Drei-Länder-Menschenkette gegen das AKW Tihange

Atomkraftgegner rechnen für Sonntag mit der größten Anti-Atom-Demonstration seit der Katastrophe von Fukushima

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.

90 Kilometer lang, vom Atomkraftwerk Tihange, über das belgische Lüttich, Maastricht in den Niederlanden, bis nach Aachen in Deutschland, über 30 000 Menschen haben bereits ihr Kommen zugesagt. Es ist eine Menschenkette der Superlative, die von der Anti-Atom-Organisation »ausgestrahlt«, gemeinsam mit lokalen Initiativen, für den kommenden Sonntag organisiert. Für Sonntag hoffen die Organisatoren auf die größte Anti-Atom-Demonstration seit der Katastrophe von Fukushima 2011. Klar ist jetzt schon: Einen so großen Protest gegen das marode Kernkraftwerk Tihange gab es bisher nicht.

Dabei wird schon seit Jahren in der Region Aachen gegen das AKW protestiert. Tihange und das ebenfalls belgische Kraftwerk Doel gelten seit längerem als erhebliches Sicherheitsrisiko für große Teile Belgiens, der Niederlande und Nordrhein-Westfalens. Die Reaktorbehälter beider Kraftwerke werden von Tausenden feinen Rissen durchzogen. Störfälle sorgten schon mehrfach für Abschaltungen der Reaktoren. Ein größerer Reaktorunfall in Tihange könnte bei einer ungünstigen Wetterlage sogar die Köln schwer treffen.

Daher ist es auch kein Wunder, dass sich die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zu den Schirmherren der Menschenkette gesellt hat. Neben ihr machen auch der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU), der Präsident der Städteregion Aachen Helmut Etschenberg (CDU) sowie der belgische Schauspieler und Regisseur Bouli Lanners mit. Sogar Armin Laschet (CDU), der Nordrhein-Westfalen künftig regieren wird, unterstützt die Aktion. Am Freitag versprach er, NRW werde sich mit Nachdruck für die Abschaltung von Tihange einsetzen. Laschet forderte die Bundesregierung auf, stärker auf die belgische Regierung einzuwirken.

Auch der belgische Energiekonzern Engie Electrabel hat auf die Menschenkette reagiert. Jean-Philipe Bainier, der seit einigen Monaten das Kraftwerk in Tihange leitet, hat die Anti-Atom-Aktivisten zu einem Gespräch eingeladen. Am Sonntag würde man gerne fünf Atomkraftgegner im Konferenzzentrum des Kraftwerks begrüßen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, »ihr Anliegen vorzutragen und auf Fragen Ihrerseits Antworten zu bekommen.«

Die Organisatoren der Menschenkette lehnten ab. »Wir hätten diesen Termin sehr gerne wahrgenommen, aber zu diesem Zeitpunkt müssen alle Organisatoren die Menschenkette von Tihange über Lüttich und Maastricht bis nach Aachen begleiten. Schade!«, so Walter Schumacher vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie. Außerdem sei Engie Electrabel in den letzten fünf Jahren nicht gesprächsbereit gewesen, deshalb müsse das Gespräch auch nicht ausgerechnet am Tag der Menschenkette sei. Die Aktivisten betonen, dass ein Gespräch mit dem Energiekonzern »wirklich offen« sein müsste. Man sei sehr interessiert, mit welcher Strategie die Gefahren, die von Tihange ausgehen, dauerhaft beseitigt werden sollten.

Gegenüber den »Aachener Nachrichten« setzte Jean-Philipe Bainier am Mittwoch allerdings Zeichen, die so gar nicht auf ein freundliches Gespräch mit den Anti-AKW-Aktivisten hindeuten. Die Risse im Reaktorkessel seien gar keine Risse, sondern »Wasserstoffeinschlüsse«, die es schon seit der Herstellung des Kessels gebe. Tihange gehöre zu den »sichersten Kraftwerken europaweit«, das hätten Studien ergeben, die das Unternehmen in Auftrag gegeben habe. Bainier brachte sogar eine Laufzeitverlängerung ins Spiel. Es stehe »nirgendwo geschrieben, dass AKWs nur 40 Jahre funktionieren«. Auch 60 Jahre seien ohne Probleme möglich.

Die Organisatoren der Menschenkette reagierten mit Entsetzen auf die Äußerungen Bainiers. Jörg Schellenberg, der die Aktion mit organisiert sagt, er sei »fassungslos«. Tihange gehöre wegen der Sicherheitsmängel »endgültig vom Netz genommen«. Die Ankündigung des Electrabel-Managers sei »der Tropfen, der die Menschenkette zum Überlaufen bringt«.

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