zum Campus gehst«, hatte Mike Mburu in einer Mail wenige Tage zuvor geschrieben. Tritt man durch das Tor, empfängt einen eine gelbe Hausfassade, auf der in großen Lettern »Kwani!« steht. Hier ist das heutige literarische Kenia zu Hause, ein Ort, unabhängig vom kolonialen Erbe Blixens. Und von der Fassade prangt der Spruch »Creating a society, that uses it’s stories to see itself more coherently.« »Eine Gesellschaft erschaffen, die ihre Geschichten gebraucht, um sich mehr als Ganzes zu sehen.« Eine Anspielung auf die über 40 kenianischen Volksgruppen und den damit zusammenhängenden Fehden, die nach den Wahlen 2007 zu Ausschreitungen und von den Herrschenden befeuert, auch zu vermeintlich ethisch motivierten Morden führten.

»Kwani!« heißt der Verein, der Bücher publiziert, Workshops veranstaltet, junge AutorInnen fördert und das alljährliche »Litfest« in Nairobi organisiert. Der Name ist Programm: »Kwani!« ist Sheng, ein Gossenslang, der in den Slums von Nairobi gesprochen wird, und bedeutet »Na und!«

Es empfangen mich Berge von Büchern und Plakate an der Wand. Noch während ich die unzähligen, ansprechend gestalteten Bücher mustere, begrüßt mich der Marketingchef Mike Mburu. Der glatzköpfige, kräftig gebaute, quirlige kleine Mann trägt Hemd, Anzughose und glänzende Halbschuhe. Nicht ohne Stolz zeigt er mir die Beststeller: »How To Write About Africa«. Ein kleines Büchlein, in der Größe eines Pixi-Kinderbuches. Auf dem gelben Cover eine Schwarzafrikanerin mit einem riesigen Ohrring, überdimensionierten, dicken Lippen. Sie streckt die Zunge heraus und balanciert eine Tasse Tee darauf. Der Autor ist Binyavanga Wainaina. 2003 hat er mit anderen »Kwani!« gegründet. Er absolvierte seinen Master in England in Creative Writing, hatte eine Gastprofessur in Massachusetts inne und 2014 sein Coming-out. Homosexualität ist in Kenia nicht nur verpönt, manche sehen darin einen Versuch, den AfrikanerInnen die europäische Kultur aufzudrücken. Außerdem ist es strafbar. »How To Write About Africa?« ist so unterhaltsam wie informativ und bissig. Wainaina gibt darin ironische Tipps, was in einem erfolgreichen Roman über Afrika unbedingt vorkommen muss und was tunlichst vermieden werden sollte.

Von dem Beststeller liefert »Kwani!« schon mal 100 Exemplare an die Buchhandlungen aus, berichtet Mburu. Angesichts dessen, dass die KenianerInnen tendenziell wenig Belletristik lesen, eine beeindruckende Zahl. Abnehmer sind vor allem Universitätsbuchhandlungen, vornehmlich an Orten, an denen Literatur- oder Filmwissenschaften studiert werden können, etwa in Nairobi, der Küstenstadt Mombasa oder der Bergstadt Eldoret. Auch wenn die LeserInnen nicht in die Buchhandlung kommen, kommt das Buch zu ihnen. Über die Kwani-Internet- und Facebookseite oder via Twitter werden die Bücher geordert. Mithilfe des weitverbreiteten, informellen Postsystems wird es ausgeliefert. Einem Matatu-Fahrer wird das verpackte Buch mitgegeben und für 50 Kenianische Schilling, umgerechnet 50 Cent, erhält der Leser oder die Leserin das Buch innerhalb eines Tages. Trotzdem sagt der 37-jährige Mburu: »Der Vertrieb ist eine Herausforderung.« Die Werbung läuft hauptsächlich über soziale Netzwerke, das Internet und vor allem über Twitter. Bei Twitter folgen »Kwani!« über 12 000 Follower. Die MacherInnen kündigen dort das Buch des Monats mit einem Spruch an, berichten über Lesungen und Rezensionen. Die Bücher werden im Haus lektoriert, das Design wird meist an externe GrafikerInnen vergeben, weswegen auch unterschiedliche Stilrichtungen auf den Covern vertreten sind. Von satirisch überzogen bis zu Anklängen an die Popkultur. »Wir machen nicht, was die Menschen von uns erwarten. Als ›Kwani!‹ wollen wir die Dinge auf eine andere Art und Weise, auf eine spezielle Art machen.«

Im Hof des Hauses gibt es szenische Lesungen mit Musik, Fleisch und Alkohol. Gebratenes Fleisch, auf Kisuaheli »Nyama Choma« ist eine heiß begehrte Mahlzeit in Kenia, einem Land, in dem über die Hälfte der Bevölkerung von weniger als einem Dollar am Tag leben muss und das regelmäßig von einer Dürre heimgesucht wird. Einmal im Monat findet eine »Open-Mike«-Lesung statt. Ein anderes Projekt ist »Kwani! Soma«. »Soma« ist Kisuaheli und bedeutet »lesen«. Die MacherInnen bieten den Schulen Lesungen und Schreibworkshops an, um die SchülerInnen zum Lesen und Schreiben zu bewegen. Alumni, ehemalige SchülerInnen, kaufen für einen bestimmten Betrag Bücher. Diese werden an die SchülerInnen weitergegeben, was sie zum Lesen anstiften soll.

Ein weiterer Partner von »Kwani!« ist das Goethe-Institut-Nairobi. Ein Mammutprojekt, an dem sich sowohl das Institut als auch »Kwani!« beteiligten, war Anfang des Jahres angelaufen. Und das nicht nur im übertragenen Sinn. Das »Jalada Arts - Literature and Arts Festival« tourte im März in einem Bus durch zwölf Locations in fünf Ländern, AutorInnen und KünstlerInnen waren an Bord. Von Kenia ging es über Uganda, in die Demokratische Republik Kongo, dann nach Tansania und Sansibar.

Während wir uns unterhalten, spaziert der kenianische Shootingstar Yvonne Adhiambo Owuor an mir vorbei. Die schlanke, hochgewachsene Frau hat ihre widerspenstigen Haare mit einem roten Tuch nach hinten gebunden, wie um ihr strahlendes Gesicht zu betonen. »Kwani!« ist für sie so etwas wie eine literarische Hebammenpraxis, wurde hier doch ihr Erfolg mitbegründet. In einer Anthologie der »Edition-Kwani« erschien 2003 ihre Kurzgeschichte »Weight of Whispers«, für die sie den »Caine Prize for African Writing« erhielt. 2011 folgte ihr Romandebüt »Dust«, das im letzten Jahr unter anderem ins Deutsche übersetzt wurde. In »Der Ort, an dem die Reise endet«, so der deutsche Titel, erzählt sie die kenianische Geschichte neu, nicht ohne damit anzuecken. Nichtsdestotrotz erhielt sie dafür den renommiertesten kenianischen Literaturpreis, den Jomo Kenyatta Literature Award.

Einen weiteren prominenten Vertreter der kenianischen Literaturszene treffe ich in Nairobi in der Harry Thuku Road, die eingeklemmt ist zwischen dem Harry Michuki Memorial Park und dem morgens und abends verstopften Uhuru Highway, der dann mit Freiheit so gar nichts zu tun hat, wie es der Name »Uhuru« suggeriert. Gegenüber des prunkvollen Norfolk Hotels befindet sich der staatliche Radiosender KBC, von dem ein kenianischer Bekannter berichtet, dass er nur sendet, was der regierenden Partei gefällt.

Am schwer bewachten Eingang muss ich einen Einlassschein ausfüllen und meine Kamera abgegeben. Ich beharre darauf, sie mitzunehmen, worauf telefoniert wird und Khainga O’kwemba mich persönlich abholen kommt. Der kleine Mann fasst sanft nach meiner Hand und scherzt mit den Sicherheitsleuten, woraufhin ich die Schranke samt Kamera passieren darf. In einem Raum mit Ledersofas nehmen wir Platz, der Radiomoderator, Lyriker und Essayist bringt mir Wasser. Die Gästeliste seiner Radio Show »Books-Café«, die jeden Samstag um 14 Uhr läuft, liest sich wie ein Who’s who, vornehmlich der afrikanischen, aber auch der weltweiten Literaturszene. Umberto Eco wie auch den seit Jahrzehnten zu den AnwärterInnen des Literaturnobelpreis zählenden kenianischen Autor Ngũgĩ wa Thiong’o hatte er schon zu Gast. Darauf angesprochen, wen er für den Literaturnobelpreis präferiert, antwortet er: »Ich hatte schon immer eine sehr starke Meinung zum Literaturnobelpreis.« O’kwemba hätte den nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe gerne als Preisträger gesehen. Sein Roman »Thing’s Fall apart« gilt als der meistgelesene afrikanische Roman. O’kwemba spricht leise, trotzdem ist die Erregung in seiner Stimme spürbar. Vielleicht auch, weil Achebe 2013 verstorben ist und ihm die Ehre nicht mehr zuteil werden konnte. »Die Entscheidung in Stockholm, wer den Preis erhält, ist eine politische Entscheidung und keine literarische Entscheidung. Falls es im nächsten Jahr ein afrikanischer Autor werden wird, weil es so lange keiner mehr war, würde ich den Preis an seiner Stelle boykottieren.«

Als Präsident des PEN-Zentrums in Kenia organisiert er in Kooperation mit dem Goethe-Institut Schreibwerkstätten in Schulen. »Die Schüler haben die Vorstellung, wir Autoren leben in einer anderen Welt. Wir bringen ihnen jemanden, über den sie in der Zeitung gelesen haben. So werden die Autoren entmystifiziert und die Schüler können sich mit ihnen identifizieren.« O’kwemba geht es unter anderem darum, dass die Jugendlichen erfahren, wie SchriftstellerInnen ihren Berufsalltag organisieren, wie sie ihr Handwerk erlernen. Auch PEN-AutorInnen aus Deutschland werden nach Kenia eingeladen, um Workshops und Lesungen zu geben. Durch Bücher, so O’kwemba, kann man »den Geist eines Menschen erkennen. Du kannst Literatur kraftvoll nutzen. Denn Autoren sind die Botschafter der Kultur der Menschen.«

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